Für den neuen Krankenhausdirektor der Rems-Murr-Kliniken gibt es einiges zu tun. Im Winnender Neubau ist vor allem die Notaufnahme ein Patient, der in der kommenden Zeit nicht nur organisatorisch behandelt werden soll.

Winnenden - Kommunikation ist für ihn eine Schlüsseltugend für den Erfolg. Im StZ-Interview sagt Marc Nickel, worauf es seiner Meinung nach darüber hinaus ankommt, um die rote Zahlen schreibenden Rems-Murr-Kliniken betriebswirtschaftlich auf Kurs zu bringen.
Herr Nickel, Sie haben vor gut 100 Tagen den Patient Rems-Murr-Kliniken übernommen, wie lautete Ihre Diagnose damals?
Als ich hier angefangen habe, war ich erstaunt, wie sehr das Thema Neubau und die Kosten im Mittelpunkt der Diskussion standen und wie wenig die medizinische Qualität.
Und auf welcher Genesungs- und Therapieetappe wähnen Sie sich jetzt?
Nach hundert Tagen gibt es für mich drei Hauptaufgaben, die erledigt werden müssen. Zum einen gilt es, die medizinischen Schwerpunkte weiter auszuprägen und neue zu setzen. Das zweite ist, die Organisation und die Ablaufprozesse zu optimieren. Der dritte Punkt betrifft die Kommunikation. Wir haben eine sehr, sehr gute Medizin mit enorm engagierten Mitarbeitern. Das gilt es, nach außen zu tragen – zu den niedergelassenen Kollegen und den Bürgern, die über vieles, was wir hier tun, noch gar nicht Bescheid wissen. Kommunikation bedeutet aber auch, die vielen Mitarbeiter auf dem Veränderungsprozess mitzunehmen, zu informieren und zu motivieren.
Auch nach einem Jahr läuft noch längst nicht alles rund?
Das wäre vielleicht auch zu viel verlangt. Die Mitarbeiter mussten sich an vieles gewöhnen. Und es gibt noch einige Baustellen, von denen die wesentlichen allerdings identifiziert sind.
Welche Baustellen sind die größten?
Die am deutlichsten sichtbare ist die Notaufnahme. Nach einer sehr dezidierten Analyse gehen wir jetzt die Veränderungen an. Aber das Thema ist so komplex, dass es sicherlich sechs bis zwölf Monate dauern wird, bis alles rund läuft.
So lange?
Ja, wir werden nicht nur die Aufbauorganisation ändern, sondern auch viele, viele Ablaufprozesse modifizieren müssen und sogar den Bau noch einmal anpacken.
Sie sind für drei Jahre als Geschäftsführer verpflichtet worden. Wird der Patient Krankenhaus bis dahin komplett geheilt sein?
Nein. Aber bis dahin hoffe ich, dass das Unternehmen wieder auf solide Füße gestellt ist.
Was heißt das?
Das heißt nicht nur, die Mitarbeiter auf die Reise mitzunehmen, sondern auch die Betriebswirtschaft mit der medizinischen Qualität in Einklang zu bringen.
Also, aus den roten Zahlen rauszukommen?
Ja. Mein – zugegeben, äußerst ambitioniertes – Ziel ist, 2019 im operativen Geschäft eine schwarze Null zu schreiben.
Die Abschreibungen und die Kredittilgung für den Neubau sind in dieser Rechnung noch nicht inbegriffen?
Nein, wenn wir es hinbekommen, den laufenden Betrieb aus eigenen Erlösen zu erwirtschaften, dann haben die Mitarbeiter schon ein absolut dickes Brett gebohrt.
Welche Prognose gibt es fürs Jahresende?
Das kann ich noch nicht sagen. Wir werden die Zahlen dem Aufsichtsrat im September vorstellen. Den dicken Daumen jetzt schon in die Luft zu halten, wäre nicht seriös. Wir müssen uns noch durch viele, viele Zahlen wühlen und viele Hintergründe aufarbeiten. Auch für den Jahresabschluss 2014 buddeln wir uns gerade noch tief in die Zahlen ein. Da ist noch nicht ganz sicher, in welche Richtung es geht. Was ich für 2015 aber sagen kann: Wir wachsen momentan gegenüber dem Vorjahreszeitraum sehr gut und üppig. Wir werden eine Trendwende im operativen Ergebnis hinbekommen. Und das wird ein großer Betrag sein.
Die Wirtschaftlichkeitsberechnung, die der Entscheidung für den Neubau der Klinik in Winnenden zugrunde gelegt wurde, ging davon aus, dass die Krankenhäuser nicht nur schwarze Zahlen schreiben, sondern so große Gewinne machen, dass sich der Neubau amortisiert.
Das war eine sehr optimistische Einschätzung. Ich glaube, dass wir, wenn sich die Rahmenbedingungen nicht noch weiter verschlechtern, in ein positives operatives Ergebnis reinkommen können. Das Thema Bau und Finanzierung jedoch wird separat gelöst werden müssen.
Was bedeutet das?
Wir müssen versuchen, die Finanzierung noch einmal umzustellen, um eine Milderung der Lage herbeizuführen.
Das heißt, das Land um einen Nachschuss bei der Förderung zu bitten?
Nein. Wir müssen mit den Banken sprechen, etwa um die Kreditlaufzeiten zu verlängern, so dass die Tilgung pro Jahr reduziert wird.
Die Wirtschaftlichkeit ist das eine, in dem Neubau in Winnenden mussten sich auch zwei Klinikmannschaften zusammenfinden, die vermutlich lieber weiter in ihren angestammten Krankenhäusern geblieben wären. Wie ist das zusammengewachsen?
Ja, wie Familien eben zusammenwachsen. Am Anfang gab es sicherlich sehr unterschiedliche Auffassungen, was die Arbeitsabläufe angeht. Deshalb ist ja auch das Thema Prozessoptimierung sehr stark in den Vordergrund gerückt. Aber das geht auch nicht von heute auf morgen. Das dauert ein, zwei, drei Jahre.
Für einige Unruhe hat ihre Aussage zum Amtsantritt gesorgt, dass sie den Personalschlüssel für zu hoch halten.
Interessant ist, dass wir eher aufgebaut als reduziert haben und weitere Fachkräfte suchen. Die Quote, die Sie gerade angesprochen haben, hat sich deshalb reduziert, weil wir ein sehr gutes Wachstum haben. Wir erbringen mit dem gleichen Personal mehr Leistung.
Mit dem gleichen Personal mehr Leistung könnte im Umkehrschluss aber auch bedeuten, dass zuvor einige Mitarbeiter nicht ausgelastet waren.
Das ist eine sehr kritische Darstellung. Es gab an vielen Stellen Mitarbeiter, die noch gar nicht richtig aktiviert wurden und Bereiche, die nicht effizient aufgestellt waren. Deshalb stellen wir ja hier und da die Organisation und die Struktur auch um.
Einige Mitarbeiter klagen, dass beim Bau nicht nur beim Verlegen der Wasserleitungen einiges falsch gelaufen ist, sondern dass ganz alltägliche Dinge nicht durchdacht wurden. Das fängt bei banalen Sachen wie Türbeschlägen auf der falschen Seite an.
Das ist so. Aber das ist nicht nur in Winnenden so. Wenn ich aus der Geschichte der Krankenhausplanung in Deutschland plaudern würde, könnte ich eine Stunde lang die lustigsten Anekdoten erzählen – bis dahin, dass in einer Klinik bei den Patientenzimmern die Toiletten vergessen worden waren. Ich muss mit dem arbeiten, was ich habe und schaue nach vorne. Ich kann nur mein Herzblut und mein Engagement einbringen, um Missstände zu verändern und versuchen, die Mitarbeiter zu begeistern.
Wie klappt das?
Das klappt die ersten hundert Tage sehr gut. Ich bin erstaunt, wie viele Mitarbeiter mir mit einem Lächeln begegnen. Wir haben gute und konstruktive Diskussionen, sind lösungsorientiert. Es funktioniert. Es funktioniert aber nur, wenn du offen und ehrlich auf die Leute zugehst.
Sie kommen von einem privatwirtschaftlich orientierten Dienstleister, haben sich aber immer für eine kommunale Trägerschaft ausgesprochen. Warum?
Zuerst einmal ist egal, in welcher Trägerschaft Krankenhäuser sind, ob privat, kommunal oder konfessionell: die Probleme sind überall ähnlich. Bei einem privaten Träger aber gibt es eine viel höhere Gewinnerwartung. Das heißt, man muss mit wesentlich unangenehmeren Maßnahmen an die Organisation rangehen.
Auch die Kreisräte im Aufsichtsrat der Kliniken haben die Erwartung, dass die Krankenhäuser dem Kreis nicht mehr auf der Tasche liegen.
Wenn sie dezidiert und genau die Themen erklären und die Hintergründe darstellen, dann gewinnen sie einen Aufsichtsrat für sich, der dann auch schwierige Zeiten mitträgt. Es ist allerdings nicht selbstverständlich, dass der Rems-Murr-Kreis dermaßen loyal zu seinen Kliniken steht und so viele Mittel beisteuert. Viele Landkreise hätten vielleicht schon gesagt, das ist so eine Überforderung, das können wir gar nicht mehr stemmen.
Wenn der Rems-Murr-Kreis an diesen Punkt käme, wäre eine Privatisierung eine Lösung?
Eines muss klar sein: bei einem Verkauf würde der Landkreis auf seinen Schulden sitzen bleiben, die übernimmt kein privater Käufer. Ich bin hier angetreten, um die Situation so zu verbessern, dass das Krankenhaus in kommunaler Trägerschaft zu halten ist. Was auf jeden Fall passieren wird ist: das Unternehmen wird in drei bis vier Jahren wesentlich besser dastehen – medizinisch aber auch betriebswirtschaftlich. Was dann passiert, ist eine Entscheidung der Politik. Wir werden unsere Konzeption für die kommenden fünf Jahre im Herbst vorstellen und dann wird es sicherlich noch einmal eine interessante Diskussion geben.
Sanierer sind normalerweise nach einer befristeten Beratungszeit weg und andere müssen mit dem Flurschaden klar kommen, den sie angerichtet haben. Könnten Sie sich vorstellen, die Rems-Murr-Kliniken über das Jahr 2018 hinaus unbefristet zu führen?
Ja klar. Ich kann mir sehr gut vorstellen, über die drei Jahre hinaus hier weiter tätig zu sein. Ich bin zuversichtlich, dass wir es schaffen, und ich würde auch gerne die Früchte des Erfolges ernten. Aber das hängt ja nicht nur von mir ab. Und wenn sie mich fragen, wie war die Zuversicht vor 100 Tagen und wie ist sie jetzt, dann kann ich Ihnen sagen, dass sie jetzt noch größer ist.