SPD-Spitzenkandidat Nils Schmid steht auf Led Zeppelin und für eine Partei, die technologischen Fortschritt sozial gestalten will.

Stuttgart - Wir stellen die Spitzenkandidaten von CDU, SPD, Grünen, FDP und Linken in loser Folge im Interview vor. Heute: Nils Schmid (SPD). Den Abschluss macht nächste Woche Stefan Mappus (CDU).

 

Herr Schmid, der Wahlkampf hat sich nach dem Erdbeben in Japan völlig verändert. Gibt es überhaupt noch ein anderes Thema als die Folgen für die Energiepolitik?

Nach wie vor sind gerechte Bildungschancen und gute Arbeit in Baden-Württemberg Themen, die die Baden-Württemberger schwer beschäftigen. Aber natürlich stehen die furchtbaren Ereignisse in Japan und die Energiewende nun ganz oben auf der Agenda. Schlimm genug, dass es eines solchen Ereignisses bedurfte, um auch Schwarz-Gelb zum Umdenken zu bewegen. Wir wollten niemals recht behalten.

Der Ministerpräsident Mappus hat rasch reagiert, indem er das Ende für Neckarwestheim I verkündet hat. Hat er damit nicht das Heft in die Hand und Ihnen den Wind aus den Segeln genommen?

Herr Mappus war stets der exponierteste Vorkämpfer der Union für die Atomenergie und hat sogar seinen eigenen Umweltminister zum Rücktritt aufgefordert, als der nicht so wollte, wie er es gerne gehabt hätte. Ansonsten hat der noch amtierende Ministerpräsident mit seinen Prüfaufträgen nichts als Beruhigungspillen verteilt, um sich über den Wahltermin zu retten. Glaubwürdigkeit sieht anders aus.

Der von Rot-Grün beschlossene Atomausstieg wäre jetzt auch noch nicht abgeschlossen. Ist ein schnellerer Übergang ins regenerative Zeitalter realistisch?

Neckarwestheim wäre bereits abgeschaltet. Und der entscheidende Punkt des rot-grünen Atomausstiegs war ja, dass es einen genauen Fahrplan für die schrittweise Abschaltung der Kraftwerke gab, der mit der Atomindustrie fest vereinbart war. Dies hatte einen enormen Schub für den Ausbau erneuerbarer Energien erzeugt. Und das hat Schwarz-Gelb mit Mappus an der Spitze alles zerschlagen.

Sie sind jung und trotzdem schon lange in der Politik; warum sind Sie bei der SPD?

Ich bin 1991 eingetreten aus Ärger über die verlorene Bundestagswahl 1990. Ich wollte Kohl weghaben. Es hat nicht gereicht. Und darum habe ich gesagt, ich muss mithelfen, dass es klappt. Ich wollte den Stillstand überwinden, der über Deutschland lag.

Eine gewisse inhaltliche Nähe zur SPD wird es auch gegeben haben, oder?


Das stand für mich immer außer Frage, dass ich wenn, dann zur SPD gehe. Die Grünen waren mir mit dem Friedensthema und dem Ökologiethema immer zu eng. CDU kam nicht infrage. Die FDP als Beiboot der CDU auch nicht. Deshalb war es klar, dass ich zur SPD gehe. Dort spielt das Soziale eine zentrale Rolle. Sie hat eine starke demokratische Tradition über die deutsche Geschichte hinweg.

Das ist 20 Jahre her. Hat sich in der Sozialdemokratie in dieser Zeit etwas verändert, was in Ihnen Zweifel hat aufsteigen lassen oder worin Sie sich bekräftigt sehen?

Es hat sich eher immer bekräftigt. Ich habe in keinem Moment an meiner Partei gezweifelt, weil sie auch eine große Bandbreite zulässt. Was mich eher verzweifeln lässt, ist diese Oppositionsseligkeit, die manchmal Einzug hält. Das war sicher in den 90er Jahren über lange Zeit ein Problem. Deshalb war ich auch sehr erleichtert, als Schröder es geschafft hat, die SPD an die Macht zu bringen. So schön es ist, gute Konzepte zu haben, man muss Mehrheiten gewinnen und dann auch regieren wollen. Dieser Wille zur Regierung und nicht nur der Wille zu guten Ideen, das ist etwas, wofür man in der SPD immer wieder kämpfen muss.

Wie sorgen Sie vor, dass das nicht in kleinräumiges Taktieren ausartet, das die Menschen im Land verdrossen stimmt?

Man braucht ein Gesellschaftsbild, das man politisch anstrebt. Es ist ja ein großer Mangel von Stefan Mappus, der außer dem reinen Willen zur Macht kein Bild davon hat, was er aus dem Land machen will. Das ist die Stärke der SPD. Man muss das allerdings zusammenknüpfen mit dem Pragmatismus, es auch umzusetzen. Das Bild ist das einer weltoffenen Gesellschaft, einer wirtschaftlich-dynamischen Gesellschaft, die technologischen Fortschritt braucht, um die ganzen Herausforderungen zu bewältigen. Und es ist ein Bild von Gesellschaft, in der nicht die Herkunft über das Schicksal von Menschen entscheidet, sondern die eigene Anstrengung; wo Politik Steine aus dem Weg räumt.

Das könnte die Menschen ja schon ansprechen. Und dennoch stehen Sie mit der SPD in der Gunst der Menschen im Land noch nicht hoch. Warum überzeugen Sie die nicht?

Die SPD-Themen werden noch deutlicher werden. Die SPD ist immer dann stark, wenn sie das Spiel von Innovation und Gerechtigkeit auf einen Nenner bringt. Das ist Olaf Scholz gelungen, das ist Gerhard Schröder gelungen. Das ist 2009 nicht gelungen. Aber darum geht es. Sozialer Ausgleich läuft nur, wenn wir eine starke Wirtschaft haben. Die SPD stellt sich an die Spitze von wirtschaftlicher und technologischer Entwicklung. Es reicht nicht, allein die kleinen Leute zu verteidigen. Aber nur Avantgarde zu sein reicht auch nicht. Wir haben hier Chancen, weil die CDU das Gespür für die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen verloren hat.

Wie ist Ihr Verhältnis zu Stefan Mappus? Wie entwickelt sich das im Wahlkampf?


Es ist kein nahes Verhältnis, aber es ist ein völlig normales Verhältnis.

Könnten Sie sich vorstellen, wenn es sein müsste, als Finanzminister unter einem Ministerpräsidenten Stefan Mappus Verantwortung zu übernehmen?

Ich will mir keine Große Koalition vorstellen. Das ist für die SPD bisher nie gut ausgegangen. Dabei wird auch immer nur der kleinste gemeinsame Nenner erreicht. In der Bildungspolitik zum Beispiel wäre es sehr mühselig, mit der CDU etwas zu bewegen. Aber eines ist auch wichtig: in der Landespolitik muss man mit den handelnden Persönlichkeiten grundsätzlich reden können. Ich finde es schlimm und auch unreif, wenn man sagt: Mit denen setze ich mich nicht an einen Tisch. Wer gewählt ist, ist gewählt. Das muss man respektieren.

Es gibt aber politische Gräben. Sie klagen gegen die Regierung wegen des EnBW-Aktienkaufs. Das wird nach der Wahl verhandelt. Dann könnte es sein, dass Sie Koalitionäre sind und sich vor Gericht sehen.

Das ist eine wichtige Klärung. Wenn das Verfahren so ausgeht, wie wir erwarten - wir erwarten eine klare Niederlage für Mappus & Co. - dann hat das politische Konsequenzen. Das könnten die nicht ungerührt wegstecken. Wenn Mappus noch an der Regierung sein sollte, muss man sich fragen, inwieweit sich nach so einen Verfassungsgerichtsurteil die Frage nach der politischen Verantwortung stellt. Mappus schiebt die politische Verantwortung ja ohnehin gern weg. Bei der Steuersünder-CD auf die FDP; bei der Konfrontation um Stuttgart 21 auf die Polizei; bei der EnBW hat er die Fehler gemacht, nicht wir. Er tut immer so, als reiche es aus, eine gute Idee zu haben; danach heiligt der Zweck alle Mittel. Das geht nicht.

Unterscheidet sich der jetzige Landtagswahlkampf von früheren? Ist er härter?

Der entscheidende Unterschied ist, dass die Chance da ist, diese Regierung gemeinsam mit den Grünen aus dem Amt zu kippen. Diese Wechselperspektive wird bis zum Wahltag anhalten. Das mobilisiert ganz anders. Was die CDU macht, hat Züge eines Angstwahlkampfs: die Beschwörung der kommunistischen Machtübernahme und des Chaos, aber auch persönliche Angriffe. Man gewinnt eine Wahl mit Hoffnung.

Zu einem Wechsel wäre auch nötig, dass Sie gemeinsame Sache mit den Linken machen.

Ich werde bis zum Wahltag deutlich machen, dass ein echter Wechsel nur mit einer starken SPD möglich ist - gemeinsam mit den Grünen. Persönlich kämpfe ich dafür, dass wir enttäuschte Wähler zurückgewinnen, zum Beispiel durch den verstärkten Schulterschluss mit den Gewerkschaften. Ich werde deutlich machen, dass jede Stimme für die Linken eine verlorene Stimme für den Wechsel ist. Das sieht man an Nordrhein-Westfalen: Wären die Linken draußen, hätte Hannelore Kraft eine stabile rot-grüne Mehrheit. Ich will auch nicht mit den Linken regieren. Wenn der Wähler aber entsprechende Fakten schafft, dann gilt es, das zu respektieren. Deshalb schließe ich nichts aus. Ich werde im Zweifel auch mit der FDP reden, wenn es darum geht, eine Regierung zu bilden. Das ist doch logisch. Man respektiert doch die Wähler, die hinter der Partei stehen.

Was wäre bei der SPD größer: der Wechselwunsch oder die Abneigung gegenüber den Linken?

Es gilt, viel von den SPD-Inhalten umzusetzen. Das ist generell die Messlatte. Und bei der Linkspartei gelten verschärfte inhaltliche Anforderungen, so ist die Abgrenzung vom Kommunismus unbedingt erforderlich und das Bekenntnis zu finanzpolitischer Konsolidierung.

Wie ist Ihr Verhältnis zu den Grünen?

Ich habe ein gutes Verhältnis zu den Grünen. Das liegt auch daran, dass ich das Trennungstrauma nicht persönlich erfahren habe. Für mich sind die Grünen eine eigenständige Partei und nicht Fleisch vom Fleische der SPD, wo man wie ein Vater auf die Kinder schaut und sie maßregelt, wenn sie eigene Wege gehen. Die Grünen sind stark, das ist auch in Ordnung. Es wird eine Partnerschaft auf Augenhöhe sein. Wir haben viele inhaltliche Schnittmengen, es gibt genügend Stoff für eine gemeinsame Regierung über mehr als eine Legislaturperiode.

Wie bewältigen Sie auf Augenhöhe das zwischen Ihnen und den Grünen strittige Thema Stuttgart 21?

Dazu habe ich einen Vorschlag gemacht, weil mir bewusst ist, dass das ein Thema ist, das wir auf der Sachebene nicht auflösen werden. Vielleicht kommen ja auch die Grünen nach dem Stresstest zu dem Schluss, dass das ein toller Bahnhof ist. Ich glaube aber, dass wir als SPD mit dem Vorschlag einer Volksbefragung in der Gesellschaft Brücken bauen können.

Manchmal sind Sie auch Privatperson. Es heißt, Sie lieben Rockmusik.


Ja, das ist richtig.

Und welche?

Bruce Springsteen, Led Zeppelin ... die siebziger Jahre finde ich gut ... Emerson, Lake and Palmer, Yes oder Radiohead...

Haben Sie überhaupt noch die Zeit, auch mal in ein Konzert zu gehen, mit Ihrem Sohn zum Beispiel?

Mit dem Sohn noch nicht, weil der Musikgeschmack bisher noch kein gemeinsames Konzert erlaubt hat. Er macht selber Musik. Er ist DJ, macht Hip-Hop, House und solche Sachen, legt hin und wieder auf bei Partys. Das ist nicht das, was ich hören will. Das einzige Mal, wo wir es gemeinsam in ein Konzert geschafft haben, war in der Türkei, bei Tarkan. Das ist einer der besten türkischen Popkünstler. Derzeit komme ich leider nicht in Konzerte. Abends ist es wegen der Kleinen schwierig. Aber es gibt in Autos ja CD-Spieler. Da kann man hin und wieder Musik laufen lassen.

Es wird auch berichtet, dass Sie sportlich sind. Sie spielen Badminton, Basketball, und außerdem sind Sie Rechtsaußen der Landtagsfußballauswahl.

Ja, weil ich ein Rechtsfüßler bin. Da ist es immer gut, wenn man rechts außen spielt.

Und im Angriff?

Im Angriff, natürlich. Ich will immer Tore schießen (lacht).

Ferdinand Kirchhof war sein Doktorvater

Einserjurist Schmid kam 1973 in Trier zur Welt und wuchs in Nürtingen auf. In Tübingen studierte er Jura und legte 1999 als "Einserjurist" das Erste und 2001 das Zweite Staatsexamen ab. 2006 promovierte er in Tübingen mit einer Dissertation zum Thema "Staatliches Liegenschaftsamt, Staatsverschuldung und Staatsvermögen" bei Ferdinand Kirchhof und erhielt die Note "summa cum laude". Seine Habilitation unterbrach Schmid wegen seiner politischen Karriere.

Abgeordneter Als Nachrücker für den verstorbenen Werner Weinmann kam Nils Schmid 1997 mit 24 Jahren in den Landtag. 2001 rückte er zum finanzpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion auf, wo er sich den Respekt auch des politischen Gegners erwarb. 2006 wurde er stellvertretender SPD-Landeschef. Nach dem Abgang von Ute Vogt unterlag er bei der Wahl zum Fraktionschef knapp Claus Schmiedel, schlug ihn aber, als es Ende 2009 um den SPD-Landesvorsitz ging.

Privatperson Schmid ist mit der Deutschtürkin Tülay verheiratet. Das Paar hat einen 1992 geborenen Sohn und eine 2009 geborene Tochter. Schmid ist im Kuratorium des Deutsch-Türkischen Forums Stuttgart, Vorsitzender des Kuratoriums der Kunststiftung Baden-Württemberg und Mitglied des Stiftungsrats der Werner-Weinmann-Stiftung.