Klammern wir die Zeiten als Rüstungskonzern während der beiden Weltkriege einmal aus. Was war aus wirtschaftlicher Sicht die schwärzeste Stunde in der WMF-Geschichte?
Eine wirklich ernsthafte Krise sehe ich in den 70er Jahren. Die Geschäfte brachen infolge der Ölkrisen ein. Konsumgüter sind wirtschaftskrisenanfällig, wenn die Leute kein Geld mehr haben, sparen sie daran zuerst. Zudem gab es einen starken Drang zu Diversifizierungen in der Wirtschaft. WMF hat eine Zeit lang Einweggeschirr, Getränkeautomaten hergestellt oder Leiterplatten beschichtet. Diese Dinge waren nicht erfolgreich und haben außerdem den Markenkern beschädigt. Der Absatz stagnierte. Allerdings erkannten die Verantwortlichen früh, dass sie zum Kerngeschäft zurückkehren müssen, früher als viele andere Unternehmen, bei denen erst in den 90er Jahren eine Rückbesinnung stattfand.
Wieso kam es dazu, dass die WMF überhaupt so attraktiv für Finanzinvestoren wurde?
Ab den 80er Jahren begann eine Phase von wichtigen Umstrukturierungen und Investitionen. Diese machte das Unternehmen sehr stark und erfolgreich – und eben auch attraktiv für Investoren. Auf der anderen Seite gab es damals einen hohen Kapitalbedarf. 1979 hatten die Nachfahren Siegles die Mehrheit der WMF-Anteile an Rheinmetall verkauft, das Kartellamt untersagte den Verkauf jedoch nachträglich. Die Anteile gingen stattdessen an den Einzelunternehmer Wolfgang Schuppli. Er blieb bis über die Jahrtausendwende hinweg an Bord, gab allerdings große Aktienpakete an die Deutsche Bank, Munich Re und die Württembergische Versicherung weiter. In Schupplis Anfangszeit wurde Rolf Allmendinger als Vorstandschef geholt, der dem Unternehmen ebenfalls mehr als zwei Jahrzehnte treu blieb. 2006 stiegen die ersten Kapitalgesellschaften ein, erst Fiba, später Capvis, 2013 dann KKR.
Wie beurteilen Sie den Umgang des aktuellen Eigentümers mit der 161-jährigen WMF-Historie?
Die Geschichte spielt dabei keine Rolle. Der Einfluss der großen Kapitalgesellschaften begleitet die deutsche Wirtschaftsgeschichte nun schon seit etwa 30 Jahren.
Die WMF ist nach 161 Jahren noch immer da, aber demnächst nicht mehr an der Börse.
Das kann man nostalgisch bedauern, aber es gibt keine Garantie für ein Unternehmen, auf ewig Aktiengesellschaft zu bleiben, nur weil es eine lange Tradition hat. WMF war die meiste Zeit in der Hand von wenigen Eigentümern oder wenigen großen Anteilseignern. Die Zahl derjenigen, die über die Hauptversammlung den Kurs des Unternehmens bestimmt haben, war daher schon immer sehr begrenzt. Von 1880 bis in die späten 1970er Jahre hinein war es zwar eine Aktiengesellschaft, aber doch zur großen Mehrheit im Besitz der Nachfahren von Gustav Siegle, also fast ein Familienunternehmen.
Es gibt ein Bekenntnis der aktuellen Führung zum Standort Geislingen. Dennoch wird gerade konzernweit jede zehnte Stelle abgebaut, ein großer Teil entfällt auf den Stammsitz. Ist die WMF ohne Geislingen vorstellbar?
Ich würde die Frage ja eher umdrehen: Ist Geislingen ohne die WMF vorstellbar? Die Stadt hatte früher viel Industrie, musste aber in der Nachkriegszeit bereits einen hohen industriellen Aderlass verkraften.