Kultur: Stefan Kister (kir)
Das klingt eher ernüchternd.
Aber auf diese Weise lernte ich den Buchhandel von der Pike auf kennen. Die Leute kamen und sagten: Ich habe einen Laden von 150 Quadratmetern, in den passen etwa 300 Bücher rein. Auf der Messe wurden damals um die 3000 Titel angeboten. Man musste also auswählen. Die Buchhändler – da waren unglaubliche Figuren darunter – wollten jedes Buch genauestens erklärt bekommen, zum Beispiel Norman Mailers Roman „Der weiße Neger“, eine ziemlich komplizierte Geschichte. Am Ende hieß es dann doch: drei Exemplare vom „Kleinen Balkongärtner“ für 4,50 DM und zwei mal „Frau Abt und ihr Reich“.
Und wie sieht heute ein Messetag aus?
Ich muss mich um mittlerweile sehr viele Autoren kümmern, um Übersetzer, ich treffe Agenten und meine Kollegen aus dem Ausland, mit denen ich über neue Projekte rede. Und dann sind da noch die Kollegen von der Presse. Dieses Jahr heißt es Abschied nehmen, auch von vielen internationalen Freunde, die ich vielleicht niemals mehr sehen werde, aber nun schon zum Teil vierzig Jahre kenne. Wir sind zusammen alt geworden.
Am zweiten Messetag wird in der Regel einem Ihrer Autoren der Nobelpreis verliehen. Wer wird es denn dieses Jahr?
Ich habe mir die Liste des Londoner Wettbüros Ladbrokes ausgedruckt. Da wird auf dreihundert Namen gewettet. An erster Stelle steht Murakami, unsere Autoren rangieren im Mittelfeld: Philipp Roth, David Grossman, Claudio Magris, Milan Kundera. Aber das kann sich schnell ändern.
Wenn es nun doch mit Philipp Roth klappen sollte, werden Sie sich für die Zeremonie in Stockholm wieder einen Frack leihen müssen. Warum haben Sie sich nie einen gekauft? Das hätte sich bei Ihnen doch gelohnt.
Wenn man so ein Sitzleben führt wie ich, verändert sich der Körper sehr schnell. Ich hätte den Frack alle drei Jahre umarbeiten lassen müssen. Das Schöne an der ganzen Sache ist ohnehin der Frackverleih. Immer Anfang Dezember warte ich in einer Reihe mit den ganzen Wichtelmännern, die sich für Nikolaus einkleiden. Ich stehe dann da in der Unterhose, es ist kalt, ich zittere. Die Nikoläuse wollen wissen, auf was ich denn warte. Wenn ich es sage, heißt es: Warum denn einen Frack? Na, für Stockholm. Dann schauen sie mich immer an wie einen Angeber und schütteln spöttisch ihre Köpfe mit den Zipfelmützen.
Auch wenn Sie immer wieder gegen den Verfall anpredigen – Ihr Leben entspricht doch eigentlich eher einem Bildungsroman?