Exklusiv Geheimdienste überwachen die Bürger, Konzerne wie Google sammeln Daten: Welche Spielregeln gelten noch in dieser digitalen Welt? Die Stuttgarter Professorin Petra Grimm vom Institut für Digitale Ethik an der Hochschule der Medien gibt Antworten.
20.01.2014 - 16:58 Uhr
Stuttgart - Nach welchen Spielregeln funktionieren Geschäftsmodelle im weltweiten Netz? Kann es so etwas wie Privatheit künftig überhaupt noch geben? Mit solchen Fragen beschäftigt sich die Stuttgarter Professorin Petra Grimm in dem von ihr mitgegründeten Institut für Digitale Ethik an der Hochschule der Medien. Und sie warnt vor einer digitalen Spaltung der Gesellschaft.
Frau Grimm, wie kam es zur Idee, ein Institut für Digitale Ethik zu gründen?
Das hat eine lange Vorgeschichte. Wir bilden schon lange Medienspezialisten aus mit den Schwerpunkten Ökonomie, Marketing, Technik. Es war schnell klar, dass wir auch so etwas wie Verantwortungsfragen in Bezug auf Medien als wichtig erachtet und das in Seminaren der Bachelor- und Masterstudiengänge implementiert haben möchten. Und wir haben auch seit zehn Jahren das Projekt Meta, den medienethischen Preis, bei dem Studierende als Jury tätig sind. Wir hatten schon vor zehn Jahren den Wunsch, ein Institut für Medienethik zu gründen. Das hat damals nicht geklappt.
Woran klemmte es?
Ich glaube, damals war das Bewusstsein für diese Thematik noch nicht so da. Die Resonanz auf unserer Gründungsfeier hat aber gezeigt, dass jetzt anscheinend die Zeit gekommen ist. Wir brauchen auch eine Reflexion dessen, was da im Netz passiert. In den vergangenen zehn Jahren sind Themen wie Cybermobbing oder der Schutz der Privatsphäre von vielen als Problem erkannt worden. Das sind alles Wertefragen. Jetzt ist die Zeit reif dafür.
Welche Ziele verfolgen Sie mit dem Institut?
Wir wollen uns auf drei Säulen stützen: auf die Lehre, insbesondere im Masterbereich, auf die empirische und ethische Forschung. Ein konkretes EU-Projekt haben wir schon in der Pipeline: Wir wollen ein Handbuch für die Schule und die Jugendarbeit erstellen. Wir wollen aus ethischer Perspektive für Schüler die Themen Privatsphäre und Gender transparent machen.
Wie wollen Sie Werte, die länderspezifisch unterschiedlich sind, in einem virtuellen Raum verankern?
Wir brauchen internationale Vereinbarungen. Es geht etwa bei der EU-Datenschutzverordnung darum: Welche Regeln sollen gelten? Es muss geklärt werden, wie weit der Schutz der Bürger gehen kann, wie weit Informationsgerechtigkeit gelten muss. Wir brauchen jemanden, der beginnt und dann versucht, die anderen zu überzeugen – zumindest im Bereich der Privatsphäre.
Das heißt, die EU-Datenschutzverordnung könnte einen Vorbildcharakter für andere Länder haben?
Man muss sehr genau aufpassen, wie sich das weiterentwickelt. Ich glaube vor allem, wir müssen das, was da gerade verhandelt wird, noch stärker ins Bewusstsein der Bürger bekommen. Es gibt zu wenig Information, um was es hier geht. Das findet irgendwo in Brüssel statt, aber es gibt keine Diskussion darüber. Auch solche Fragen will das Institut aufgreifen.
Seit Edward Snowden wissen wir, dass wir systematisch überwacht werden. Haben wir überhaupt noch eine Chance, uns privat im Netz zu bewegen?
Ich halte grundsätzlich nichts davon, von einer Postprivacy zu sprechen. Das hieße ja, man würde diesen Wert endgültig aufgeben. Ich glaube im Gegenteil, wir werden es uns überhaupt nicht leisten können, unsere Privatsphäre aufzugeben. Denn sie ist ein Instrument für Autonomie und Freiheit. Gäben wir sie auf, könnten wir nicht mehr selbstbestimmt handeln. Das muss man sich erst mal klar machen. Deshalb müssen wir unsere Privatsphäre in Bezug auf bestimmte Gebiete verteidigen. Ich sehe eine Chance darin, dass Privatheit auch ein Wettbewerbsvorteil werden könnte.
Kennen Sie ein Beispiel?
Ich muss nicht Google als Suchmaschine verwenden. Ich könnte auch Startpage verwenden. Das bietet für mich eine höhere Garantie, weil sie dort einen Filter vorschalten. Vielleicht gibt es irgendwann auch eine Alternative zu Facebook, so dass ich meine Daten besser schützen kann. Aber das setzt voraus, dass das Bewusstsein der Nutzer für diese Problematik da ist und sie nicht zu bequem dafür sind. Ich glaube, es gibt genügend Bevölkerungsschichten, die ein Interesse an sichereren Angeboten haben. Computerspezialisten denken drüber nach, eine Datenbasis zu schaffen, auf der Inseln von Privatheit garantiert werden. So ein Geschäftsmodell könnte funktionieren.
Aber die Frage ist: kann man sich überhaupt noch dagegen wehren, seine Privatsphäre aufzugeben?
Man hinterlässt als Nutzer grundsätzlich Spuren. Einige sind bewusst dazu übergegangen, Identitätsmanagement zu betreiben. Es gibt Firmen, die versuchen, alle negativen Einträge von Nutzern im Netz zu bereinigen. Aber das bedeutet soziale Ungleichheit. Denn nicht jeder kann sich das leisten. Man kann nur versuchen, nicht alle intimen Daten ins Netz zu geben. Jugendliche meinen oft, man kann dem Internet vertrauen. Aber dort geht es um Big Data, Big Money, Big Power. Es gibt eine starke Kommerzialisierung im Internet.
Einige Nutzer wehren sich, indem sie missliebige Personen oder Unternehmen mit Shitstorms bekämpfen – das Stuttgarter Gottlieb-Daimler-Gymnasium hat dies jüngst erfahren, als es statt eines Weihnachts- ein Wertefest feiern wollte. Über das Internet werden aber auch Revolutionen anzetteln. Nutzt das Internet der Demokratie?
Ich glaube schon, dass das Netz das Potenzial hat, auf Missstände und unethisches Verhalten aufmerksam zu machen. Ebenso taugt das Netz im Sinne einer Liquid Democracy dazu, politische Entscheidungen transparent zu machen. Es ermöglicht, dass man Interessenverbünde zusammenbekommt, etwa, wenn es darum geht, politisches Handeln zu organisieren. Und es demokratisiert Wissen. Aber genauso ermöglicht das Netz auch Shit-storms, die ein verletzendes Verhalten und Beleidigungen unter der Gürtellinie beinhalten.
Welche Steuerungsmechanismen sehen Sie?
Es ist Aufgabe der Schulen und Hochschulen, die jungen Leute hierfür zu sensibilisieren. Sie sollten wahrnehmen, dass sie jemandem dadurch schaden können, auch wenn er ihnen nicht gegenübersitzt.
Sie sagen also, man kann es durch Erziehung steuern?
Ja. Sie brauchen auch die Kompetenz der Eltern bei der Werteerziehung. Bestimmte Werte gelten auch im Internet. Auch an den Schulen haben wir Handlungsbedarf. Es gibt immer noch kein Fach Medienkompetenz. Und wir müssen uns auch Gedanken darüber machen, was digitale Medienkompetenz heißt. Das müsste in den Bildungsplänen als eigenes Fach verankert sein. Gerade auch bildungsärmeren Familien müsste man Instrumente an die Hand geben, wie man sich im Internet schützen kann.
Google hat kürzlich den Heizungsregler-Hersteller Nest gekauft. Erobern die Datensammler bald auch unser Wohnzimmer?
Ja, das steht uns bevor. Man nennt es das Internet der Dinge. Durch das Zusammenwachsen von IT-Technologie und klassischer Produktion muss die Frage der lokalen Privatheit gestellt werden. Denn wenn die Heizungsfirma weiß, wann die Temperatur hochfährt, kann sie daraus ableiten, wann ich da bin oder wie viele Personen im Raum sind. Solche Neuerungen sind immer mit Chancen und Risiken verbunden. Bei dem Problem der Kontrolle hilft nur, rechtliche Vereinbarungen und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass mit diesen Daten sorgfältig umgegangen wird. In der Pflege hingegen kann es wünschenswert sein zu kontrollieren, ob ich meine Tabletten genommen habe oder nicht. Oder ob der Zuckerspiegel nach oben geht.
Kann man sich der digitalen Welt als berufstätiger Normalbürger überhaupt noch verweigern?
Sie müssen sich in einer gewissen Art und Weise darauf einstellen. Und auch darauf einlassen – aber mit der Gewissheit, wenn ich so ein Angebot nicht mehr will, muss ich die Möglichkeit haben, es abzubestellen. Wir brauchen so eine Art ‚Lass-mich-in-Ruhe-Button’.
Ihr Institut versteht sich auch als Plattform für die Öffentlichkeit. Welche Service-Angebote planen Sie?
Wir werden jährlich eine öffentliche Tagung unter dem Stichwort IDEepolis machen. Und wir sind gern bereit, mit Einrichtungen der Medienpädagogik zu kooperieren. Wir informieren auch auf unserer Website. Aber: wir haben auch keinen Stab von 20 Mitarbeitern. Wir machen das neben unserer Lehrtätigkeit.
Wie werden die Studierenden in das Institut eingebunden?
Wir haben einen Think Tank seit einigen Semestern. Da entwickeln Studierende Szenarien über die Weiterentwicklung unserer Mediengesellschaft. Sie machen sich auch Gedanken über die Anforderungen an die digitale Medienkompetenz in 15, 20 Jahren. Und darüber, was es bedeutet, wenn bis dahin das Internet der Dinge konkret geworden ist. Außerdem haben wir uns in dem Seminar Medienphilosophie und Medienethik mit den verschiedenen Positionen zum Thema Anonymität und Transparenz auseinandergesetzt.
Welche Schwerpunkte wollen Sie künftig setzen?
Als heißes Thema wollen wir die digitale Spaltung aufgreifen, also die soziale Ungleichheit. Es geht darum, benachteiligte Jugendliche und Bevölkerungsgruppen stärker mit einzubinden. Dafür werden wir uns engagieren.
Wo sehen Sie noch Handlungsbedarf?
Bei der Art, wie Daten gesammelt werden. Derzeit wird erfasst, was einer ist. Also Geschlecht, Alter, Wohnort, Einkommen – und mit wem jemand kommuniziert. Durch die Art, wie wir derzeit durch Algorithmen erfasst und damit klassifiziert werden, werden wir entpersonalisiert. Sie werden beispielsweise über Ihr Wohngebiet danach eingestuft, ob Sie kreditwürdig sind oder nicht. Sie kommen sofort in ein Raster. Sie wissen nicht, auf welcher Grundlage Sie eingestuft werden und haben keine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren. Das ist ein bedrohliches Szenario.
Sie wollen also Ihre Expertise nutzen, um auf diese Dinge politisch Einfluss zu nehmen?
Ethik und Recht sind eng verkoppelt. Die Ethik braucht auch das Recht, bestimmte Dinge durchzusetzen. Wir sind aber keine Sittenwächter. Ich will nur meine Freiheit und mir nicht von irgendwelchen Global Playern im Netz diktieren lassen, wie ich mich dort verhalten darf. Es ist eine Machtfrage. Und die lässt sich nur politisch lösen.
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