Dietmar Allgaier ist seit 100 Tagen als Landrat des Landkreises Ludwigsburg im Amt – und muss sich gleich als Krisenmanager beweisen. Ein Gespräch in unsicheren Zeiten: über das Coronavirus und alles, was trotz der Pandemie nicht vergessen werden darf.

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Ludwigsburg - Die Corona-Krise rückt alles andere in den Hintergrund: Ein Gespräch mit dem neuen Landrat Dietmar Allgaier über seinen Start ins Amt, über akute Erfordernisse und über Themen, die darüber trotzdem nicht in Vergessenheit geraten dürfen.

 

Herr Allgaier, dass Ihre ersten 100 Tage im Amt sich so entwickeln würden, hätten Sie sich wohl kaum vorgestellt. Wie würden Sie sie beschreiben?

Ich spreche von den 50 Tagen vor Corona und den 50 Tagen seit Corona. Begonnen hat es ganz normal mit Kennlern- und Antrittsbesuchen, Sitzungen, repräsentativen Aufgaben. Dann kam der Cut. Seit Anfang März arbeite ich fast nur noch im Büro im Landratsamt und bin quasi ausschließlich mit dem Coronavirus befasst. Zuletzt zum Beispiel damit, dass wir gerne zwei Intensivpatienten aus unserer hart getroffenen italienischen Partnerregion Bergamo in unser Klinikum nach Ludwigsburg bringen wollten. Das war behördlich aufwendig, aber die Deutsche Botschaft in Rom, das italienische Amt für Zivilschutz, unser Bundestagsabgeordneter Steffen Bilger und nicht zuletzt der Ministerpräsident selbst haben uns hierbei sehr unterstützt. Vorgestern habe ich nun aber die insgesamt gute Nachricht erhalten, dass die beatmungspflichtigen Behandlungsplätze in Norditalien im Moment auskömmlich sind und weitere Verlegungen in die Bundesrepublik und damit auch in unseren Landkreis derzeit nicht nötig sind.

Wie sieht der Alltag in Zeiten des Coronavirus für den Landrat aus?

Die allermeisten Veranstaltungen, Sitzungen und geplanten Reisen sind abgesagt. Ein Verwaltungsstab mit Fachleuten aus den unterschiedlichsten Bereichen tagt unter Einhaltung der Sicherheitsabstände von morgens bis abends, dort laufen alle Corona-Themen auf. Zudem gibt es jeden Vormittag eine Leitungs-Besprechung, in der es um grundsätzliche und strategische Entscheidungen geht, organisatorische Prozesse auf den Weg gebracht werden und in der wir vorausdenken müssen: Wie lässt sich ein Corona-Testmobil einrichten? Wo können wir Senioren aus Pflegeheimen, die im Krankenhaus operiert wurden, aber aus Sicherheitsgründen nicht gleich ins Heim zurückdürfen, zwischenzeitlich unterbringen? Wie würden wir damit umgehen, wenn die Aufbewahrungskapazitäten für Verstorbene in Kliniken nicht mehr ausreichen sollten? Außerdem Telefonkonferenzen mit den anderen Landkreisen, dem Landkreistag, Besprechungen mit Kommunen, und, und und. . .

Sind Sie ein guter Krisenmanager?

Das kann ich selbst nicht beantworten. Diese Art von Krise haben weder ich noch andere bisher je erlebt. Ich denke, das Landratsamt-Team hat bisher gut und umsichtig agiert, die Krisen-Bewältigung wird von vielen Mitarbeitern getragen. Und der Landkreis ist medizinisch gut aufgestellt, hat ausreichend Beatmungsgeräte und die entsprechenden Betten. Die Bevölkerung hält sich weitgehend an die Auflagen, hoffentlich auch weiterhin, denn wir sind noch nicht in der heißen Phase. Und ich hoffe, das Land liefert endlich. Unsere Krankenhäuser, niedergelassenen Ärzte, Pflegedienste, Altenheime und Apotheken brauchen dringend Schutzkleidung und FFP2-Masken. Wir haben bisher viel zu wenige bekommen, das hat ungute Folgen.

Welche?

Jeder Landkreis, jede Klinik versucht in der Not, sich diese Dinge selbst zu besorgen. Plötzlich steht man zueinander im Wettbewerb. Auch wir im Landkreis Ludwigsburg nutzen persönliche Kontakte, etwa zur chinesischen Partnerregion Yichang oder einem chinesischen Medizinprodukt-Unternehmen, um Schutzausrüstungen zu bekommen.

Eine gute Krankenhaus-Versorgung für den Landkreis war eines ihrer zentralen Wahlkampf-Themen. Jetzt zeigt sich, welch elementare Bedeutung diese Versorgung hat.

Man kann nur hoffen, dass die Politik, wenn die Corona-Krise überstanden sein wird, erkennt, wie verheerend es ist, ein Gesundheitssystem kaputtzusparen. Den Kliniken brechen ausgerechnet in dieser Krisenzeit wegen der Verlegung von Operationen massiv Einnahmen weg. Es muss in medizinischer und personeller Hinsicht künftig eine andere finanzielle Unterstützung der Krankenhäuser geben.

Mit anderen Landräten haben Sie kürzlich einen Brandbrief genau zu diesem Thema an Gesundheitsminister Jens Spahn geschrieben. Bekamen Sie eine Antwort?

Nicht von ihm selbst, aber aus seinem Haus. Und sinngemäß mit dem Inhalt, dass ja jetzt ein Kliniken-Rettungspaket geschnürt worden ist. Es geht uns aber um eine nachhaltige Gewährleistung der Arbeitsfähigkeit der Kliniken. Ich erwarte vom Gesetzgeber, dass er das Gesundheitssystem im Ganzen betrachtet und den Kliniken hilft. Das kann nicht Aufgabe der Träger sein.

Lesen Sie hier: Was die Landräte von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn fordern

Haben Sie unterschätzt, was mit der Corona-Welle auf den Landkreis zurollt? Vor knapp vier Wochen hieß es in einer Pressekonferenz seitens des Gesundheitsamtes noch, Hysterie sei nicht angebracht und das Virus werde man überleben.

Die damalige medizinisch-fachliche Sicht mit der Einschätzung, die Influenza-Welle vor drei Jahren mit 25 000 Toten sei schlimmer gewesen als das Coronavirus, und die gesamtgesellschaftliche Sicht auf die Situation sind zwei Paar Schuhe. Wir haben allerdings schnell auf den Anstieg der Infektionen reagiert und das Gesundheitsamt personell stark aufgestockt, um es von den administrativen Aufgaben zu entlasten. Mitarbeiter aus der kompletten Verwaltung sind dort jetzt im Einsatz, zudem viele Ehrenamtliche aus dem Katastrophenschutz, dem Rettungswesen oder der Feuerwehr. Die telefonieren unter anderem positiv getesteten Personen hinterher, damit wir einen Überblick bekommen, ob sie genesen sind. Das Rückverfolgen von Kontaktpersonen übernehmen die Kommunen mittlerweile selbst.

Lernen Sie Ihre Mitarbeiter durch die Corona-Krise anders kennen?

Sie schafft definitiv Nähe. Man merkt schnell, wo es im Haus gut funktioniert und wo vielleicht auch nicht so gut. Es ist etwas anderes, ob man im 9. Stock in seinem Büro arbeitet und seine Auswärts-Termine macht oder ob man permanent im Haus unterwegs und mit den Mitarbeitern im Gespräch ist. Ich hoffe, davon bleibt auch etwas im Nach-Corona-Alltag übrig. Ich bin aber grundsätzlich nahbar und esse zum Beispiel gerne mal in der Kantine, weil sie ein kommunikativer Umschlagplatz ist. Einmal habe ich dabei ein sehr interessantes Gespräch mit einem Mitarbeiter geführt, der bei meiner Wahl nicht da war, mich deshalb noch nicht kannte und mich zum Schluss fragte: „Und wo arbeiten Sie?“

Bei aller Fokussierung auf das Coronavirus: Es gibt wichtige Themen wie die Stadtbahn. Bleiben die jetzt auf der Strecke?

Nein. Wir mussten zwar die anstehende Lenkungsgruppen-Sitzung vertagen, aber ich bin mit Oberbürgermeister Matthias Knecht in regelmäßigem Austausch, und wir bereiten trotz allem die Satzung vor, damit wir noch in diesem Jahr den Stadtbahn-Zweckverband gründen können. Für den Marbacher Gesundheitscampus haben wir eine, wie ich finde, auch für die Stadt Marbach wirklich akzeptable Lösung gefunden. Mir ist es auch wichtig, die Arbeit des Bündnisses für bezahlbaren Wohnraum zu intensivieren, am Klimaschutz dranzubleiben, stärkere Kontakte zu Unternehmen aufzubauen, Hochschulstandorte zu erweitern und Innovation zu fördern. Und Antworten darauf zu finden, wohin sich der Landkreis entwickeln soll. Ich bin ja nicht angetreten, um nur zu verwalten, sondern um auch zu gestalten.

Wird der Landkreis Ludwigsburg durch die Corona-Krise in eine finanzielle Schieflage geraten?

Der Landkreis steht finanziell derzeit auf sicheren Beinen, er verfügt über eine gute Rücklagensituation und Liquidität. Die finanziellen Folgen aus der jetzigen Covid- 19-Pandemie sind noch nicht abschätzbar. Wir gehen derzeit in die Vorbereitung für den nächsten Haushalt und müssen dann schon sehr aufpassen, welche Planungen welche Konsequenzen haben und was vertretbar ist. Jetzt müssen wir aber erst mal ohne Hysterie und Hektik die Krise bewältigen. Die Gesundheit der Menschen steht an erster Stelle.