Der Integrationsforscher Haci-Halil Uslucan erklärt, warum ihn die Diskussion um Mesut Özil überrascht hat und der Fußballnationalspieler nicht das richtige Beispiel für Integrationsfragen ist.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Stuttgart - Die Härte der Debatte um Mesut Özil hat Haci-Halil Uslucan überrascht. Der Leiter des Zentrums für Türkeistudien in Essen rät zu mehr Gelassenheit beim Thema Integration.

 
Herr Professor Uslucan, hat Sie die Vehemenz und Härte der Diskussion erstaunt?
Die Diskussion hat mich insofern überrascht, dass sie von den meisten Beteiligten sehr überzogen und bisweilen auch unsachlich geführt wurde. Das fing damit an, dass man einem Fußballer ein enorm hohes Wissen und eine große politische Sensibilität unterstellt. Weiter ging es damit, dass man aus dem Foto Mesut Özils mit dem t ürkischen Präsidenten Erdogan, das sehr unglücklich und ungeschickt war, ein politisches Statement ableitete mit all den Annahmen über Integration und vor allem gescheiterte Integration. Hinzu kam dann noch, das Scheitern der deutschen Nationalmannschaft zu einem guten Teil Özil zuzuschreiben.
Es wird immer wieder die integrative Funktion des Sports hervorgehoben. Wird da vom Fußball nicht zu viel verlangt?
Der Sport kann natürlich nicht alle gesellschaftlichen Probleme lösen. Aber der Sport ist für viele Migranten die Möglichkeit, auf ziemlich einfache Weise in eine Gruppe aufgenommen zu werden. Wenn man sich anstrengt, ehrgeizig ist und gut spielt, gehört man dazu – auch wenn man die Sprache nicht perfekt beherrscht. Das gilt gerade für den Mannschaftssport Fußball. In dieser Hinsicht bietet der Sport bei der Integration eine große Chance.
Ist Özil das richtige Beispiel, um die Probleme der Integration zu diskutieren? Er lebt sei vielen Jahren im Ausland.
Er ist tatsächlich nicht das richtige Beispiel für Integrationsfragen. Man muss eher die Normalität der Vielfalt betrachten. Der größte Teil der Integrationsarbeit läuft völlig unauffällig ab. Das ist vielleicht die Duisburger Mutter mit drei Kindern, die es schafft, ein gutes Leben zu führen und unauffällig durch den Alltag zu kommt. Aber dieses nicht Auffallen, dahinter steckt viel Arbeit und viel Engagement – das müsste uns mehr interessieren und bewusst werden.
Warum wird über die Probleme bei der Integration von Russlanddeutschen nicht mit derselben Vehemenz diskutiert?
Das gibt es zwei Aspekte. Zum einem hängt es damit zusammen, dass die Türkeistämmigen die größte Gruppe in Deutschland sind. Zudem wird seit 2010, als die Diskussion um Thilo Sarrazin anhob, die Integrationsdebatte über zwei Gruppen geführt, die zum großen Teil noch überlappend sind: Türkeistämmige und Muslime. An ihren Beispielen werden die Diskussionen über Integration viel aggressiver geführt, obwohl es etwa auch bei russischstämmigen Aussiedlern bedenkliche Tendenzen gibt. So wird die Nähe zur AfD und zu Autokraten wie dem russischen Präsidenten Putin weniger deutlich thematisiert. Das fällt natürlich auch der Gruppe der Türkeistämmigen auf, die sagen, dass mit unterschiedlichen Maßstäben gemessen wird. Das führt zu einer noch größeren Entfremdung.
Bringt die Diskussion über Integration etwas? Sehen Sie einen positiven Aspekt?
Die Diskussion hat zumindest gezeigt, dass es nicht selbstverständlich ist, dass sich Menschen im Laufe der Zeit immer stärker mit Deutschland identifizieren und sich quasi automatisch als Teil der Gesellschaft fühlen. Das ist kein Selbstläufer. Da ist auch die Erkenntnis, dass wir viel gelassener mit Mehrfachzugehörigkeiten und Mehrfachidentifikationen umgehen müssen. Personen können doppelte Identitäten haben. Tatsache ist: Wenn man die Menschen nicht immer zwingt, sich für eine Seite zu entscheiden, ließe sich auf beiden Seiten viel entspannter leben.