Die Trumpf-Chefin Nicola Leibinger-Kammüller spricht im Interview über falsch verstandene Toleranz und fröhliche Pietisten.

Stuttgart - Nicola Leibinger-Kammüller ist Chefin des Werkzeugmaschinenherstellers Trumpf und bekennende Christin. Im Interview zum Luther-Jahr sagt sie, wie es möglich ist, nach den zehn Geboten zu leben und gleichzeitig ein erfolgreiches Unternehmen zu führen.

 
Frau Leibinger-Kammüller, wann haben Sie zuletzt gebetet?
Gestern Abend.
Und worum ging’s?
Meine Tochter hat heute Morgen eine schmerzhafte Spritze bekommen. Ich habe dafür gebetet, dass dem Arzt die Behandlung gut gelingt und meine Tochter nicht leidet.
Ist es möglich, nach den zehn Geboten zu leben und gleichzeitig den wichtigsten Werkzeugmaschinenhersteller der Welt zu leiten?
Sieht ein wenig danach aus, oder? Wobei manche Gebote leichter zu befolgen sind als andere.
Welches Gebot macht Schwierigkeiten?
Es gelingt mir nicht immer, den Feiertag zu heiligen. Manchmal ist es schwer, nicht schlecht über andere zu denken oder zu reden. Leicht zu befolgen ist für mich hingegen das Gebot: Du sollst nicht töten. Und das, obwohl einem manchmal schon der Gedanke kommt… (lacht)
Sie befolgen pietistische Werte mit einer großen Fröhlichkeit. Ist das ein Widerspruch?
Mir gefallen jene Züge des Pietismus, die uns unsere Elternbeigebracht haben: Man strengt sich an, man prahlt und protzt nicht, und Begabungen bedeuten immer auch die Pflicht, aus diesen Talenten etwas zu machen. Was mir nicht gefällt, ist genau das Unfrohe, das so manchem Pietisten anhaftet. Ich mag es auch nicht, wenn Menschen das Gefühl haben, die Wahrheit gepachtet zu haben.
Von Fröhlichkeit war zuletzt wenig zu spüren. Nach der Bundestagswahl hatte man den Eindruck, viele Menschen laufen mit eingezogenem Kopf durch die Gegend, weil sie sich nicht erklären können, warum die AfD solch ein hohes Ergebnis erzielt hat.
Mir ging es genauso. Auch ich habe den Kopf eingezogen. Dabei geht es mir nicht um Kritik an den Wählern, sondern um die Verantwortlichen. Für mich käme es niemals infrage, eine Partei zu wählen, die Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit in ihren obersten Reihen duldet. Das ist der springende Punkt – bei allem Verständnis für das, was in der Bevölkerung rumort, und für die Sorgen der Bürger.
Dabei nimmt die AfD für sich ja ebenfalls christliche Werte in Anspruch. Mehr noch: Sie hat die Verteidigung des christlichen Abendlandes ausgerufen.
Da frage ich mich, wie viele dieser Menschen die christlichen Werte überhaupt kennen. Denn das wichtigste Gebot heißt doch: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.
Drückt sich in der Islamophobie das Erschrecken einer säkularisierten Gesellschaft vor Menschen mit religiösen Überzeugungen aus?
Das kann schon sein. Es gibt einige Punkte im Islam, mit denen auch ich mir schwer tue. Gerade was das Frauenbild angeht. Solange sich die Ausübung der Religion in unserem Land in dem von uns vorgegebenen gesetzlichen Grenzen und Strukturen bewegt, können wir damit umgehen. Wir müssen aber genauer hinschauen, ob das auch überall der Fall ist. Dürfen Frauen, die kein Kopftuch tragen wollen, in Deutschland unverschleiert über unsere Straßen gehen? Dürfen Mädchen am Schwimmunterricht teilnehmen? Bekommen sie die Bildung, die sie anstreben? Jede Frau in diesem Land hat das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben. Das müssen wir einfordern.
War man hierzulande also zu tolerant?
Vielleicht waren wir als Gesellschaft stellenweise zu bequem, bisweilen auch zu feige. Wir müssen Religionsfreiheit in Grenzen zulassen. Aber wir müssen auch dafür kämpfen, dass unsere freiheitliche und christliche Grundordnung eingehalten wird. Aus einer falsch verstandenen Toleranz heraus sind wir da in der Tat viel zu lässig gewesen.
Hatten Sie auch schon Schwierigkeiten gehabt mit Männern aus anderen Kulturen?
Einige muslimische Männer verweigern mir auf Messen im Ausland schon mal den Handschlag. In solchen Fällen überlasse ich den Herren die Verhandlungen.
Aber als Kunden würden Sie sie akzeptieren?
Wichtiger ist doch, dass wir uns in Deutschland durch solche Fragen nicht spalten lassen. Und obwohl die AfD ein hohes Wahlergebnis bekommen hat, ist es noch nicht zu spät, als Gesellschaft einen gemeinsamen Weg zu finden auf der Basis von klaren Prinzipien, aber auch Fairness. Dabei müssen wir alle Menschen mitnehmen, insbesondere auch jene in den neuen Bundesländern, über die wir oft allzu schnell urteilen.
Inwiefern ist die Wirtschaft dabei gefordert?
Die Unternehmen müssen Bundesländer wie Sachsen bei ihren Investitionsstrategien stärker berücksichtigen. Trumpf hat auch einen Standort in der Oberlausitz, zu dem es bereits vor der Wende Kontakt gab. Wir agieren in dieser Region, in der es kaum Industriearbeitsplätze gibt, besonders behutsam – vielleicht noch behutsamer, als wir es bei anderen Standorten tun. Ich finde schon, dass gerade Familienunternehmen hier in jüngerer Zeit mehr Verantwortung gezeigt haben. Bei einigen anderen würde ich mir mehr Engagement wünschen.
Es gibt nicht viele Manager in Deutschland, mit denen wir uns so intensiv und ausführlich über Werte und Religion unterhalten könnten. Wie sind Ihre eigenen Erfahrungen in diesem Kreis, wenn es um Ihre Haltung geht?
Ablehnung erfahre ich nicht, manchmal aber Verwunderung. Wenn jemand im Gespräch am Rande von seinen persönlichen Sorgen erzählt, und ich ganz vorsichtig sage: „Heut schließe ich Sie in mein Gebete ein“, dann erntet man durchaus Erstaunen. Aber fast immer auch Freude.
In der Autoindustrie scheinen in jüngerer Zeit christliche Werte wie Aufrichtigkeit und Gemeinsinn verletzt worden zu sein. Könnten solche Vorfälle und Verfehlungen, wie sie im Auto-Abgasskandal offenkundig geworden sind, auch bei Ihnen passieren?
Also… (zögert) Nein. Wir haben 12 000 Mitarbeiter in aller Welt, da kann ich natürlich nicht für jeden einzelnen garantieren. Aber für mein direktes Umfeld, den engeren Führungskreis, kann ich das.
Trumpf baut also auf einem anderen Wertegerüst auf?
Menschen machen Fehler. Die Menschen, die bei uns oder bei VW oder irgendwo sonst in einem Unternehmen arbeiten, sind ein Durchschnitt der Bevölkerung. Einige Journalisten schreiben falsche Dinge, einige Wissenschaftler fälschen Untersuchungsergebnisse, Sportler dopen, der Nachbar holt sich Geld von der Haftpflichtversicherung, das ihm eigentlich gar nicht zusteht – warum sollte es bei alledem ausgerechnet in Unternehmen nicht zu Verfehlungen kommen? Natürlich haben Top-Führungskräfte mehr Verantwortung, aber dafür stehen sie auch unter größerem Druck. Ich will dennoch nichts entschuldigen, sondern nur erklären.
Ist es gerechtfertigt, um des Erfolges Willen gesetzliche Vorgaben und Grenzwerte so großzügig auszulegen und auszureizen, dass das Ergebnis ihnen letztlich widerspricht?
An gesetzliche Vorgaben muss man sich halten. Aber manchmal sind natürlich auch diese Vorgaben unrealistisch. Ob beispielsweise der Elektromotor so schnell zum Standard in Deutschland werden kann, wie sich das die Grünen und auch Teile der CDU wünschen, wage ich zu bezweifeln.
Würde der deutschen Wirtschaft etwas mehr Rückbesinnung auf christliche Werte gut tun?
Ich würde das nicht auf die deutsche Wirtschaft beschränken. Es täte allen Menschen gut. Und übrigens: Der weitaus größte Teil der deutschen Wirtschaft hält sich an das, was wir Werte nennen – seien sie nun christlich fundiert oder nicht. So wie auch der allergrößte Teil der Bevölkerung nicht stiehlt oder betrügt.
Kränkt es Sie, wenn in kirchlichen Kreisen die Begriffe Wachstum und Gewinn häufig sehr negativ bewertet werden, manchmal sogar als ethisch verwerflich gelten?
Kritische Fragen schmerzen mich nicht. Höchstens, wenn sie in Uninformiertheit oder einem gewissen ideologischen Starrsinn wurzeln. Gewinne muss ich übrigens allein schon deswegen anstreben, damit wir unsere Steuern zahlen können. Aber dass die Kirche per se den Auftrag hat, auf die Schattenseiten und möglichen Opfer des globalen Wachstums hinzuweisen, das ist für mich selbstverständlich, das gründet in ihrer Botschaft.
Und wie setzen Sie das im Privaten um? Nach evangelischen Maßstäben sollten Sie ein bescheidenes, zurückhaltendes Leben führen. Ist das nicht schade, wenn man den eigenen Erfolg doch gern auch ein wenig genießen möchte?
Da machen Sie sich mal keine Sorgen, wir leben gut, und wir haben, wie man sagt, ausreichend.
Gibt es gar keinen Luxus in Ihrem Privatleben?
Doch, vor allem antiquarische Bücher. Für sie gebe ich sträflich viel Geld aus, zumeist für Erstausgaben. Und wenn ich schon ins Konzert gehe, dann will ich keinen Stehplatz haben. Aber natürlich bin ich auch für Äußerliches nicht unempfänglich. Ich laufe für gewöhnlich nicht im Jutesack herum.
Für Ihren Vater zählt Thomas Mann zu den bedeutendsten deutschen Schriftstellern. Liegt es als belesene Tochter nicht nahe, sich da mal etwas abzugrenzen? Was ist Ihr Lieblingsdichter?
Promoviert habe ich über Erich Kästner. Aber warum soll ich etwas ablehnen, nur, weil mein Vater es gut findet? Ich mag ja auch die moderneren Schriftsteller wie Thomas Bernhard, den mein Vater nicht so schätzt. Oder ich kann nachempfinden, dass Bob Dylan den Literaturnobelpreis gewonnen hat. Nur dass er ihn in Stockholm nicht abgeholt hat, das fand ich saublöd.
Was gibt Ihnen persönlich Trost in Situationen, in denen Sie doch vielleicht auch mal der Mut verlässt?
Musik von Bach und Mozart, auch ein Wiederlesen des „Hiob“ von Joseph Roth. Ach, und ein Glas guter Wein spendet durchaus auch Trost. Zum Glück gibt’s ja inzwischen auch recht ordentliche Württemberger.