Die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann meldet sich zurück – als Botschafterin des Lutherjubiläums 2017. Auch zwei Jahre nach ihrem Rücktritt ist sie noch eines der bekanntesten Gesichter der evangelischen Kirche.

Kultur: Tim Schleider (schl)
Stuttgart Auch mehr als zwei Jahre nach ihrem Rücktritt als Bischöfin ist Margot Käßmann eine der bekanntesten Gesichter der evangelischen Kirche. Als Botschafterin der EKD wirbt sie für ein großes Jubiläum: den 500. Jahrestag des Beginns der Luther-Reformation 2017.
Frau Käßmann, welcher Job ist spannender, befriedigender: EKD-Ratsvorsitzende oder Botschafterin des Reformationsjubiläums?
Beides hat seinen Reiz, als Bischöfin und Ratsvorsitzende können Sie viel gestalten, indem Sie in Gremien Entscheidungen beraten, mit verantworten und Positionen erringen. Das habe ich elf Jahre in leitenden Ämtern gerne und engagiert getan. Aber es ist jetzt auch schön, dass ich in keinem Gremium sitze. Nun kann ich reden, predigen und über die Reformation informieren mit einem ziemlich freien Spielbein.

Vermissen Sie die Macht, die eine Bischöfin auch durch ihr öffentliches Auftreten hat?
Macht macht Sinn, wenn man sie transparent für das Gemeinwohl anwenden kann. Keine Macht zu haben, muss aber nicht Ohnmacht bedeuten, sondern ist auch ein Stück Freiheit. Die Verpflichtung, die ein so herausgehobenes Kirchenamt mit sich bringt, ist schon enorm. Sie unterliegen einem engen Zeittakt, und das sieben Tage in der Woche. Auch die Aktenberge von früher vermisse ich nicht.

Sie galten als Energiebündel, das sich in die Arbeit stürzt. Sind Sie nun völlig verändert, viel ruhiger und gelassener?
Ich habe mich natürlich nicht völlig verändert und bin weiter aktiv. Es hat mir aber gutgetan, dass ich mich quasi selbst ausgebremst habe. Ich bin nach dem ganzen Trubel hier um meinen Rücktritt im Herbst 2010 in den USA aufgewacht – allein in einem Studentenzimmer mit einem Kühlschrank, der nur noch für mich selber zu füllen war. Mit wenig vorgegebenen Verpflichtungen – ich hatte zwei Vorlesungen zu halten, aber sonst war es egal, ob ich zur Uni gegangen bin oder nicht. Es hat schon gedauert, bis ich von dem Level zuvor heruntergekommen bin auf meinen Ruhepunkt. Es ruhiger anzugehen, tut mir gut.

Das heißt, wenn Sie jetzt auf Ihren Rücktritt blicken, sagen Sie: Alles ist gut?
Der Rücktritt war für mich schon ein Albtraum, das muss ich zugeben. Ich möchte keinem Menschen wünschen, dass er Ähnliches erlebt in der Öffentlichkeit. Von meiner Situation jetzt betrachtet, sage ich aber: Ich lebe so gut und gerne.

Zweifeln Sie manchmal, dass der Rücktritt wirklich nötig war?
Den Entschluss habe ich – nachdem er einmal gefallen war – nie bereut, den Anlass natürlich schon. Ich habe damals gesagt: Folge dem, was dein Herz dir sagt; ein Spruch aus Jesus Sirach.

Ein Comeback als Bischöfin ist folglich ausgeschlossen?
Das ist ausgeschlossen. Es gibt viele Landeskirchen, die das Bischofsamt auf zwölf Jahre begrenzen. Ich hatte es 2010 schon elf Jahre ausgefüllt und damit die Zeit fast ausgeschöpft.

Ihre Medienpräsenz als Ratsvorsitzende war in Ihrer Amtszeit enorm, auch weil Sie oft deutlich Position bezogen. Nun kommt die EKD in den Medien wesentlich seltener vor. Ist das ein Defizit?
Ich beurteile das heute zwiespaltig. Eine zu starke Medienpräsenz wird ja auch kritisch gesehen. Ich habe früher immer gedacht, es solle so viel Evangelisches in die Medien kommen wie möglich. Wenn ich die Chance hatte, etwa bei der TV-Talkshow „Drei nach Neun“ über das Gebet zu reden, habe ich die ergriffen. Andere bezweifeln, dass ein solches Engagement ohne Weiteres mit dem Amt einer Bischöfin vereinbar ist. Ich erinnere mich noch, als mir ganz am Anfang Wolfgang Joop in einer Talkshow ein Kreuz geschenkt hat. Ich freute mich und habe das umgehängt. Da gab es sofort eine Debatte, ob ich mir von einem Modedesigner ein Schmuckkreuz schenken lassen darf. Ich will damit nur sagen: wenn Sie sich derart exponieren, können kraftzehrende Auseinandersetzungen die Folge sein.

Aber wie kann sich die Kirche denn sonst bemerkbar machen?
Es geht doch nicht um Bischöfinnen und Bischöfe, sondern um viele mutige Menschen mitten im Alltag. Die frühe Kirchentagsbewegung zum Beispiel war von Männern geprägt, die alle öffentlich sehr präsent waren. Derartige Exponenten tun uns auch heute gut, ich denke etwa an Katrin Göring-Eckardt bei den Grünen.

Als Luther-Botschafterin können Sie sich nicht mehr so stark in die Politik einmischen.
Da habe ich keinen Vertrag unterschrieben, der mir den Mund verbietet. Ich bin allerdings nicht eine Stimme der EKD, die sich in der Tagespolitik – etwa in der Beschneidungsdebatte – zu Wort meldet. Zu Grundsatzthemen wie Rüstungsexporten oder der Spekulation mit Lebensmitteln äußere ich mich jedoch.

Es dauert noch fünf Jahre bis zum Reformationsjubiläum. Was machen Sie da eigentlich die ganze Zeit?
Ich mache Öffentlichkeitsarbeit, habe sehr viele Einladungen zu Predigten und Vorträgen, und ich suche den Kontakt zu den internationalen Kirchen. Wir wollen nicht, dass es 2017 eine rein deutsche Veranstaltung bleibt. Die am schnellsten wachsende lutherische Kirche weltweit gibt es gerade in Äthiopien.

Die engagierten Protestanten dort sind vermutlich begeistert von dem Jubiläum. Wie wollen Sie aber die Deutschen erreichen, denen Kirche egal ist?
Erstmal müssen wir die, die noch zur Kirche gehören, stärken in ihrem Bewusstsein, dass es gut und richtig ist, in der Kirche zu sein. Besonders nötig haben diese Unterstützung die Protestanten in Ostdeutschland, wo das Umfeld schwieriger ist. Nach außen wollen wir zeigen: Kirche ist kein Privatclub, der sich sonntags in einer Nische trifft. Luther hat sich eingemischt in seine Zeit, und das sollten wir auch tun.

Fallen nicht oft die Äußerungen der EKD unter den Tisch, weil sie zu abgewogen sind?
Es ist doch klar, dass Gremien abwägen. Da wird zwei Jahre eine Stellungnahme entworfen, dann nimmt der EKD-Rat dazu Stellung, das Papier wird überarbeitet, eine Denkschrift entsteht. Denkschriften sind gut, weil sie grundsätzlich zum Denken anregen. Am Ende muss jedoch der einzelne Protestant eine Position finden. Die Position darf er äußern, auch in der Kontroverse. Diese Kontroversenkultur möchte ich durch das Reformationsjubiläum gestärkt sehen. Es ist lutherischer Mut zu sagen: Ich stehe hier, habe diese Meinung, und ihr könnt alle anderer Meinung sein.

Die Reformation hat die Kirchenspaltung gebracht. Ist das ein Grund zu feiern?
Wir Evangelische können feiern, dass die Grundüberzeugungen der Reformation bis heute tragfähig sind. Es ist evangelische Tauftheologie, dass Frauen alle Ämter wahrnehmen können. Das ist eine theologische Entdeckung des 16. Jahrhunderts. Feiern können wir auch, dass Luther die Messe in der Volkssprache möglich gemacht hat. Seitdem kann jeder verstehen, was im Gottesdienst geschieht. Das hat die katholische Kirche übrigens im Zweiten Vatikanischen Konzil übernommen. Die Kirchenspaltung war von Luther nicht beabsichtigt. Wir können feiern, dass die Spaltung der Protestanten untereinander überwunden wurde und es auch eine Wiederannäherung mit der römisch-katholischen Kirche gegeben hat. Und wir können feiern, dass sich damals Grundideen wie die der Gewissensfreiheit, Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit entwickelt haben, die das Fundament der Demokratie sind.

Wie bringen Sie die katholische Kirche dazu, mitzufeiern?
Indem wir sie herzlich einladen. Wir wollen nicht abgrenzend einen Hurra-Protestantismus zelebrieren. Ich wünsche mir, dass es eine große Versöhnungsgeste gibt.

Die erhoffte Versöhnungsgeste blieb beim Deutschlandbesuch des Papstes vor einem Jahr aber aus.
Wer an diesen Papst große ökumenische Erwartungen hatte, der musste enttäuscht werden. Ich hatte allerdings auch gedacht, er würde in der öffentlichen Rede in Erfurt wenigstens irgendeinen Satz zu Luther sagen müssen. Für alle, auch für die Katholiken im Land, wäre das außerordentlich hilfreich gewesen.

Ändert Benedikt seine Haltung noch bis zum Reformationsjubiläum?
Ich denke nicht, dass sich von Rom her etwas ändert. Aber es tut sich etwas in der katholischen Kirche, unter den Priestern, in den Gemeinden. Vielleicht erreicht diese Bewegung die vatikanischen Gremien.

Ist Luthers zentrale Erkenntnis – die Rechtfertigung des Sünders aus Glauben allein – vom Alltag heute nicht sehr weit weg?
Das denke ich nicht. Natürlich fragen die Leute auf der Straße nicht: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Die Sehnsucht nach danach, dass mein Leben irgendwie Bedeutung haben soll, ist aber bei den meisten vorhanden. Nach Luther sagt Gott Ja zu diesem Leben, und zwar unabhängig davon, welche Leistungen jemand erbracht hat. Wo auch immer du wirkst – als Mutter, als Geschäftsfrau, als Nachbar oder als Mitarbeiter einer Zeitung, und auch wenn du krank bist, Depressionen hast und nicht mithalten kannst, dein Leben hat Sinn. Nach dieser Zusage haben viele Sehnsucht.

Auch die Smartphone-Generation?
In der Jugend ist die Sehnsucht nach Beziehung, nach einem Halt, nach einem Ort der Wertschätzung groß. Diese Sehnsucht kann auch Facebook nicht stillen.