Jüngere Beschäftigte mobilisieren Sie diesmal mit dem Plan einer Bildungsteilzeit – ein strategischer Schachzug, um sie an Bord zu haben?
Nein. Es geht uns ja nicht nur um die Jungen. Einerseits darf die duale Ausbildung nicht unter die Räder kommen. Wir müssen sie attraktiver machen. Auch als Einstieg in einen weiteren beruflichen Aufstieg und mit echten Chancen auf berufliche Entwicklung. Andererseits kommen angesichts der technologischen Sprünge in einigen Branchen die An- und Ungelernten massiv unter Druck. Wir wollen hier den Erwerb zusätzlicher arbeitsmarktfähiger Abschlüsse fördern.
Der Schichtarbeiter, der die Qualifizierungsangebote erfahrungsgemäß weniger in Anspruch nimmt, würde bei einer bezuschussten Bildungsteilzeit dem Ingenieur quasi das Masterstudium bezahlen, sagt Gesamtmetall-Präsident Rainer Dulger?
Dann soll er dies mit uns zusammen ändern. Da gibt es auf Arbeitgeberseite durchaus eine gleiche Sicht, etwas gegen die geringe Inanspruchnahme bei den An- und Ungelernten zu unternehmen. Entscheidend ist weniger das Nicht-Wollen der Betroffenen, sondern die Voraussetzung für eine faire Teilhabe an Lernprozessen. Wer Familie hat, kann sich solche Maßnahmen nicht leisten. Da geht es um Zeit und um Geld.
Wird der Arbeitgeber einen Aufstockungsbetrag zahlen müssen, wenn ein Beschäftigter wegen der Weiterbildung weniger verdient?
Ohne Teillohnausgleich bleibt es ein Zeitanspruch, der für viele nicht tragfähig ist, weil die geldliche Absicherung für die Qualifizierung fehlt.
Wenn jüngere Beschäftigte sich weiterbilden sollen und Ältere eher rausgehen dürfen – wer macht dann noch die Arbeit im Betrieb?
Gut ausgebildete Menschen. Wir müssen alles tun, um die Erwerbstätigenquote zu steigern – etwa indem wir qualifizierten Frauen den Zugang erleichtern mit flexiblen Arbeitszeitmodellen und indem wir Menschen ohne Ausbildung in einer qualifizierte Tätigkeit bringen. Wir brauchen attraktive Arbeitsbedingungen und Entwicklungschancen, damit die jungen Kräfte nicht woanders hingehen. Hinter dem Anspruch auf Bildungsteilzeit steckt nicht weniger, als die Anforderungen in der Arbeitswelt der Zukunft zu bewältigen.
Birgt der dritte Schwerpunkt der Tarifrunde, die Fortführung der Altersteilzeit, das geringste Konfliktpotenzial?
Im Grundsatz wollen es beide Seiten. Was noch an Konfliktstoff drin steckt, wird man in den nächsten Wochen sehen. Wir wollen in jedem Fall den 2008 eingeschlagenen Weg fortsetzen, sodass für die unteren Einkommensgruppen die Entgeltverluste bei einem frühzeitigen Ausstieg möglichst gering ausfallen. Und wir möchten den Altersübergang gerne flexibler gestalten, damit der Beschäftigte sich aussuchen kann, wie er die Übergangsphase zwischen dem frühestmöglichen und abschlagsfreien Rentenzugang gestaltet.
Die Chemiegewerkschaft strebt eine Drei- oder Vier-Tage-Woche für Beschäftigte ab 60 Jahren an – eine sinnvolle Idee?
Ich persönlich halte das für nicht unattraktiv, habe aber die Erfahrung, dass unsere Leute etwas anderes wollen, gerade wenn sie besonders belastete Tätigkeiten ausüben. Dann möchten sie sobald wie möglich die Türe hinter sich schließen. Zudem sind bisher alle flexiblen Übergangsmodelle, die im Betrieb auf den Prüfstand gestellt wurden, nicht an unserem Wollen gescheitert, sondern daran, dass die Unternehmen das Thema für sich als zu komplex und kaum handhabbar gesehen haben.
Wegen der guten Voraussetzungen bei der Weiterbildung und der Altersteilzeit spricht vieles für einen Pilotabschluss im Südwesten?
Wir haben bei den qualitativen Themen die längste Verhandlungserfahrung im Südwesten. Aber dies ist kein Präjudiz. Wir führen in allen Regionen Gespräche darüber. Ziel ist es, dass wir uns bis zur offiziellen Forderungsaufstellung im November auf Eckpunkte zu den beiden qualitativen Themen verständigen werden. Viel später steht die Frage an, wo die Tarifrunde laufen könnte.
Um neue flexible Arbeitszeitmodelle – einen Demografie-Tarifvertrag also – wird es diesmal noch nicht gehen?
Die Frage, wie man Arbeit und die Pflege von Kindern oder älteren Angehörigen vereinbaren kann, bleibt auf der Agenda. Viele haben in der Familie Pflegefälle, für die noch keine Pflegestufe gilt, und möchten die Arbeitszeit temporär verkürzen. Im klassischen Teilzeitmodell geht oft finanziell nicht. Unser Modell einer reduzierten Normalarbeitszeit ist die Antwort.