04.10.2013 - 17:27 Uhr
Hat so ein Endspurt nicht auch etwas Befreiendes?
Vielleicht. Ich habe nur einen schrecklichen Verdacht: dass es im nächsten Jahr genauso weitergeht. Immerhin werde ich auf jeden Fall aufstehen können, wann ich will, und nachts lesen, solange ich will.
Sie lesen der Gegenwart in regelmäßigen Abständen die Leviten, wenn es um das Urheberrecht geht oder um die Ablösung des „Holzhandels“ auf Papier gedruckter Bücher durch den „Elektrohandel“ digitaler Daten. Ist es immer nur Verlust, was uns von der Vergangenheit trennt?
Im Moment sind wir in einem Zustand, da die Schnelligkeit sich überschlägt. Die Geschwindigkeit zerstört unser Gedächtnis. Irgendwann wird es ein böses Erwachen geben. Vielleicht kann man auch ohne Kunst ein angenehmes Leben führen. Die Kunst ist in der Wertigkeit des gesellschaftlichen Lebens ohnehin erst spät an eine zentrale Stelle gerückt. Dass das Kunstschöne über allem steht, war die Idee der Klassik und des deutschen Idealismus. Heute ist die Kultur nicht mehr das alles Überwölbende und steht in Konkurrenz zu vielen anderen Dingen, Reisen, Mode, Fußball. Der FC Bayern ist hier in München im Alltagsleben sicher viel präsenter als die Staatsoper und alle Museen zusammen.
Vor der Buchmesse kommt die Biermesse. Waren sie schon einmal auf dem Oktoberfest?
Vor vierzig Jahren. Das war sehr lustig, denn da lebte der alte Herr Hanser noch. Er hatte in der Hosentasche die Hendl- und die Biermarken. Jeder ging also zu Herrn Hanser und bekam eine Hendl- und eine Biermarke. Wie in allen Verlagen gab es Leute, die gerne noch ein zweites Bier getrunken hätten. Die mussten dann hingehen, und sich gewissermaßen als Säufer outen. Ich kam gerade frisch aus Berlin und war frech. Ich sagte zu Herrn Hanser: „Das geht doch nicht. Geben Sie mir mal Ihre Marken, ich verteile die jetzt.“ Herr Hanser gab mir die Hälfte. Die Trinker sind dann zu mir gekommen, die Seriösen gingen zu ihm.
Können Sie sich noch an Ihre erste Buchmesse erinnern?
Da war ich 19 Jahre und kam mit meinem Ausbildungsverlag Herbig nach Frankfurt. Eine der Reden hielt Hans Erich Nossack, ein beeindruckender Kopf, er hatte allerdings schon einige Gläschen gezwitschert. Ich saß zwischen den Übergestalten des deutschen Verlagswesens und dachte: Das ist die große Welt. Damals kamen auf die Messe etwa zweitausend Buchhändler. Von morgens bis abends musste ich Bestellungen aufnehmen: einen Norman Mailer, einen „Kleinen Balkongärtner“. Wir hatten eine Reihe mit drei Haupttiteln: der „Kleine Balkongärtner“, ein russischer erotischer Roman, der hieß „Frau Abt und ihr Reich“ – eine unglaubliche Schwarte – und schließlich eine für Jugendliche bearbeitete Fassung des chinesischen erotischen Romans „Kin Ping Meh“; immer wenn es darauf ankam, wurde eine Seidenpapierwand hochgeschoben, das Buch wurde aber selten bestellt.