Der Ex-Star Jens Weißflog spricht im Interview mit unserem Redakteur Dominik Ignée über die Chancen der deutschen Skispringer bei der Vierschanzentournee und die Arbeit des Bundestrainers Werner Schuster.

Sport: Dominik Ignée (doi)

Stuttgart - Am Samstag beginnt die Vierschanzentournee mit der Qualifikation in Oberstdorf. Jens Weißflog (54) hat die Tournee viermal gewonnen. Daher weiß er, dass besonders für die Deutschen und die Österreicher der Druck enorm ist.

 

Herr Weißflog, befinden Sie sich als Hotelier zurzeit im gewohnten Jahreswechselstress?

Ich habe immer viel zu tun, und über Zahl der Buchungen können wir uns nicht beschweren. Es ist übrigens weiß verschneit bei uns: Ob Langlauf oder Skifahren – in Sachsen ist alles möglich.

Erst Wildkräutersuppe, dann marinierte Black-Tiger-Garnelen auf Bandnudeln und zum Abschluss Siegertörtchen mit Vanillesoße – bei Ihrem Skisprungmenü läuft einem ja das Wasser im Mund zusammen.

Das wird schon sehr gut angenommen, aber die Speisekarte ist groß genug, dass man auswählen kann. Das Skisprung-Menü heißt so, weil das Kind manchmal auch einen Namen braucht.

Kommen die Leute wegen Jens Weißflog?

Sowohl, als auch. Es gibt bestimmt Gäste, die sich sagen: Da schaue ich mal hin. Sicherlich ist mein Name ein Türöffner, doch er allein macht es nicht aus. Es muss auch alles passen. Denn wenn etwas nicht läuft, wird das nicht auf den Verursacher zurückgeführt, sondern es heißt dann: beim Weißflog ist es so und so – und nicht im Hotel da draußen am Waldrand am Fichtelberg.

Erst waren Sie einer der erfolgreichsten Skispringer in der Geschichte des Sports, nun sind Sie Geschäftsmann – da kann man schon zufrieden sein mit seinem Leben.

Vor zwei Jahren feierten wir unser 20-jähriges Hotelbestehen. Ich bin schon fast solange hier wie ich Skispringer war. In der Rede zum Jubiläum habe ich gesagt, dass es wie im Sport ist: Würde es keinen Spaß machen und würde es nicht laufen, dann hätte man längst etwas anderes gemacht.

Wenn man bei Ihnen zur Tür reinkommt, sind bestimmt viele Pokale zu sehen.

Teilweise. Wir sind in dem Sinne kein Museum, aber es muss einfach ein bisschen was dastehen. Im Rezeptionsbereich gibt es eine Pokalvitrine. Wenn in der Vergangenheit aber jemand nach den Medaillen fragte, musste ich ihn enttäuschen, denn die liegen im Tresor. Ich habe sie aber nachgießen lassen für einen Schaukasten. Mit ihnen sind ja auch Geschichten verbunden, die die Gäste manchmal hören wollen.

Am Samstag beginnt in Oberstdorf die Vierschanzentournee – auch mit Ihnen als Zuschauer vor dem Fernseher?

Klar, ich bin dabei. Es wird ja immer leichter, sich nebenher damit zu beschäftigen. Früher musste man die Zeitung in die Hand nehmen, wenn man das Springen nicht verfolgt hat, aber heute gibt es eine Mediathek und genügend Internetplattformen, um sich schlau zu machen. Ich bin permanent informiert – auch wenn ich nicht an der Schanze stehe.

Wie viel ist übrig geblieben vom Skispringen Ihrer Zeit?

Ich vergleiche es immer mit einem Formel-1-Rennwagen. Der von Vettel sieht heute anders aus als der von Schumacher. Es ist zwar immer noch so, dass der, der am schönsten und am weitesten springt, auch gewonnen hat, aber mittlerweile wird auch der Wind dazugerechnet und die Anlauflänge in Punktwerte umgerechnet. Auch das Material hat sich weiterentwickelt. Für den Zuschauer, der nur ab und zu mal reinschaut, ist es vielleicht nicht so ersichtlich, weil sie immer noch von oben nach unten springen – aber es ist weitergegangen. Das Skispringen ist athletischer und noch besser geworden. Inzwischen wird ja auch durch die Schuhe Auflagefläche in der Luft erzeugt und die Skilängen werden in Abhängigkeit zum Gewicht gewählt. Kein Vergleich zu meiner Zeit.

Wären Sie gerne nochmal dabei?

Nein. Alles hatte seine Zeit.

Welche Chancen haben die deutschen Skispringer bei der Tournee?

Mit den Polen zusammen stellen wir sicher die stärkste Mannschaft, da kommen nur wenige ran. Aber es fehlt uns der Mann für ganz vorne, also einer, von dem man sagen könnte, er ist Ryoyu Kobayashi oder Kamil Stoch ebenbürtig.

Keine Hoffnung also?

Das nicht. Von der Erfahrung her traue ich das eher Andreas Wellinger als Stephan Leyhe oder Karl Geiger zu, weil die Erwartungshaltung bei der Tournee eine sehr spezielle ist – gerade für Deutschland und Österreich. Ich lasse mich aber gerne eines Besseren belehren, denn ich gönne Leyhe und Geiger den Erfolg genauso. Aber der Druck ist enorm.

Vor allem für den Oberstdorfer Geiger?

Ja, er hat das letzte Springen vor der Tournee gewonnen und muss jetzt in seiner Heimat ran. Er wird dort ja schon als Mitfavorit angekündigt, ob er will oder nicht. Ob er diesem Druck zu Hause gewachsen ist? Schwierig.

Viel hängt auch Werner Schusters Motivationskünsten ab. Er ist seit 2008 Bundestrainer. Wie beurteilen Sie seine Arbeit?

Er macht es sehr gut. Natürlich ist der Coach auch abhängig davon, was er geliefert bekommt von den Vereinen und Trainern unter ihm. Aber Schusters Team ist es immer wieder gelungen, junge Leute wie Geiger, Wellinger oder Leyhe im Weltcup-Team zu etablieren. Das war in der deutschen Mannschaft mal eine Zeit lang kritischer zu sehen. Doch seit Schuster es macht, ist die Tendenz immer noch positiv, es gibt keinen Abbruch.

Schuster ist Österreicher, wie Mathias Berthold bei den alpinen Männern. Tun Trainer aus dem Alpenland den Deutschen gut?

Es ist oft die Frage, warum so viele Österreicher in anderen Ländern erfolgreich sind. Hier kann man sagen: Sie haben eine Art, die dem Typus Skispringer guttut. Oft betreiben wir Deutschen eine sehr sachliche Analyse, in der es um Punkte und Meter geht, aber die Österreicher verfügen dazu noch über ein spirituelles Gen. Das ist nicht nur im Sport so. Auch im Tourismus orientiere ich mich stark in Richtung Österreich und schaue mir an, was die Leute dort so machen und welche Trends es gibt.

Die Österreicher lassen es also auch ein bisschen menscheln?

Es geht bei der Fehlerverarbeitung ja auch darum, an den Sportler ranzukommen, also auch in die Tiefe seines Wesens. Vielleicht scheitern wir Deutschen da ein bisschen an unserer Sachlichkeit.

Ein ehemaliger Skirennläufer schwingt noch ab, ein Langläufer geht noch in die Loipe – aber springt ein Skispringer auch im fortgeschrittenen Alter von der Schanze?

Es gibt die Master-Szene für Ehemalige, die ist sogar gewachsen, auch 70-Jährige springen da mit. Ich habe aber nie dazugehört. Ich wollte niemandem etwas beweisen und brauchte es auch nicht fürs eigene Gefühl. Als 1996 Schluss war, war Schluss.