OB Fritz Kuhn kritisiert das vorläufige Aus für die blaue Plakette – und warnt: Sollten Maßnahmen wie der freiwillige Verzicht aufs Autofahren während des Feinstaubalarms nicht fruchten, seien Fahrverbote unumgänglich.

Stuttgart - Das Bundesumweltministerium hat die blaue Plakette für besonders schadstoffarme Fahrzeuge vorerst auf Eis gelegt. Stuttgarts OB Fritz Kuhn hält das für falsch und kritisiert im Interview fehlende Alternativen. Der Bund müsse andernfalls die gesetzlichen Grundlagen für Fahrverbote oder City-Maut schaffen.

 
Herr Kuhn, wie bewerten Sie das vorläufige Aus für die blaue Plakette?
Ich habe mich sehr über die Entscheidung des Bundesumweltministeriums geärgert. Wenn man so ein Instrument wie die blaue Plakette aus dem Spiel nimmt und nicht sagt, was man stattdessen machen will, dann kann ich das nicht mehr nachvollziehen. Der Bund lässt systematisch die Städte im Stich.
Sie sprechen die fehlenden Alternativen an. Welche wären das?
Es fehlt an Regelungen, die den technologischen Wandel beschleunigen. Auch fehlen Möglichkeiten, die Finanzierung des ÖPNV zu erweitern, zum Beispiel eine Nahverkehrsabgabe. Das würde bedeuten: Jeder der nach Stuttgart reinfährt, braucht ein gültiges ÖPNV-Ticket. So kann der ÖPNV ausgebaut werden. Auch dafür fehlt bisher eine bundesgesetzliche Grundlage genauso wie für die City-Maut. Der Bund muss endlich sagen, was er will, damit die Kommunen dieses Bundesrecht vor Ort umsetzen können.
Auch Umweltverbände kritisieren das Verhalten des Bundes massiv. Es heißt etwa, im Grundgesetz sei zwar das Recht auf körperliche Unversehrtheit festgeschrieben, nicht aber das ADAC-Motto Freie Fahrt für freie Bürger. Ist das Bundesumweltministerium nicht schlicht vor der Automobillobby eingeknickt?
Das wäre nicht meine Wortwahl. Aber richtig ist, dass wir Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide haben, die wir einhalten müssen. Deswegen tun wir in Stuttgart gemeinsam mit dem Land alles, um die Werte einzuhalten. Das Wichtigste ist, dass man mehr Leute zum Umstieg auf den ÖPNV bringt. Das Fahrgastaufkommen wächst bei uns jährlich um drei Prozent, seit ich OB bin. In anderen Städten wächst der öffentliche Nahverkehr deutlich langsamer. Wir haben das Job-Ticket geschaffen, viele Unternehmen ziehen nach. Wir machen Tempo 40 auf Steigungsstrecken, weil das die Verflüssigung des Verkehrs unterstützt, und wir bauen die Radwege aus. Wir werden besser. Allerdings werden am Neckartor die Feinstaub- und Stickoxidgrenzwerte immer noch gerissen, weil dort viel Verkehr unterwegs ist. Mein Ziel war und ist es, den konventionell betriebenen Verkehr im Talkessel um 20 Prozent zu senken.