Ian McKellen ist mehr als nur der Zauberer Gandalf aus Mittelerde. Der britische Schauspieler spricht im Interview mit Christian Aust über seine Angst beim Dreh, seine Homosexualität und seinen Respekt vor der heutigen Jugend.

Stuttgart - Ian McKellen sitzt in einer Suite in der ersten Etage des noblen Claridge’s Hotel in der Nähe der Bond Street im Zentrum Londons. Spätestens wenn er beginnt zu sprechen, meint man, sich in Tolkiens Mittelerde zu befinden. Denn diese warme, sonore Stimme befördert einen direkt in die Welt der Hobbits, Zwerge und Drachen. Auch ohne den spitzen Hut des Magiers und die lange geschwungene Pfeife ist Ian McKellen durch und durch Gandalf der Zauberer. In Peter Jacksons Film „Der Hobbit: Die Schlacht der fünf Heere“ (Bundesstart am 10. Dezember) ist der gefeierte Shakespeare-Darsteller zum sechsten Mal in dieser Rolle zu sehen.
Ganz ehrlich: ist das wirklich Ihr letzter Auftritt als Gandalf?
Wer kann das schon genau sagen. Am Ende der „Herr der Ringe“-Trilogie dachten wir auch, das ist das Ende einer Ära. Dann kam „Der Hobbit“. Bisher hat man mir keinen weiteren Film angeboten. Aber sollte Peter Jackson noch irgendetwas Neues planen, wäre ich bestimmt der Letzte, der es erfährt. Gerade vergangene Woche musste ich noch einmal ins Studio, um noch ein paar Sätze für Gandalf einzusprechen. Aber das habe ich schon mehrfach getan, viele Male. Diese Arbeit hört irgendwie nie auf.
Was lautete denn Ihr letzter Satz?
Ich wünschte, ich könnte es Ihnen sagen. Ich weiß nur noch, es war ein relativ normal gesprochener Satz und keiner dieser dramatischen Ausrufe im Stil von: Los Thorin, lass uns die Festung verteidigen! Aber wissen Sie, gerade als ich gehen wollte, hieß es: Ian, ich glaube, du musst nächste Woche noch einmal kommen. Manchmal muss man eben für eine gesamte Trilogie zurückkommen. Für mich fühlt es sich nicht wirklich wie ein Ende an.
Woran liegt das?
Ich glaube, es liegt auch daran, dass ich immer wieder von Jugendlichen und besonders jüngeren Kindern angesprochen werde, die mir erzählen, wie sehr sie diese Filme mögen. Die waren noch nicht einmal geboren, als wir mit dem „Herr der Ringe“ begonnen haben. Und so wie ich es einschätze, werde ich das auch weiterhin erleben. Also, ich habe Gandalf nicht zusammengepackt und irgendwo in einem Koffer verstaut,   um ihn zu  vergessen. Und das finde ich schön.
Was hat Sie damals als junger Schauspieler angetrieben und was ist es heute?
Meine Hauptmotivation war immer, ein besserer Schauspieler zu werden, den Job besser zu machen. Dieses Gefühl habe ich noch heute. Wenn ich mit einem Kollegen wie Martin Freeman arbeite, der den Bilbo Beutlin spielt, denke ich immer noch: Meine Güte, ich muss noch eine Menge lernen.
Was müssen Sie denn noch lernen?
Na, wie man vor der Kamera spielt. Ich habe mir neulich ein paar frühe Al-Pacino-Filme angesehen und war überwältigt vor lauter Bewunderung. Ich sage Ihnen ganz ehrlich, ich bin kein großer Fan von Ian McKellens Schauspielerei in Filmen. Ich glaube, im Theater war ich auf der Bühne ganz gut. Aber im Film? Daran muss ich noch arbeiten. Ich habe als junger Schauspieler von einer Karriere in diesem Beruf geträumt. Bei den Schauspielern, die ich bewundert habe, wie Lawrence Olivier, konnte ich die Entwicklung verfolgen. Diese Kollegen entwickelten sich weiter, wurden besser. Vielleicht bin ich zu nah dran, um das in meiner Arbeit zu erkennen. Aber wenn Menschen auf mich zukommen und Erinnerungen an meine früheren Projekte haben, freue ich mich sehr. Denn das habe ich mir immer gewünscht. Meine Verbindung mit dem Publikum ist relativ stark. Letztendlich stellen wir Schauspieler uns doch nur auf die Bühne oder vor eine Kamera, um ein Publikum zu bewegen.
Aber noch einmal ganz konkret: Was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit vor der Kamera nicht?
Na hören Sie mal, ich werde hier doch nicht öffentlich auf meine Schwächen hinweisen. Ich sehe heute nicht mehr so viele Fehler wie früher und bin eigentlich ganz zufrieden. Aber ich brauche einfach etwas länger, um dieses Resultat zu erreichen, mit dem ich leben kann. Ich rede nicht über das fertige Produkt, sondern über das, was vorher passiert, um dorthin zu gelangen. Meine Freunde könnten Ihnen erzählen, wie aufgeregt ich immer noch vor jedem neuen Projekt bin und auch während der Arbeit. Es gibt diese Tage, an denen ich denke: Diese Szene kriegst Du nie im Leben richtig hin. Wenn ich ein Theaterstück probe, komme ich immer an den Punkt, an dem ich überzeugt bin, dass ich diese Rolle nicht spielen kann. Und so geht es mir immer wieder.
Hat das nicht auch einen positiven Effekt?
Es macht mich einerseits sehr offen und verletzlich. Das ist gut. Aber während ich es tue, ist es doch sehr schmerzhaft, muss ich sagen. Ich wünschte, es wäre einfacher für mich. Und selbst wenn es am Ende gelingt, bleiben da immer diese Selbstzweifel. Das ist die typische Schauspieler-Krankheit. Jemand gratuliert dir nach der Premiere und du denkst: Ich bin wieder damit durchgekommen, sie haben mich nicht durchschaut.
Sie können Komplimenten nicht trauen?
Nein. Da bin ich ganz wie Shakespeares „Coriolanus“: „Sag mir nicht, ich sei gut. Das will ich nicht glauben. Ich brauche eure Zustimmung nicht.“ Das war die einzige Rolle, die mir jemals leicht gefallen ist. Nachdem ich begriffen hatte, das es in diesem Stück eigentlich um mich ging, war es ganz einfach. Aber dann bin ich ja trotzdem immer ein Schauspieler und will geliebt werden. Also bitte lobt mich . . .
Sehen Sie sich Ihre fertigen Filme an?
Nein.
Nicht einmal auf der Premiere?
Ich versuche, es wirklich zu vermeiden. Denn ich bin die schlechteste Jury, wenn es darum geht, meine Leistung zu beurteilen. Das ist, als ob Sie sich ein altes Foto von sich ansehen, ein sehr altes Foto. Dann laufen all diese Dinge in meinem Kopf ab: Wie sieht mein Haar aus? Was trage ich da überhaupt für Kleidung? Das ganze Programm. Und das tut weh. Denn als ich den Film gemacht habe, dachte ich, das ist das Beste, was ich geben kann.
Wenn Schauspielen mit Erfahrung nicht einfacher wird, gilt das auch für das ganze Leben?
Auf jeden Fall. Nur weil ich hier sitze und alt bin, heißt das noch lange nicht, dass ich weise bin. Wenn ich mit jungen Menschen zusammen bin, denke ich ständig: Die wissen so viel über die Welt, was ich nicht weiß. Und damit meine ich nicht nur Dinge, die mit moderner Technologie zu tun haben.
Was meinen Sie dann?
Ich meine die soziale, gesellschaftliche Haltung. Ich bin ein homosexueller Mann, der in diesem Land aufgewachsen ist, als es noch ein Verbrechen war, einen anderen Mann zu lieben. Das war gegen das Gesetz und wurde mit Gefängnis bestraft. Und jetzt spreche ich in Schulen über diese Zeit. Es gibt 13-jährige Jugendliche, die sich ihren Eltern anvertrauen können und sich outen. Sie leben in einer Welt, bei deren Gestaltung ich ein bisschen mitgeholfen habe. Aber sie leben jetzt ein erfülltes Leben und müssen sich nicht verstecken. Und auch deswegen halte ich nicht an der Vergangenheit fest. Zu meinen, nur weil jemand alt ist, weiß er alles ist Unsinn. Diese Kinder heute sind viel offener und toleranter, als wir es sein konnten. Denn wir wurden erzogen, es nicht zu sein. Ich bin also sehr optimistisch, was die Zukunft angeht.