Politik: Matthias Schiermeyer (ms)
Halten Sie ein rot-rot-grünes Bündnis im Bund für erstrebenswert?
Es wäre ein Granatenfehler, bestimmte Konstellationen auszuschließen. Acht Jahre mit Unterbrechung hätten wir im Bundestag die Möglichkeit gehabt, die Bürgerversicherung einzuführen oder Steuern für Reiche zu erheben. Wir haben sie nicht genutzt, weil wir von vornherein ausgeschlossen haben, nicht mit der Linkspartei zu kooperieren. Das halte ich einfach für falsch. Ich glaube auch nicht, dass die SPD noch mal ausschließen wird, mit der Linken zu regieren. Nur wenn man Optionen hat, kann man in Verhandlungen stark auftreten.
Opposition ist Mist?
Ich finde nicht, dass man um jeden Preis regieren muss. Doch Gestalten ist besser als andere gestalten lassen. Ich habe 2013 auch für den Koalitionsvertrag der jetzigen schwarz-roten Bundesregierung gestimmt, weil ich damals schon gedacht habe: Wenn es die SPD nicht macht, gibt es Schwarz-Grün. Die Mehrheiten hätten gereicht.
Wäre eine engere Kooperation mit der Linkspartei im Land sinnvoll?
Die Linkspartei hat 2,9 Prozent in Baden-Württemberg – ich habe das Gefühl, eine engere Kooperation würde sie aufwerten. Auch stellt sich die Frage gerade überhaupt nicht: Ich brauche keine Kooperation in der Opposition. Ich kenne die Akteure bei der Linkspartei. Anders als bei der SPD, in der viel hinterfragt wurde seit der Wahl, habe ich bei der Linkspartei nicht mitbekommen, dass sie sich mit ihrem Ergebnis auseinander gesetzt hat.
Sie werden zwangsläufig auch mal eine andere Position als Ihr Parteichef Sigmar Gabriel einnehmen?
Das kann so sein bei einzelnen Themen. Aber ich komme aus einer Gewerkschaft, in der viel gestritten wird und in der man sich am Ende hinter gemeinsamen Beschlüssen versammelt. Ich habe meine Leidenschaftsthemen, wo ich mir von niemandem sagen lasse, dass es da eine Mehrheitsmeinung gibt. Im Kampf gegen die Prostitution zum Beispiel ist es mir egal, wer da was will. Aber ich würde auch abwägen: Schieße ich dagegen oder nicht – wie wichtig ist mir das? Ich habe über Jahrzehnte viele Gewerkschafter erlebt, die im Bundestag am Ende auch der Agenda 2010 oder der Rente mit 67 zugestimmt haben. Das hat mich immer gewundert. Wenn noch mal so grundlegende Entscheidungen anstehen, hoffe ich, dass ich dann die Größe habe, mich an das zu erinnern, was ich vorher gesagt habe.
Das heißt, Sie wären als Landesvorsitzende nicht mehr so frei wie bisher?
Bisher bin ich in erster Linie Gewerkschafterin und vertrete klar Arbeitnehmerpositionen. Das macht mich aus. Als stellvertretende SPD-Landesvorsitzende habe ich noch etwas mehr Narrenfreiheit. Als Vorsitzende will ich mir dennoch treu bleiben. Dafür gibt es ja auch Beispiele, dass es Leute geschafft haben. Das braucht viel Kraft und Stärke – ich hoffe, die habe ich.
Ist der Parteichef konsequent genug – beim Freihandelsabkommen TTIP etwa?
Bei den Freihandelsabkommen haben wir totale Gegner und bedingungslose Befürworter – das macht diese Volkspartei auch aus. Ich muss Gabriel hier nicht groß verteidigen. Aber er ist Wirtschaftsminister, und er hat selbst rote Linien gesetzt. Wenn die jetzt überschritten werden, muss er sich daran halten. Ich weiß schon: Gabriel weckt bei den Leuten Emotionen.
Wäre er der richtige Spitzenkandidat?
Wenn er will, hat er den ersten Zugriff.
Bei welchen Themen wollen Sie Grün-Schwarz in Baden-Württemberg treiben?
Eines meiner Leidenschaftsthemen ist das Landtagswahlrecht. Mich ärgert die Geheimabsprache, dass man kein Zwei-Stimmen-Wahlrecht macht – das ist echt der Knaller. Wobei sich die SPD-Fraktion in dieser Frage bei dem Thema auch nicht mit Ruhm bekleckert hat in den letzten Jahren. Da werde ich für die nächste Landtagswahl ein anderes Recht fordern, damit der Landtag die Bevölkerung des Landes spiegelt und nicht nur aus älteren Herren christlichen Glaubens besteht.
Womit noch?
Es ist ein historischer Auftrag an die Sozialdemokratie, sich mit dem Rechtspopulismus auseinander zu setzen. Wer alles die AfD gewählt hat, das macht mich sehr nachdenklich. Es zeigt sich auch hier: Bezahlbarer Wohnraum ist wichtig für die Menschen.