In den Niederlanden steht am Mittwoch die Parlamentswahl an. Der Niederlande-Experte Friso Wielenga beurteilt die Folgen des Konflikts zwischen der Türkei und den Niederlanden, der am Wochenende eskaliert ist.

Stuttgart - Nach dem Verbot von Wahlkampfauftritten türkischer Minister in Holland und der Demonstration in Rotterdam sind die Beziehungen zwischen der Türkei und den Niederlanden schwer belastet. Erdogan droht mit Konsequenzen. In den Niederlanden steht am Mittwoch die Parlamentswahl an. Welche Konsequenzen hat der Konflikt auf die Wahl?

 
Herr Wielenga, der Streit zwischen den Niederlanden und der Türkei ist eskaliert. In Rotterdam gingen über 1000 Türken auf die Straße. Die Polizei musste mit Wasserwerfern eingreifen. Welche Folgen hat dies für die Wahl am Mittwoch?
Das ist im Moment noch schwer abzuschätzen. Man weiß noch nicht, wie sich diese Krise weiterentwickelt – und ob die Türkei noch weitere Eskalationspläne im Kopf hat. Die Unsicherheit ist nach diesem Wochenende groß.
Welcher niederländische Politiker kann sich in dieser schwierigen Situation mehr profilieren – der rechtspopulistische Geert Wilders oder der niederländische Premier Mark Rutte?
Zum jetzigen Stand würde ich sagen, dass Geert Wilders davon eher nicht profitiert, auch wenn die Lage auf den ersten Blick nach einem Wahlgeschenk für ihn aussieht. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte punktet jetzt: Er hat sich klar und hart in der Sache gezeigt und hat gleichzeitig versucht, die Situation zu deeskalieren. Er kann sich jetzt profilieren, indem er versucht, ruhig und staatsmännisch zu reagieren – das hat er auch getan. Die Haltung der niederländischen Regierung wird von der Bevölkerung als richtig gesehen und auch von den anderen politischen Parteien unterstützt. Rutte zeigt sich als der politisch Vernünftigere, Wilders setzt auf Eskalation und macht Krawall. Die Forderung von Wilders, die Demonstranten vor dem Rotterdamer Konsulat auszuweisen, ist lächerlich, allein schon deswegen, weil die meisten der Demonstranten ja die niederländische Staatsbürgerschaft besitzen. Auch seine Forderung, die diplomatischen Beziehungen zur Türkei abzubrechen, wird höchstens von seinen eigenen treuen Anhang unterstützt. Solche radikalen Forderungen schätzt die niederländische Bevölkerung nicht, sie erwartet ein staatsmännisches Auftreten.
Schon vor der Eskalation am Wochenende hatte Wilders ja an Zustimmung verloren.
Er war im Wahlkampf stark abwesend, er hat auch Fernsehdebatten abgesagt. Eigentlich führt er nie Debatten, schon seit zehn Jahren nicht. Wenn man versucht, mit ihm inhaltlich zu diskutieren, rennt er weg. Der Streit gegen den Populismus ist ein Streit zwischen Kopf und Bauch – und Wilders redet mit dem Bauch.
Vor dem TV-Duell der zwei Kontrahenten am Montagabend hat der Amtsinhaber also die besseren Karten?
Das Duell wird spannend. Wenn es Rutte schafft, klar und hart in der aktuellen Krise aufzutreten und im Duell staatsmännisch und abgeklärt zu bleiben, hat er beste Chancen, die Wähler zu überzeugen.
Viele Wähler sind noch unentschlossen. Angenommen, Wilders PVV würde doch stärkste Kraft – für wen wäre das schlimmer: für die Niederlande oder für Europa?
Ich würde Wilders Bedeutung nicht überschätzen, er wird zu groß gemacht. Wenn er doch noch die stärkste Fraktion stellen würde, könnte das Gefühl entstehen, dass die Welle des Rechtspopulismus in Europa nicht mehr zu stoppen sei. In meinen Augen stellt aber der Front National eine viel größere Bedrohung dar als die PVV. Man darf auch nicht vergessen, dass es die populistische Welle bei uns seit 2002 gibt und Wilders bereits 2010 auf 16 Prozent gekommen ist. Er ist nicht stärker als vor sieben Jahren.