Jörg Kachelmann will vom Wetter nicht lassen. Nach dem Prozess wegen Vergewaltigung muss er trotz Freispruchs wieder bei null anfangen. Ein Gespräch über das deutsche Rechtswesen, die Rolle der Medien und Gewitterwolken.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Reutlingen - Der Himmel ist blau, die Sonne scheint, nur ein paar Wolken verdecken sie hin und wieder. Dennoch ist es kühl an diesem Nachmittag in der Reutlinger Pomologie. Jörg Kachelmann ist auf der Durchreise. Seine Frau begleitet ihn. Kachelmann wirkt entspannt. Er ist sich sicher, dass es in den nächsten zwei Stunden nicht regnen wird und setzt sich zum Interview auf eine Parkbank . Ein Gespräch über die Urteile, die ihn vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen haben – und sein Leben danach.

 
Herr Kachelmann, hat sich bei Ihnen inzwischen schon jemand entschuldigt?
Nein. Das ist den meisten Menschen wesensfremd, den meisten Journalisten sowieso. Ich habe auch nicht damit gerechnet.
Und wie geht es Ihnen damit?
Wäre ich eine Frau, würde ich gefeiert, weil ich das alles sechs Jahre durchgehalten habe gegen meine Peiniger, wenn ich mal den kleinen Maskulisten geben darf. Aber die Unterstellung, dass alles, was ich mache, Rache sein soll, halte ich schwer aus. Ich wollte mein Recht.
Sie sagen, dass Sie durch das jüngste Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main den Glauben in die deutsche Rechtsprechung zurückgewonnen haben. Ist das wirklich so?
Ja, ich kann leicht verzeihen. Das Urteil zerlegt das Urteil des Landgerichts Mannheim. Ich hatte immer die Hoffnung, dass es irgendwann gutgeht.
Auf Twitter wirken Sie manchmal wütend.
Ich habe ein wunderbar entspanntes Privat- und Geschäftsleben. Wenn ich auf Twitter schreibe, wirkt das offenbar, als würde ich mit hochrotem Kopf schreiben. Ich habe 1984/85 ja auch bei einer Boulevard-Zeitung, dem Sonntagsblick, gearbeitet. Und habe dort gelernt, aus 200-seitigen Dossiers 30 Zeilen zu machen. Ich schreibe diese Tweets so mittendrin in ein paar Sekunden, während ich das Kind hüte.
Und das wird halt in Eifer des Gefechts manchmal ein bisschen deftig?
Ich begründe doch meine Meinung. Ich hab als Kind schon immer Bundestagsdebatten geschaut, wenn ich in Schaffhausen von der Schule heimgekommen bin. Mit sieben oder acht Jahren habe ich angefangen. Wehner, Strauß, Barzel und Brandt. Damals konnte ich mir auch vorstellen, Politiker zu werden. Etwas mit Leidenschaft zu vertreten, von dem man überzeugt ist, gefällt mir einfach. Ich habe in Schaffhausen als Jugendlicher auch lange Jahre Kommunalpolitik gemacht. In der spätpubertären Zeit. Ich war im Vorstand des Verkehrsclubs der Schweiz. Das waren die Ökos.
Und was haben Sie erreicht?
Man kann ja in der Schweiz ständig Unterschriften für oder gegen was sammeln. Das bestimmte die Samstage. Ich habe Podiumsdiskussionen gegen gestandene Politiker gemacht. Da konnte ich anwenden, was ich vorher aus Bundestagsdebatten gelernt hatte. Wir haben eine Straße und eine Glasfabrik verhindert.
Vielleicht verpassen Ihnen Menschen, die nicht mit Ihrer Hartnäckigkeit im Kampf um Wiedergutmachung gerechnet haben, deshalb das Besserwisser-Etikett.
Klar. Es ärgert manche, dass ich immer noch nerve.
Glauben Sie, dass die Menschen Sie gerne demütiger hätten?
Das ist es. Es haben mir ja 184 PR-Berater ein E-Mail geschrieben und mir geraten, ein halbes Jahr ins Kloster zu gehen und zu sagen: Ich bin jetzt ein neuer Mensch geworden. Das wäre für mich immer ein Schuldeingeständnis gewesen. Zum hundertsten Mal: Ich habe damals moraltheologisch und auch sonst zwischenmenschlich nicht alles richtig gemacht. Aber den Konnex, dass ich deshalb mit einem Verbrechen rechnen musste, finde ich seltsam.
Warum sind Sie nicht in den USA geblieben? Sie werden doch sicher überall erkannt.
Wir hatten zwei Möglichkeiten. Entweder das Geld aus dem Aktienverkauf ganz langsam auszugeben und zu hoffen, dass ich früh das Zeitliche segne. Oder eben Plan B und hier wieder neu anzufangen. Natürlich werde ich hier erkannt. Vor 2010 haben mich über 50-Jährige erkannt, weil sie ARD und SWR geguckt haben. Seit 2010 leider auch die Unter-50-Jährigen. In der Schweiz ist es dezenter. In Deutschland gibt es dieses ungenierte Starren. Wenn wir zu dritt in ein lautes Wirtshaus gehen, bringen wir es mitunter komplett zum Verstummen. Das ist das Schöne im Wal-Mart in den USA. Ich habe dort sicher den halben Blutdruck und den halben Pulsschlag. Hier in Deutschland bin ich immer noch in einem leichten Alarmzustand, der seit 2010 in meinem Leben ist, als ich jede Sekunde von Boulevardjournalisten verfolgt wurde.
Warum sind Sie dann zurückgekommen?
Ich habe einen genauen Plan mit unserer Wetterseite. Wir haben ein eigenes Modell mit Ein-Kilometer-Raster, andere haben 28 Kilometer, sind also viel ungenauer. Wir haben auf kachelmannwetter.com alle verfügbaren Satellitenbilder, alle Gewitter durch globale Blitzortung und das bestaufgelöste Radarbild. So genaue Vorhersagen hat sonst niemand auf der Welt. Nur bei uns kann man schauen, ob es heute irgendwo auf der Welt regnet. Da kann man auch sehen, wenn Sturzfluten kommen. Heute müsste niemand mehr in Deutschland bei einem Unwetter sterben. Niemand wird mehr überrascht. Eine Stunde Vorlaufzeit reicht, um sich und das Wichtigste in Sicherheit zu bringen.
Warum gibt es trotz des Wissens dann noch Unwettertote wie in Braunsbach?
Wir sind noch neu und unbekannt. Aber unser Know-how kann Leben retten, wir kümmern uns erfolgreich auch um rotierende Gewitterwolken, damit niemand mehr von einem Tornado überrascht wird.
Wer nutzt dann Ihre Voraussagen?
Die Leute, die unsere Seite kennen. Und wir sind in Gesprächen mit Behörden, weil unsere Produkte die beste Brücke sind zwischen DWD-Warnungen und den Pegelvorhersagen der Hochwasserkollegen. Da gibt es eine Lücke in der Warnkette, die wir mit all diesen Dingen perfekt schließen. Und es gibt die klassischen Kunden wie Radio Regenbogen mit Sitz in Mannheim. Da bin ich zwei Mal pro Woche auch zu hören. Dass ich dort wieder Wetter machen darf, ist ein wichtiges Zeichen. Die Frau, die mich falsch verdächtigt hat, hat ja schon versucht, mich gesamthaft zu vernichten. Jedes Lebenszeichen gerade am Ursprung der Falschbeschuldigung ist natürlich auch ein Signal, dass es nicht funktioniert hat.
Aber sehr viel tiefer, als Sie gefallen sind, konnten Sie nicht fallen.
Ja klar. Wir haben alles verloren. Ich musste alles, was ich hatte, verkaufen. Ich musste die Aktien der Altfirma verkaufen. Selbst mit einem Freispruch ist das so, dass Sie seelisch und materiell vernichtet sind, deshalb gibt es so viele Falschbeschuldigungen, weil sie immer funktionieren.
Haben Sie mal überlegt, was anderes als Wetter zu machen?
Ich kann ja nichts anderes außer Wettervorhersagen und Moderieren. Aber auch nach dem Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt wird wohl keine Fernsehkarriere mehr gelingen.
Aber auf Twitter und in den YouTube-Filmen halten Sie Ihr Gesicht hin?
Ja. Die werden bezahlt. Das ist nicht unwichtig. Aber eigentlich hat mir das Moderieren im Ersten sowieso nur mäßig Spaß gemacht.
Wie bitte? Das sah anders aus.
Es gab einen großen Konformitätsdruck, der etwas die Spielfreude nahm. Dass man das nicht gemerkt hat, ist gut. Ich wollte immer alles, was ich in meinem Leben gemacht habe, professionell machen und meine Arbeitgeber zufriedenstellen. Wenn ich’s mach, mach ich es mit Fröhlichkeit und Verve. Ich bin unfroh, dass ich es wegen der Falschbeschuldigung nicht mehr machen darf. Das ärgert mich. Ich hätte den Zeitpunkt des Abschieds gerne selbst entschieden. Die ARD hat sich mit einer verurteilten Falschbeschuldigerin solidarisiert statt mit einem Verbrechensopfer, das 18 Jahre für den Laden gearbeitet hat.
Träumen Sie noch von einem Wetterkanal?
Ja. Er fehlt weiterhin, obwohl es das Internet-Zeitalter nicht einfacher gemacht hat, so was erfolgreich zu machen.
Sie waren ein Pionier, der dem Wetter die Leichtigkeit gegeben hat.
Mich hat es immer sehr angestrengt und ich habe mich sehr missverstanden gefühlt, wenn es hieß „hat den Wetterbericht zur Show gemacht“. Eben nicht! Dabei sind wir inzwischen links und rechts überholt worden, von Leuten die angeblich voraussagen können, wie der Winter wird. Wir sind heute fast die letzten Seriösen.
Aber irgendwas haben Sie anders gemacht als Ihre Vorgänger.
Ich stamme aus einem Eisenbahner-Haushalt, mein Vater war Beamter der deutschen Bundesbahn. In unserem Haushalt wohnte entsprechend eine gesunde Eisenbahner-Grundvulgarität. Ich habe zwar auch ein großes Latinum, was ich auch raushängen lassen kann. Aber das war das Neue damals: Lokale Vorhersagen, die stimmen, das Wort „schiffen“, und ich habe immerhin „SWF3-Land“ erfunden, was viele andere Sender nachmachten.
Schauen Sie denn den ARD-Wetterbericht Ihrer Ex-Mitarbeiter an?
Nein, ich schaue das nie. Das habe ich auch früher nie getan. Ich weiß ja, wie das Wetter wird und will auch nicht lernen, wie es nicht wird.