Trotzdem fühlen sich immer mehr Menschen von der politischen Elite beherrscht und – mehr noch – betrogen.
Das ist ein Teil der halb Europa erfassenden Krise: dass immer größere Teile der Bevölkerung zu den Rechtspopulisten abwandern, weil sie glauben, sie würden von einer Elite beherrscht werden. Das ist ein Irrtum. Deshalb habe ich mein Amt auch mit der „Politik des Gehörtwerdens“ begonnen, mit Anstrengungen, den Bürger direkter an Entscheidungen zu beteiligen. Der Atem der athenischen Demokratie muss wieder spürbar werden: Freie Bürger reden frei und treffen Entscheidungen. Nicht zuletzt daran sieht man hier, was für ein enormer Bruch es ist, wenn die AfD die Presse bei ihrem Parteitag ausschließt. Denn man muss ja nicht nur frei reden dürfen, man muss auch frei reden wollen im öffentlichen Raum, wozu zwingend die Verbreitung der Reden in der Öffentlichkeit gehört.
Wie sollte man mit einer Partei, die sich nicht an solche demokratischen Spielregeln hält, umgehen?
Alle Politik beginnt mit Sprache. Wie in den sozialen Medien beobachte ich auch bei der AfD eine Verrohung und Brutalisierung der Sprache, die mit Verachtung der Institutionen einhergeht. Das muss ein Weckruf für alle Demokraten sein: Unsere Sprache muss geprägt sein von Respekt und Klarheit, weshalb wir, was die Klarheit anlangt, auch bei der Political Correctness wieder das richtige Maß finden sollten. Dass wir heute nicht mehr Krüppel, sondern Behinderte sagen, ist ein enormer Fortschritt, der die Würde des Menschen bewahrt. Aber Behinderte jetzt zu Menschen mit Handicap zu machen und am Ende zu sagen, alle Menschen hätten ein Handicap, das vernebelt die Sachverhalte. Aus Angst, das Falsche zu sagen, dürfen wir die Dinge nicht in Plastikwörter und Plastiksätze packen, die am Ende niemand mehr versteht. Klar ist aber auch, dass das Verhältnis von Klarheit und Respekt immer wieder neu ausgelotet werden muss, um politische Auseinandersetzungen vernünftig führen zu können: Zivilisierter Streit hält eine Gesellschaft zusammen, unzivilisierter treibt sie auseinander.
Führen auch Gerüchte und falsche Behauptungen zum unzivilisierten, die Gesellschaft spaltenden Streit?
Ja, denn wir können uns nur über Vernunftgründe einigen, nicht über Glaubensfragen, wo wir keinen Konsens erzielen können. Vernunftgründe aber basieren auf Fakten, weshalb postfaktische Diskurse, die nicht mehr an Tatsachen orientiert sind, jede Übereinkunft zwischen gesellschaftlichen Gruppen unmöglich machen. Am Ende schlagen wir uns die Köpfe ein oder, um es etwas vornehmer abermals mit Kant zu sagen, „wir zwingen einander eine Verfassung auf“. Postfaktische Diskurse sind das Gefährlichste, was einer Demokratie heute überhaupt zustoßen kann.