Erwägen Sie, Wohnbauprojekte zu verschieben, um Platz für Unterkünfte zu schaffen?
Das wollen wir, wie schon in der Vergangenheit, so gut es geht vermeiden. Kleinere Ausnahmen kann es geben. Es hat ja wenig Sinn, dass wir ausgerechnet beim Wohnungsbau zurückfahren, weil wir für die Flüchtlinge, aber auch für die bereits hier lebenden Menschen, die auf günstigen Wohnraum angewiesen sind, zusätzliche Wohnungen brauchen.
Die Situation hat sich in den vergangenen drei Wochen dramatisch zugespitzt. Wenn der Flüchtlingstreck in dieser Dimension anhält, muss die Stadt auch Waldheime und Sporthallen belegen. Wäre es nicht Zeit, einzugestehen, dass der Stuttgarter Weg der dezentralen Unterbringung in kleinen Einheiten am Ende ist?
Ich gehe davon aus, dass wir in Deutschland dauerhaft nicht diese hohen Zugangszahlen haben werden und haben können. Wir haben uns das Ziel gesteckt, dass wir unserer gesetzlichen Pflicht und unserer humanitären Aufgabe nachkommen, solange wir das irgendwie können. Es ist müßig, darüber zu spekulieren, wann das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Wir wollen Stand heute am Stuttgarter Weg festhalten – mit Ausnahme des Übergangsquartiers im Bürgerhospital mit etwa 800 Plätzen. Wir haben aber dafür keine Alternative und halten es für besser, Flüchtlinge in festen Gebäuden anstatt in einer Zeltstadt oder in Turnhallen unterzubringen.
Zumindest kurzfristig müssen Sie wohl auf Waldheime oder Turnhallen zurückgreifen.
Wir ziehen derzeit Sporthallen nicht in Erwägung, prüfen aber andere Möglichkeiten wie etwa die Unterbringung in Waldheimen. Ein Teil ist durchaus geeignet, Flüchtlinge in einer menschenwürdigen Weise für mehrere Monate zu beherbergen.
Stuttgart ist also noch nicht in der Situation wie andere Kommunen, notgedrungen Zeltlager aufstellen zu müssen?
Stand heute nicht. Aber die Dynamik der Ereignisse ist nicht absehbar. Niemand in der Stadtverwaltung kann voraussehen, wie sich die Dinge entwickeln.
Der Bund stellt für die Flüchtlingsthematik nun mehr Geld für die Länder zur Verfügung. Kommen Sie damit klar oder legt die Stadt gewaltig drauf?
Es ist ein positives Zeichen, dass der Bund mehr Geld anbietet, aber das wäre ja gar nicht anders gegangen aufgrund der enorm gestiegenen Zugangszahlen. Die Frage ist, wie viel davon bei den Kommunen ankommt. Nach dem derzeitigen Finanzierungssystem tragen die Kommunen einen wesentlichen Teil der Kosten – etwa 40 Prozent. Das Thema ist aber eine nationale Aufgabe und wäre als solche vollständig vom Bund zu finanzieren. Deswegen muss das Ergebnis des Flüchtlingsgipfels Ende September heißen, dass der Bund die Finanzierung dieser Aufgabe dauerhaft und vollständig übernimmt. Und zwar nicht nur solange, bis der Aufenthaltsstatus der Flüchtlinge geklärt ist, sondern darüber hinaus auch die Kosten für Wohnungsbau, Sprachförderung, Integration und beruflicher Qualifizierung. Nochmals: es handelt sich hier um eine nationale Aufgabe. Im Augenblick sind wir überwiegend mit der logistischen Herausforderung beschäftigt. Aber wir müssen eine gewisse Planbarkeit bekommen und brauchen vor allem Verlässlichkeit, was die Finanzierung angeht. Dann sind wir in der Lage, Strukturen für das Gelingen der Integration zu schaffen.