Am Montag fliegt die Stuttgarter Hochspringerin Marie-Laurence Jungfleisch zur Leichtathletik-WM nach Moskau. Im StZ-Interview berichtet sie vom Leben zwischen zwei Welten, Rassismus und der richtigen Einstellung bei Wettkämpfen.

Stuttgart – - Marie-Laurence Jungfleisch bewegt sich in zwei gegensätzlichen Welten: Als Erzieherin hat sie jeden Tag in einer Cannstatter Kita mit den Kleinsten zu tun, als Weltklasse-Leichtathletin schraubt sie sich hoch hinaus. Am Donnerstag wird es für die Deutsche Meisterin beim Hochsprung-Wettbewerb der Leichtathletik-WM ernst.
Frau Jungfleisch, wir sind umgeben von Playmobil, Wasserfarben und Kuscheltieren. Eben hat eine Kinderhorde die Räume verlassen, deren Lautstärkepegel manchmal entfernt an eine Gruppe Brüllaffen erinnert. Warum treffen wir uns ausgerechnet hier?
Weil ich Erzieherin bin und das der tollste Beruf der Welt ist. Ich bin in Cannstatt gerade in meinem vierten Lehrjahr, hinter mir liegen eine Menge an pädagogischer Theorie und etliche Praktika. Nach diesem Jahr ist meine Ausbildung beendet.
Über Kitas wir zurzeit viel geredet. Es fehlen Räume, es fehlt an qualifiziertem Personal. Wird dem Beruf der Erzieherin genug Wertschätzung entgegengebracht?
Nein, sicher nicht. Manche Eltern glauben: Was eine Erzieherin kann, das kann ich selbst auch. Dabei haben wir eine lange und gründliche Ausbildung. Die Kinder können in den Kitas viel lernen und sich entwickeln, hier haben sie soziale Kontakte. Manchen Kindern fehlen im eigenen Elternhaus diese Gelegenheiten.
In Stuttgart werden in der Industrie gute Gehälter bezahlt. Wie empfinden Sie Ihre Bezahlung?
Wir sind unterbezahlt, ganz klar. Wenn der Beruf besser bezahlt wäre, würden sich bestimmt mehr Menschen für ihn interessieren und eine Ausbildung machen. Viele schreckt die vergleichsweise geringe Bezahlung ab.
Deshalb ergreifen vermutlich so wenige Männer den Beruf.
Ich finde es schade, dass so wenige Männer Erzieher werden wollen. In unserer Kita arbeitet ein Mann. Die Kinder sind glücklich, dass er da ist, er ist immer mittendrin. Es ist doch bedauerlich, dass für manche Leute Erzieher ein Traumberuf ist – sie ihn aber nur deshalb nicht ausüben, weil sie woanders mehr Geld verdienen.
Was bedeutet Ihnen Wertschätzung?
Viel, das versuche ich auch den Kindern zu vermitteln. Du musst offen sein für Menschen und dich bemühen, andere mit all ihren Stärken und Schwächen zu akzeptieren.
In Cannstatt herrscht Multikulti – wie in vielen anderen Bezirken der Stadt.
Das stimmt. Zu uns kommen Kinder aus Afrika, viele haben türkische Wurzeln, die Eltern der anderen stammen aus Russland, Arabien, dem Iran oder aus Deutschland. Wir haben Kinder aus vielen verschiedenen Nationen in unserer Kita.
Schlechte Deutschkenntnisse sind die höchste Hürde bei der Integration. Wie verstehen sich alle untereinander?
Die Kinder sprechen unterschiedlich gut Deutsch. Wenn wir im Morgenkreis zusammensitzen, wünschen wir uns in allen möglichen Sprachen einen guten Morgen. Wir fördern also die Sprachvielfalt. Gleichzeitig gibt es Sprachgruppen, in denen die Kinder gefördert werden, die Probleme mit der deutschen Sprache haben.
Oft spielt die Einstellung der Eltern eine große Rolle. Wie behelfen Sie sich, falls es Probleme mit einem Kind gibt und die Eltern kaum Deutsch können?
Bei uns ist gerade ein russisches Kind, dessen Eltern nur wenig Deutsch sprechen. Glücklicherweise kann eine unserer Erzieherinnen Russisch. Bei anderen Kindern unterstützen uns Dolmetscher.