Seit Ende Juli ist Jürgen Klinsmann der Fußball-Nationaltrainer der USA. Im Interview spricht er über seine neue Aufgabe - und Philipp Lahm.

Sport: Heiko Hinrichsen (hh)

Stuttgart - Seit Ende Juli ist Jürgen Klinsmann der Fußball-Nationaltrainer der USA. "Nach dem Bundestrainerjob ist das die reizvollste Aufgabe für mich", sagt Jürgen Klinsmann, der in Kalifornien lebt und auf seiner zehntägigen Europareise auch in Stuttgart vorbeigeschaut hat.

 

Herr Klinsmann, Sie waren am Samstag beim 3:0-Sieg des VfB gegen Hannover im Stadion. Wie sind Ihre Eindrücke von der Mannschaft und der neuen Arena?

Nach unserem Länderspiel in Belgien (0:1, Anm. d. Red) und meinen Clubbesuchen in Bolton, Everton und Hoffenheim, wo Kandidaten für unser Nationalteam spielen, hatte ich etwas Zeit, auch in Stuttgart vorbeizuschauen. Das hatte in erster Linie private Gründe. Ich habe mich sehr gefreut, kurz daheim in Botnang zu sein, die Mutter und die Familie zu sehen. Auch das neue Stadion war ein echtes Erlebnis. Und der VfB hat sich große Mühe gegeben, um zu gewinnen - und ist für sein Engagement belohnt worden. Die Atmosphäre war toll. Früher musste ich beim Torjubel ja meistens 30 Meter bis zum A-Block laufen.

Sie haben für den VfB in 156 Ligaspielen 79 Tore geschossen. Haben Sie sich gleich wieder heimisch gefühlt?

Es ist immer schön, alte Weggefährten wie den Karl Allgöwer oder den Guido Buchwald zu treffen und mit ihnen zu reden. Also war ich am nächsten Tag auch bei den Kickers, da hat der Guido drauf bestanden. Beide Stadienbesuche in Stuttgart waren echte Highlights. Ein Spiel beim VfB mit dem ganzen Bundesligakomfort läuft ja auf einer anderen Ebene ab. Wenn du dann aber am nächsten Tag in der Regionalliga mit den Kickers mitfieberst, macht das auch Spaß. Die Kickers hatten gegen Eintracht Frankfurt II einen richtig guten Tag. Auf der Waldau sitzt man nicht in irgendeiner Box. Da schreien sie dir noch direkt ins Ohr - das sind Emotionen pur.

Beim VfB haben Sie sich nach dem Schlusspfiff mit Hannovers Kapitän Steve Cherundolo getroffen. Bei den Kickers werden Sie dagegen wohl keinen tauglichen US-Auswahlspieler gefunden haben.

Doch!

Sie machen uns neugierig.

Bei den Kickers spielt Dominique Fennell, ein Innenverteidiger mit doppelter Staatsbürgerschaft, der seine Sache gut gemacht hat. Ich sage jetzt nicht, dass er ein Kandidat für das A-Nationalteam ist. Aber er könnte im Olympiateam spielen. Wir haben zurzeit einige solche Spieler mit Potenzial im Unterbau. In Hoffenheim spielen zwei, bei den Hertha-Amateuren drei.

Das klingt zuversichtlich. Ist das Amt als US-Nationaltrainer also Ihr Traumjob?

Ich lebe seit 13 Jahren in den USA, meine Frau ist Amerikanerin und meine Kinder sind mehr amerikanisch als deutsch, denn sie sind in Kalifornien groß geworden. Natürlich haben sie eine deutsche Neugier in sich - aber ihre Heimat sind die USA. Dadurch habe ich eine große Verbundenheit mit dem Land. Das ist anders als etwa mit Italien, wo ich auch gespielt und gelebt habe. Es ist daher eine faszinierende und emotionale Aufgabe, die nach derjenigen in Deutschland sicher die reizvollste ist. Es passt einfach: Die Familie bleibt zu Hause in Huntington Beach, von wo es zum sportlichen Leistungszentrum in Carson bei Los Angeles nur 30 Minuten Fahrzeit sind.

Sie galten schon häufiger als Kandidat für den Posten des US-Nationaltrainers.

Der amerikanische Fußballverband und ich haben fünf Monate nach der WM 2006 und dann noch mal nach der WM 2010 in Südafrika miteinander gesprochen, aber wir kamen auf keinen gemeinsamen Nenner. Die Zeit war damals nicht reif - jetzt hat es gepasst. Der Verband hat gemerkt, dass er in die Vollen gehen muss.

Was sind Ihre Aufgaben?

Der Job ist nicht mit dem in Deutschland zu vergleichen, denn ich muss in den USA viel mehr Aufbauarbeit leisten. Das große Ziel ist die Teilnahme an der WM 2014 in Brasilien. An diesen Entwicklungen werde ich auch gemessen. Da die Qualifikation für Brasilien in Nordamerika erst im Sommer 2012 beginnt, wenn hier die Europameisterschaft läuft, mache ich mir aktuell ein Bild von der Qualität der Spieler. Ich knüpfe Kontakte zu ihren Vereinen und den Clubtrainern in Mexiko, in den USA und in Europa.

Zusätzlich sollen Sie ein Ausbildungskonzept erstellen.

Das stimmt. Meine zweite Aufgabe ist die Umstrukturierung der Nachwuchsarbeit. Wir werden einen Leitfaden für alle US-Juniorentrainer bis runter zur U14 entwickeln. Darin stehen Vorgaben bezüglich der Spielphilosophie und der Trainingsarbeit sowie die Lehrpläne. Der amerikanische Jugendfußball ist teils noch ein Wilder Westen. Ich habe also zwei komplexe Themenfelder, und ich freue mich sehr, sie zu bearbeiten.

Welche Erwartungen haben die amerikanischen Nationalspieler an Sie?

Wir haben einige, die auf einem guten Weg sind, von sich reden zu machen. Zwei Beispiele sind Michael Bradley, der von Gladbach zu Verona ging, oder Fabian Johnson aus Hoffenheim, den ich erstmals in die Nationalelf berufen habe. Ich glaube, bei vielen Jungs schwingt auch ein wenig die Hoffnung mit, dass ich mithelfe, zu erkennen, wann für sie der Moment gekommen ist, den nächsten Karriereschritt zu machen. Letztlich wollen sie ja alle auch mal in der Champions League auflaufen - und nicht "nur" in der ersten Liga in England, Deutschland, Italien oder Mexiko.

Sie waren Bundestrainer bei der Heim-WM 2006, dann bekamen Sie die Verantwortung beim Rekordmeister FC Bayern, jetzt der Job in den USA. Sind Sie ein Glückspilz?

Ich bin unglaublich dankbar, dass ich diese Möglichkeiten bekommen habe. Wenn Berti Vogts 2004 nicht bei mir im Urlaub vorbeigekommen wäre und das Thema Bundestrainer beim DFB angestoßen hätte, wäre es auch zu vielem, dass sich dann anreihte, gar nicht gekommen. Aber ich glaube, ich habe auch viel gegeben. Ich habe viel investiert, an Wissen, Ausdauer und Kraft. Obendrein habe ich viel über mich selbst hinzugelernt. Das ist ein spannender Prozess, der ständig weitergeht.

Sie gelten in vielen Bereichen als Vorreiter im deutschen Fußball, nehmen wir den Einsatz von Psychologen. Trotzdem schreibt Philipp Lahm in seiner Autobiografie, er hätte beim FC Bayern nach sechs Wochen gemerkt, dass es nicht funktioniert. Trifft Sie das?

Nein. Denn das ist die Sichtweise eines Spielers, der gar nicht den Gesamtüberblick eines Trainers haben kann. Ein Spieler denkt in erster Linie an sich - und ich habe sogar Verständnis dafür. Ich habe als Spieler aus meiner Sicht auch nie den perfekten Trainer gehabt, obwohl ich viele, große, fantastische Trainer hatte. Ich war halt ein Stürmer - und hätte gerne jeden Tag Torschusstraining gemacht. Ein Trainer muss aber ein Puzzle aus 25 Spielern und ihren Interessen zusammensetzen. Dass Philipp seine Ideen entwickelt hat, verstehe ich. Dass er sie öffentlich macht, ist etwas anderes. Das zeigt seinen Charakter. Aber ich habe keine Lust, daraus ein Thema zu machen. Das langweilt mich.

Hätten Sie rückblickend in Ihrer Zeit beim FC Bayern etwas anders gemacht?

Letztlich sind mit mir und den Bayern-Chefs zwei Welten aufeinandergetroffen, die nicht kompatibel sind. Also war es richtig, das Engagement zu beenden, denn wir waren sehr häufig nicht auf einer Wellenlänge. Dass es nicht passt, weißt du aber erst hinterher. Es war aber eine Lebenserfahrung, die mich weiter gebracht hat.