Die Arbeitgeber lehnen Ihren Vorschlag einer 30-Stunden-Woche mit Teillohnausgleich rundweg ab. Ist das Vorhaben damit aufgeschoben oder aufgehoben?
Aufgeschoben, ganz klar. Es ist unser fester Wille, das Thema anzupacken, damit Arbeitszeit auch für die Beschäftigten flexibel ist – nicht nur für die Arbeitgeber. Dazu gehören zwei Punkte: Die Arbeitnehmer brauchen Zeitansprüche und einen Teillohnausgleich.
Einen Demografie-Tarifvertrag wollen die Arbeitgeber außerhalb der Lohnrunde aushandeln. Suchen Sie dennoch den Konflikt?
Wir wollen gemeinsam die Chance ergreifen. Mit Gesamtmetall haben wir uns verabredet, dass wir nach der Tarifrunde über das Thema Arbeitszeitgestaltung reden. Ich bin immer dafür, wenn es geht, einvernehmliche Lösungen zu suchen. Nur darf es da kein Missverständnis geben: Über das „Wie“ werden wir uns unterhalten müssen. Über das „Ob“ ist die IG Metall entschieden. Wir haben in vielen Großbetrieben schon Modelle mit Zeit- und teilweise auch Geldausgleich gefunden, eben weil der Bedarf besteht – diesen schreibt das reale Leben vor und die Notwendigkeit, auch in Zukunft attraktiver Arbeitgeber zu sein. Aber wir brauchen hier keine Inseln der Großbetriebe, sondern Flächenlösungen. So bin ich nicht ohne Hoffnung, dass wir in freien Gesprächen belastbare Schritte mit den Arbeitgeberverbänden hinbekommen.
Wie hat sich das Verhältnis der neuen IG-Metall-Führung zur Politik entwickelt?
Ich erkenne bei der großen Koalition ein großes Bemühen, sich den Themen der Arbeitswelt zu öffnen. Über Offenheit können wir uns nicht beklagen. Ob die Interessen der Arbeitnehmer zur Geltung kommen, ist noch eine andere Ebene. Ich würde mir aber mehr Entschlossenheit der Regierung im Hinblick auf die doppelte Investitionsschwäche wünschen: sowohl was öffentliche angeht als auch private Investitionen. Beide Investitionsquoten bewegen sich auf einem historischen Tief.
Fördert die geringe Investitionsquote einen Prozess der De-Industrialisierung?
Ich habe diese Befürchtung. Im Moment haben wir eine gute Wettbewerbsfähigkeit, aber die lebt teilweise von der Substanz – am deutlichsten im Bereich der öffentlichen Infrastruktur, die die Wettbewerbsbedingungen nachhaltig prägt. Die Industrie entwickelt sich zunehmend in eine Zwei-Klassen-Gesellschaft weniger großer Player und einem Mittelstand, der nicht mehr mitkommt bei der Globalisierung, bei Forschung und Entwicklung sowie Prozess- und Produktinnovationen. Dies gilt gerade bei Umbrüchen wie Industrie 4.0. Daimler oder Bosch investieren weiterhin Milliarden – der viel gelobte deutsche Mittelstand beginnt, unter die Räder zu kommen. Wenn die Lokomotive und der angehängte Zug auseinanderbricht, haben wir ein Problem bei Beschäftigung und Innovation.
Einem neuen Projekt, der Antistress-Verordnung, hat die Kanzlerin gerade eine klare Absage erteilt. Ist es damit für Sie erledigt?
Wenn so leicht die zunehmende psychische Belastung der Menschen erledigt wäre, ja – aber soweit reicht auch der Arm der Kanzlerin nicht. Wir haben doch reale Probleme, was sich an zunehmenden Krankheitsbildern bemerkbar macht. Und wir tun vieles, um die Themen aufzugreifen und haben in einigen Firmen einiges erreicht. Es wäre mehr als hilfreich, wenn wir gesetzliche Mindeststandards hätten. Aber das entbindet uns nicht der Verantwortung, das Thema betriebspolitisch nach vorne zu bringen. Wir müssen auf die Tarifverträge schauen, ob auch sie den neuen Formen von Mobilität und Entgrenzung der Arbeitszeit gerecht werden.
Arbeitsministerin Nahles lässt bis Ende 2015 erst mal evaluieren und will das Thema danach wieder auf die Agenda heben. Wollen Sie sich so lange gedulden?
Wir können nicht nur darauf hoffen, dass sich in den nächsten Monaten etwas tut. Wir werden uns auch nicht zurücklehnen, sondern den Handlungsbedarf mit betrieblichen Regelungen belegen. Die wachsende Zahl von Vereinbarungen dieser Art sind ein gutes Indiz für die Politik, das Thema aufzugreifen. Ich finde da auch die Position der Arbeitgeber kurzsichtig. Man kann reale Probleme des Arbeitslebens nicht mit Verdikten aus der Welt schaffen. Wer eine gesetzliche Regelung ablehnt, geht in den Konflikt um betriebliche und tarifliche Regelungen. Das ist der von mir ohnehin immer favorisierte Weg. Wir werden durch gute betriebliche Praxis die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die gesetzliche Regelung leichter fällt.
Die Unternehmen fühlen sich ohnehin schon überreguliert?
Wenn der Hauptgeschäftsführer von Gesamtmetall sagt, man müsse daraus lernen, dass der Staat Themenfelder besetzt, wo die Tarifparteien zu spät reagiert haben, begrüße ich diesen Erkenntnisgewinn.
Viele höher Qualifizierte wollen länger arbeiten – das müsste auch dazu gehören?
Wir haben die Möglichkeit der durch Quote begrenzten Erhöhung der Arbeitszeiten auf 40 Stunden pro Woche. Aber meine Erfahrung ist, dass in der Krise viele wegen kürzerer Arbeitszeiten nach Hause geschickt wurden und erlebt haben, dass dort auch noch Leben herrscht. Der Wunsch, zu den 40 Stunden zurückzukehren, war bei vielen nicht mehr gegeben, zumal die Nettolohndifferenz in diesen Gehaltsstufen überschaubar ist. Ich halte es für eine Verkürzung zu sagen, Höherqualifizierte wollen generell länger arbeiten. Es kommt auf die jeweilige Lebenslage an. Gerade für die junge Generation, die Wert auf eine Work-Life-Balance legt, ist das Thema Arbeitszeit eine Frage von Lebensqualität.
Zum Start im vorigen November haben Sie und der Vorsitzende Detlef Wetzel keine berauschenden Wahlergebnisse erhalten – ist das überwunden?
Das ist überwunden in dem Sinne, dass es an uns lag und liegt, das Vertrauen zu rechtfertigen, das die große Mehrheit in uns gesetzt hat. Ich habe nicht das Gefühl, dass da etwas nachschwingt. Kritik gibt es, aber damit umzugehen, schaffen wir ganz gut. Und es kommt Lob. Der Laden ist – gerade im Vorfeld der Tarifrunde – sehr geschlossen aufgestellt.
Ist die IG-Metall-Führung kritikfähig?
Die geschäftsführenden Vorstandsmitglieder haben keine Furcht vor Debatten – im Gegenteil: Es wird auch positiv gesehen, dass wir sie explizit einfordern. Ich begrüße offen formulierte Kritik. Eine meiner schönsten Pflichten ist es, wenn beim Besuch einer Verwaltungsstelle die Betriebsräte und Vertrauensleute sagen, was sie denken. Da habe ich etwas in der Hand.