Wilhelm Dresselhaus, der Deutschlandchef des Internet-Ausrüsters Alcatel-Lucent sieht die Debatte um die Netzinfrastruktur am Scheideweg: Intensivnutzer müssten mehr an den Kosten des Breitbandausbaus beteiligt werden, sagte er im StZ-Interview.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)
Stuttgart – - Deutschland braucht ein besseres Breitbandnetz, darüber herrscht Konsens. Wilhelm Dresselhaus, Deutschlandchef des Netztechnikanbieters Alcatel-Lucent fordert eine ehrlichere Diskussion darüber, wer dafür zahlen soll.
Herr Dresselhaus, wo begegnen Mobiltelefonierer und Internetnutzer Ihrer Firma?
Alcatel-Lucent baut keine Endgeräte für den Konsumenten mehr. Wir planen auch nicht, da wieder einzusteigen. Die Smartphones, die sie unter dem Namen Alcatel im Laden sehen, haben nichts mehr mit uns zu tun. Sobald Sie aber von ihrem Handy aus ein Signal senden oder sich ins Internet begeben, kommen wir ins Spiel. Wir wollen der Spezialist sein für Netze, die mit dem Internetprotokoll arbeiten, für ultraschnelles Breitband und die Cloud. Kurz gesagt: Ohne uns geht nichts.
Das Internet boomt, die Hersteller der Netztechnik stehen unter Druck. Wie kommt das?
Unsere Kunden, also vor allem die Betreiber von Telekommunikations-Infrastruktur, nehmen nicht genügend an der Wertschöpfung im Netz teil. Das Geld verdienen andere, meist Internetfirmen aus den USA. Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Telekom, Timotheus Höttges, hat es beim IT-Gipfel jüngst auf den Punkt gebracht: Wir haben in Europa die erste Halbzeit in der Digitalisierung verloren. Aber es gibt eine zweite – und die müssen wir nutzen. Wir brauchen eine leistungsfähige Infrastruktur. Sie ist so wichtig wie die Leitungen für Wasser und Strom. Es wird kein Weg daran vorbeiführen, dass es in der Zukunft im Netz verschiedene Serviceklassen mit unterschiedlichen Preisen geben wird. Wer sehr viel Bandbreite will, muss mehr bezahlen. Das ist nicht immer populär, aber die Ressourcen im Internet sind nicht unbegrenzt verfügbar.
Aber das widerspricht dem Ziel der Netzneutralität. Überholspuren seien das Ende des freien Internets, heißt es. Was sagen Sie?
Ich finde die Diskussion darüber manchmal etwas irrational. Selbstverständlich müssen die Basisfunktionen im Internet jedermann zu jedem Zeitpunkt neutral zur Verfügung gestellt werden. Wenn aber die Anforderungen der Nutzer steigen, muss man über ein gestuftes Tarifierungsmodell nachdenken dürfen. Der nötige Ausbau des Glasfasernetzes in Deutschland bis in die Wohnungen wird mit 80 Milliarden Euro veranschlagt. Darin sind die Kosten für die Aufrüstung der Vermittlungsnetze auf das Internetprotokoll noch gar nicht einberechnet. Das kann niemand aus den heutigen Erlösen bezahlen. Gleichzeitig haben wir eine Flatrate-Kultur, welche die Erwartung schürt, dass ich für 19,99 Euro im Monat immer mehr Services in Anspruch nehmen kann. Ja, wir brauchen einen freien Zugang zum Internet. Wir brauchen Basisdienstleistungen. Aber wir brauchen auch Modelle, damit die Nutzer von anspruchsvollen Angeboten, die zusätzliche Kosten für die Infrastruktur verursachen, dafür einen Beitrag leisten. Ich finde schon, dass es einen Unterschied macht, ob ich von einem TV-Anbieter ein hochauflösendes Video im Live-Streaming anschaue oder ob ich auf einer Internetseite eine Reise buche.
Gibt es anders gelagerte Beispiele, wo technisch die Gleichberechtigung aller Daten schwierig ist?
Die Kommunikationsstränge werden immer komplexer: Fahrzeug zu Fahrzeug, Maschine zu Maschine. Nicht immer geht es dabei um Bandbreite, sondern auch um minimale Verzögerung bei der Datenübermittlung. Denken Sie an eine automatische Falschfahrerwarnung – da entscheiden Millisekunden. Ich muss deshalb Serviceklassen definieren und sagen, wer Vorrang bekommt. Und das wird auch zu einer differenzierten Preispolitik führen. Das liegt in der betriebswirtschaftlichen Logik.
Macht die Branche sich mit solchen Forderungen nicht so manche Feinde?
Die Debatte ist definitiv noch nicht abgeschlossen. Die Bundesregierung beschäftigt sich aber verstärkt mit der Frage der Breitband-Infrastruktur. Ich spüre, dass das Verständnis dafür wächst.
Kann die Telekommunikationsbranche den Ausbau aus eigener Kraft schaffen?
Wir werden Unterstützung durch den Staat brauchen, vor allem wenn es darum geht, ländliche Regionen anzuschließen, wo der Ausbau überproportional teuer ist und sich für Netzbetreiber wirtschaftlich nicht rechnet. In den Städten braucht es keine Investitionshilfen. Wenn wir nicht wollen, dass die Gebiete außerhalb der Metropolen abgehängt werden, sollte der Staat mit solchen Hilfen einsteigen.
Wer ist am Zug? Bund, Länder, Kommunen?
Da gibt es viele verschiedene Modelle. Wenn man die Erlöse aus zukünftigen Frequenzauktionen dem Netzausbau zugutekommen ließe, wäre das schon etwas. Die im Koalitionsvertrag stehende eine Milliarde Euro für den Breitbandausbau in den kommenden Jahren wurde zu Gunsten der schwarzen Null kassiert. Doch jeder Euro Umsatz in dieser Schlüsselbranche bringt 2,3 Euro anderswo. Das wäre gut angelegtes Geld.
Wo steht denn Alcatel-Lucent nach seinem strammen Sanierungsprogramm, das weltweit Tausende von Arbeitsplätzen gekostet hat?
Da muss ich Sie korrigieren: Unser aktueller sogenannter Shift-Plan ist nicht in erster Linie ein Sanierungsprogramm, sondern eine neue Strategie, wie wir uns im Markt aufstellen. Ja, wir haben weltweit zehntausend Stellen abgebaut. Das ist ein Einschnitt. Wir richten unser Angebot auf Wachstumssektoren aus – Ultrabreitband, auf dem Internetprotokoll basierende Netze, Cloud – und adressieren Branchen außerhalb der Telekommunikation. Dazu haben wir harte Entscheidungen treffen müssen und Bereiche verkauft – auch in Deutschland. Das Ziel ist, bis Ende 2015 eine Milliarde Euro einzusparen. Da liegen wir vor dem Plan. Wir schreiben operativ wieder schwarze Zahlen. Das hat auch die Börse positiv aufgenommen. In Deutschland wurde anfangs der Abbau von 430 Stellen bis Ende 2015 angekündigt – es werden am Ende glücklicherweise rund 15 Prozent weniger. Auch in Stuttgart sind es weniger als erwartet.
Sie leben von den Investitionen der Telekom-Industrie. Sehen Sie dort eine Trendwende?
Ich sehe, dass unsere Kunden mehr investieren. Aber noch stehen sie unter Druck. Noch haben sie die neuen Preismodelle nicht. Aber die Branche muss wachsen. Wenn wir über Industrie 4.0 oder vernetzte Maschinen reden, dann ist es absolut notwendig, dass wir eine entsprechende Infrastruktur zur Verfügung stellen. Wir glauben bei Alcatel-Lucent an unsere Zukunft in Deutschland. Knowhow ist für uns der Schlüssel. Dafür muss ich nicht nach Israel oder ins Silicon Valley fliegen. Wir haben wichtige strategische Forschungsstandorte hier in Stuttgart und in Nürnberg.
Und wie geht es weiter?
2015 wird es nicht mehr um Refinanzierung, Restrukturierung und Repositionierung gehen, sondern um Wachstum und Innovation. Wir stellen auch in der Forschung und im Vertrieb wieder neue Mitarbeiter ein. Zudem wollen wir unsere Kundenbasis verbreitern. Künftig wollen wir unsere Lösungen auch an Unternehmen verkaufen, die sich mit dem vernetzten Auto beschäftigen oder an Banken, welche die Kommunikation zwischen ihren Rechenzentren verbessern wollen.