Kultur: Stefan Kister (kir)
Wodurch ist die Vielfalt bedroht?
Nach „Fifty Shades of Grey“ gab es in vielen Verlagshäusern Soft-Sadomaso-Literatur, wo man genau gemerkt hat, das ist alles nach demselben Muster gestrickt. Wenn ein besonders brutaler Thriller Erfolg hat, kommt ein halbes Jahr später in allen Verlagsprogrammen ein besonders brutaler Thriller. Die Cover gleichen sich. Das alles führt zu einer Verarmung der kulturellen Vielfalt. Mit der Bibliodiversität möchte man dem entgegensteuern. Diese wird unterstützt von einer internationalen Allianz, die die unabhängigen Verlage fördert. Wir gehen eine Selbstverpflichtung ein, können aber gleichzeitig den großen Verlagen selbstbewusst entgegentreten: Du hast mehr Geld, wir sind bibliodivers. Bei Lyrikproduktionen, Werkausgaben und bei der Wiederentdeckung von Klassikern sind die Unabhängigen den Großen voraus.
Wie überleben kleine Verlage?
Wie genau, weiß ich selbst nicht. Wenn man sich hinsetzt und ein Programm, von dem man absolut überzeugt war, durchrechnet, kommen einem zuweilen die Tränen. Irgendwie, mit viel Glück und Chuzpe überlebt man das – wir schon seit 22 Jahren. Und dann kommt so ein Jahr wie 2016, in dem alle Preise der Buchmessen an Verlage der Kurt-Wolff-Stiftung gegangen, die in Deutschland die Interessen der unabhängigen Häuser vertritt: an Schöffling, die Frankfurter Verlagsanstalt und Matthes & Seitz. Eine literarische Öffentlichkeit goutiert, dass wir diese Aufgaben übernehmen.
Zuletzt bedrohte das sogenannte VG-Wort-Urteil die Existenz der Unabhängigen.
Es herrscht ein Krieg um das Copyright, große interessierte Player, darunter Gerätehersteller, vor allem aber die großen Internetfirmen, haben es geschafft, einen Keil zwischen die Autoren und Autorinnen auf der einen und den Verlagen auf der anderen Seite treiben, um auf Dauer das Copyright infrage zu stellen und ihren Bedürfnissen anzupassen. Dieser Kampf findet weltweit statt, auch das deutsche VG-Wort-Urteil gibt es nur deshalb, weil auf europäischer Ebene ein Urteil erfolgte, das besagte, Verlage seien an der Urheberschaft nicht beteiligt. Weshalb in Deutschland auch nur noch die Autoren an Ausschüttungen beteiligt werden müssten, mit denen die Verwertungsgesellschaft die von Bibliotheken, Pressespiegel-Nutzern oder Geräteherstellern eingenommenen Gelder verteilt. Für viele Verlage aber ist der bisher an sie geflossene Anteil zwischen 30 und 50 Prozent überlebensnotwendig. Die nun fälligen Rückzahlungen des bisher Gezahlten treffen viele hart.
Viele Ihrer Autoren hatten sich mit Ihnen solidarisiert. Mittlerweile hat man sich auf einen neuen Verteilungsplan geeinigt, der vorsieht, dass Autoren zu Gunsten ihres jeweiligen Verlages auf einen Teil der Ausschüttung verzichten können, wenn sie das wünschen. Können Sie damit leben?
Ich finde diese Regelung, die auf Freiwilligkeit basiert, gut. Der Verbrecher Verlag kann damit leben, und ich war wirklich überrascht, wieviel Zuspruch wir erfahren haben. Das wird aber, fürchte ich, nur eine Übergangsregelung sein. Es sind immer noch Klagen anhängig.
Auf was hoffen Sie?
Ich würde mich sehr freuen, wenn man sich auf beiden Seiten des Verkaufstresens, bei den Verlagen, den Buchhandlungen, aber auch bei den normalen Leserinnen und Lesern um drei Sachen mehr bemühen würde. Das erste ist Aufmerksamkeit: Muss ich mich wirklich davon enttäuschen lassen, dass ich einen Krimi kaufe, dessen Inhaltsangabe genau zu der Inhaltsangabe passt, die ich vor drei Wochen gelesen habe? Das zweite wäre Neugierde, der Blick über den Tellerrand: nicht nur den braven Hund streicheln, sondern sich auch am stachligen Igel erfreuen. Und zum dritten schließlich mehr Selbstbewusstsein: dass man sich als Leser nicht von Sperrigem abschrecken lässt, und als Verleger oder Buchhändler stolz im Laden steht und sagt, wir haben hier doch viele gute Sachen zu bieten.