Von Stuttgart in die Hauptstadt: der scheidende künstlerische Direktor des Schauspiels Stuttgart, Klaus Dörr, übernimmt mit der Berliner Volksbühne eines der führenden deutschsprachigen Theater. Im Interview sagt Dörr, wie es jetzt weitergeht.

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Stuttgart - Vorschusslorbeeren für seinen Weggefährten Klaus Dörr gibt es von Stuttgarts Schauspielintendant Armin Petras am Freitagmittag in einem kurzen Gespräch mit unserer Zeitung: „Wir verstehen das als Würdigung unserer Arbeit hier. Klaus Dörr ist eine besondere Persönlichkeit. Er hat nicht nur die Fähigkeit, mit Finanzen zu jonglieren, sondern ein großes Herz für die Kunst. Er zeigt, dass er gut mit den Künstlern zusammen arbeiten kann. Meine Intendanzen wären ohne ihn nicht möglich gewesen.“ Klaus Dörr selbst ist an diesem Tag in Berlin und beantwortet am Telefon erste Fragen.

 
Herr Dörr, ahnten Sie, dass Sie bald allein die Volksbühne leiten würden, als Sie kürzlich den Vertrag für den geschäftsführenden Direktor an der Volksbühne unterschrieben haben?
Nein. Ich habe das erst gestern erfahren.
Was war Ihr erster Gedanke? Hatten Sie eine schlaflose Nacht?
Das wird ein Teufelsritt. Nein, im Ernst: Ich fühle mich produktiv angespannt. Und Und was meinen Schlaf betriftt: der ist mir heilig.
Hat der Intendant Chris Dercon hingeworfen, weil er nicht mit Ihnen arbeiten wollte?
Ich habe frühzeitig mit dem Berliner Senat und natürlich mit Chris Dercon und Marietta Piepenbrock und meinem Vorgänger gesprochen. Dass ich geschäftsführender Direktor werde, war eine einvernehmliche Lösung. Es gab allerdings auf Bitten von Chris Dercon letzten Montag einen Termin mit dem Senat, um die finanzielle Situation und die Bespielbarkeit des Hauses darzulegen.
Und?
Es mussten im Herbst zwei Projekte verschoben werden, was Lücken in den Spielplan gerissen hat. Der größte Teil des Repertoires ist zu schlecht besucht, um länger gespielt zu werden. Eine Abwärtsspirale, bei der klar war, sie ist nicht schnell zu stoppen.
Sind die Koffer für Berlin schon gepackt?
In Abstimmung mit dem Intendanten Armin Petras und dem Geschäftsführenden Intendanten Marc-Oliver Hendricks haben wir vereinbart, dass ich zweieinhalb Tage in Stuttgart bin, die restliche Zeit in Berlin. Ich werde alles tun, um die Intendanz hier gut zu Ende zu bringen.
Jetzt dürfen Sie nicht nur über Verträge verhandeln, sondern auch über den Spielplan. Nehmen Sie Stuttgarter Inszenierungen mit?
Natürlich nicht. Sie gehören ja dem Theater. Alle bereits eingegangenen Verabredungen für Produktionen werden eingehalten. Der Spielbetrieb läuft weiter. Es gibt Verabredungen für den Herbst – und eine Lücke, die sinnvoll zu füllen ist. Ich werde darüber nachdenken, Inszenierungen einzukaufen, zu adaptieren. Und ich denke auch an ein bis zwei Neuproduktionen. Im Januar 2019 hat die aktuelle Hausregisseurin Susanne Kennedy eine Premiere, die Arbeit steht nicht zur Disposition.
Dennoch, wie bringen Sie Künstler dazu, wieder zur Volksbühne zu kommen – wie groß ist der Imageschaden des Hauses?
Die Volksbühne war weltberühmt unter Frank Castorf. Wie groß der Schaden ist, weiß ich nicht, es wird aber eine Weile dauern, das Theater in ein gutes Fahrwasser zu bekommen. Was und welche Inszenierungen wir bringen, hängt von so vielen Faktoren ab, auch von der Verfügbarkeit der Schauspieler, von Geld. Es gibt zurzeit kein Ensemble, man muss für alles Gäste verpflichten. Ich versuche es zu ermöglichen, dass sich wieder ein Ensemble bilden kann. Schauspielerinnen und Schauspieler kommen wegen guter Regisseure, Stücke, Konzeptionen.
In Berlin am Maxim Gorki Theater und in Stuttgart waren Sie stets stellvertretender Direktor. Vielleicht gefällt es Ihnen, Intendant zu sein.
Ein Interrimsintendant wird niemals Intendant. Und ich will das auch nicht. Kommissarisch die Position längere Zeit zu übernehmen, kann ich mir vorstellen, aber ich halte es für wichtig, einen Künstler als Theaterleiter zu haben.
Armin Petras ist ab Sommer frei. Matthias Lilienthal von den Münchner Kammerspielen hat bald keinen Intendantenposten mehr ...
Ich kann keine Namen nennen. Es geht jetzt erst einmal darum, das Haus zu stabilisieren. Ich muss Gespräche führen und werde mich auch von Kollegen beraten lassen. Heute habe ich mich bereits bei den Mitarbeitern vorgestellt.
Wie war der Empfang?
Freundlich, heiter.
Was nehmen Sie aus Stuttgart mit, welche Fehler werden Sie nicht mehr machen? Sie hatten ja auch schon mit sinkenden Besucherzahlen zu kämpfen.

Dafür sind die Situationen in Berlin und Stuttgart zu unterschiedlich. Grundsätzlich gilt: Man lernt jeden Tag im Theater und muss immer offen bleiben. Wir sind jetzt wieder bei einer Auslastung von 80 Prozent, haben noch einige Premieren vor uns, ein Festival und einen Saisonabschluss – alles ist gut vorbereitet und wir alle gehen hoch motiviert ins Finale.

Zur Person:

Klaus Dörr, Jahrgang 1961, hat Wirtschaftswissenschaften in Berlin studiert, war von 1997-1999 Assistent am Berliner Ensemble, war einige Jahre Produzent für freie Produktionen. Von 2006 bis 2013 war Dörr Geschäftsführender Direktor des Maxim Gorki Theaters Berlin, von 2009 bis 2013 auch stellvertretender Intendant. Als Gorki-Intendant Armin Petras nach Stuttgart wechselte, wechselte auch Kl---aus Dörr ans Staatstheater. Seit 2013 ist Dörr Künstlerischer Direktor und stellvertretender Intendant am Schauspiel Stuttgart. Im Sommer 2018 wird Klaus Dörr geschäftsführender Direktor an der Volksbühne Berlin und übernimmt jezt schon kommissarisch den Posten des Intendanten.