Kölns scheidender Kardinal Meisner ist ein Freund klarer Worte: Abtreibung bezeichnet er als Selbsttötung der Gesellschaft. Frauen sollten den Mut zur Familiengründung jenseits der Karriere haben.

Familie, Bildung, Soziales : Michael Trauthig (rau)
Köln Die Wunden der Missbrauchsopfer soll ein Glaubensfest Anfang Juni in Köln heilen, sagt Joachim Meisner. Der Theologe beklagt die Gotteskrise und kritisiert die Familienpolitik. Deutschland sterbe aus, habe aber zugleich eine perfekte Gesetzgebung für Abtreibung und dränge die Frauen aus den Familien heraus, um die Produktion zu sichern.
Herr Kardinal, warum veranstalten Sie einen Gegen-Katholikentag?
Das ist ein Missverständnis. Der Eucharistische Kongress Anfang Juni in Köln hat mit dem Katholikentag überhaupt nichts zu tun. Vielmehr: als vor fast vier Jahren die sexuellen Missbräuche sichtbar wurden, hat mich das so erschüttert, dass ich überlegte, wie Heilung möglich ist. Die schaffen wir selbst nicht. Wir beten in der Pfingstsequenz „Heile, was verwundet ist“, und wir haben den Heiland in der Eucharistie in unserer Mitte. Diese Kraft wollen wir nun wirksam werden lassen mit einem großen Glaubensfest, damit die vielen Verwundungen wieder geheilt werden können.

Sind die Opfer direkt am Kongress beteiligt, oder widmet sich eine der 800 Veranstaltungen speziell der Missbrauchs-Problematik?
Die Opfer sind natürlich eingeladen wie alle katholischen Christen auch. Wir leben heute in einer Gotteskrise, in einer Glaubenskrise, in einer Kirchenkrise. Dabei haben wir Christus selbst in der Gestalt des Brotes unter uns, der aus allen Schwierigkeiten heraushilft. Das wollen wir mit dem Kongress bewusst machen.

Wie viel Teilnehmer werden kommen?
Ich hoffe: viele. Aber wissen Sie, ich komme aus einer Diasporagemeinde. Ich verfalle deshalb keiner Zahlenmagie. Als ich noch in der DDR war, habe ich die heilige Messe oft mit zwei, drei Leuten gefeiert. Der Bischof hatte zu uns jungen Priestern gesagt, über solch geringen Besuch sollten wir uns nicht ärgern. Wir sollten vielmehr hinter den zwei, drei Gästen Platz nehmen, warten, bis wir den österlichen Herrn zwischen ihnen erkennen und dann die Messe feiern. Eine solche Haltung müssen wir auch allgemein wieder lernen.

Sie haben Ihren Rücktritt angekündigt. Sind Sie es leid, das Enfant terrible unter den Bischöfen zu geben?
Nein, denn so sehe ich mich nicht. Ich bin seit mehr als 38 Jahren Bischof mit den Stationen Erfurt, Berlin und Köln. Niemand gehört so lange der Deutschen Bischofskonferenz an wie ich. Ich bin froh, wenn ich die Verantwortung für dieses große Erzbistum abgeben kann, und ich bin dankbar für das, was ich hier wirken durfte.

Sie gelten den Medien als konservativer Strippenzieher in der Bischofskonferenz. Diesen Einfluss verlieren Sie dann.
Wenn ein Bischof ins Amt kommt, dann hat er den Eid abzulegen auf das Glaubensbekenntnis und auf den Papst. Nun sollen mir mal die Journalisten nachweisen, wo ich diesen Eid verletzt habe. Ich habe mich nur an die Vorgaben gehalten. Schon als ich nach Köln kam, war die Presse gegen mich, obwohl sie mich gar nicht kannte. Ich frage mich, wie es sein kann, dass durch die Medien eine Wirklichkeit vorgegaukelt wird, die es gar nicht gibt.

Sie haben den Medien mit provokanten Sprüchen aber auch Futter geliefert.
Zum Beispiel?

Sie haben Abtreibung mit dem Holocaust verglichen.
Ich habe Missstände beim Namen genannt, wo sich Menschen zum Herrn über das Leben machen. Wir sind ein sterbendes Volk, haben aber eine perfekte Gesetzgebung für Abtreibung. Ist das nicht die Selbsttötung einer Gesellschaft? Am liebsten will man auch noch die Frauen aus den Familien heraus haben, damit die Produktion weiterläuft. Mit Geld allein kann man aber keine Kinder bekommen.

Ganztagsschulen und Kinderkrippen sind Ihnen ein Dorn im Auge?
Nein, aber es wäre doch für die Gesellschaft besser, ein Klima zu schaffen, in dem Frauen mehr Kinder zur Welt bringen. Das heißt: den hohen Wert der Familie mit Mutter und Vater für die Kinder bewusst machen. Natürlich gilt es, die materielle Sicherheit der Frau, auch für ihre spätere Rente, dabei zu gewährleisten. Ich habe ja die ganze einseitige Tragik schon mal mitgemacht in der DDR. Dort hat man den Frauen eingeredet, wer wegen der Familie zu Hause bleibe, sei dement. Weil man Produktionskräfte brauchte, wurde die Kinderkrippe erfunden. Dazu sagte ein sozialistischer Pädagoge: „Die Kinderkrippe ist in der Bibel ein Provisorium, und wir haben eine ständige Einrichtung daraus gemacht.“

Aber Frauen wollen sich doch selbst im Beruf verwirklichen.
Nicht alle. Wo werden denn Frauen wirklich öffentlich ermutigt, zu Hause zu bleiben und drei, vier Kinder auf die Welt zu bringen? Hier müsste man einsetzen und nicht – wie es jetzt Frau Merkel tut – nur die Zuwanderung als Lösung unserer Demografieprobleme präsentieren. Wir können doch den Portugiesen und Spaniern nicht die Jugend und damit die Zukunft ihres Landes wegnehmen, nur aus Egoismus. Wir sollten diese Arbeitslosen zwar ausbilden und ihnen so eine Perspektive geben, aber sie dann auch wieder in ihre Heimat gehen lassen, wo sie gebraucht werden.

Mit Ihrer Schelte der aktuellen Familienpolitik stoßen Sie die Mehrheit der Bürger vor den Kopf.
Ich habe mich nie nach dem Mainstream, sondern immer nach dem Evangelium gerichtet. Das Evangelium ist nicht immer bequem, auch nicht für mich. Im Übrigen reflektiere ich nicht zuerst darüber, wie etwas ankommt. Ich rede, wo es sein muss, sei es gelegen oder ungelegen. Es geht um die Botschaft nicht um den Boten. Und da bin ich manchmal ganz verzweifelt. Denn aus meinen Predigten wird in manchen Zeitungen nie die Glaubensbotschaft zitiert.

Die Kirchenvolksbewegung sagt, Sie hätten der Kirche geschadet. Lässt Sie das kalt?
Völlig. Wenn die mich loben würden, müsste ich mich fragen, was ich verkehrt gemacht habe. Die Gruppe kann ich nicht akzeptieren, schon wegen ihres verkehrten Grundansatzes. Sie nennt sich Kirche von unten. Es gibt aber nur eine Kirche von oben her.

Ihre Amtsführung in Köln hat offenbar viele Gläubige verschreckt. 300000 Austritte hat es während Ihrer Zeit gegeben. Welche Fehler haben Sie gemacht?
Niemand ist fehlerfrei. Unsere Zahlen spiegeln leider Gottes einen Trend. Freilich sind im Januar, Februar dieses Jahres sehr viele ausgetreten, nachdem ein mutmaßliches Vergewaltigungsopfer an zwei Kliniken keine Pille danach bekommen hatte. Das hat mich erschreckt, und ich habe in Absprache mit Rom die Konsequenzen gezogen, als klar war, dass es mittlerweile eine Pille danach ohne abtreibende Wirkung gibt.

Also war es ein Fehler, in katholischen Kliniken nicht eher dieses Mittel zuzulassen?
Das ist leicht gesagt. Ich bin kein Arzt. Alle Bischöfe wussten bis zum Januar nicht, dass es so eine Pille gibt. Unsere Grundsatzentscheidung bleibt, dass kein befruchteter Embryo abgetrieben wird.

Ist das nicht unbarmherzig gegenüber der betroffenen Frau?
Vergewaltigung ist ein schlimmes Verbrechen. Wir informieren die Frau auch über Methoden, die nach katholischer Auffassung nicht vertretbar sind und raten sehr davon ab. Das hilfloseste Wesen in diesem Fall ist das embryonale Kind. Wenn die Kirche sich vor dieses Kind stellt und so den schwächsten Beteiligten schützt, ist das nicht unbarmherzig.

Folgen Sie mit Ihrer Entscheidung zurückzutreten, eigentlich dem Vorbild Benedikts?
Nein. Ich bin ja zunächst gar nicht einverstanden gewesen mit dessen Entschluss. Das Papstamt ist schließlich keine Funktion. Der Papst ist der Petrus von heute. Da kann er auch ruhig alt sein und da sollte es heißen, wie bei der Ehe: „Bis dass der Tod euch scheidet“. Mittlerweile kann ich allerdings voll Ja sagen zu Benedikts Entscheidung. Ich selbst freilich erreiche in sieben Monaten mit 80 Jahren schlicht die Altersgrenze für einen Kardinal. Da ist der Rücktritt ganz normal.

Haben Sie im Konklave eigentlich für Franziskus als Papst gestimmt?
Sie wissen, dass das geheim bleiben muss. Ich kann nur so viel sagen: Kein Ereignis in meiner kirchlichen Tätigkeit hat mich so angestrengt wie die beiden Konklave – physisch und psychisch. Man ist mitverantwortlich für das Schicksal der Weltkirche.

Die Öffentlichkeit erhofft von Franziskus Reformen, etwa mehr Demokratie in der Kirche oder die Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zur Eucharistie.
Daraus wird wohl kaum etwas werden. Ich warne da vor falschen Hoffnungen. In Fragen der Lehre passt zwischen Benedikt und Franziskus kein Blatt. Zu solchen Reformforderungen würde Franziskus wohl sagen – wenn ich ihn richtig interpretiere: Diese alten Anliegen hat die Kirche längst geordnet, macht euch endlich an die Neuevangelisierung der Welt, geht zu den Menschen und dreht euch nicht dauernd im Kreis.