Wirtschaft: Ulrich Schreyer (ey)

Eine weitere Sorge der Wirtschaft ist die Energiewende. Wie sieht Ihr Urteil aus?
Dringend erforderlich ist eine einheitliche Energiewende auf Bundes- und Landesebene. Einzellösungen auf Landesebene sind kontraproduktiv. Die Länder haben auch die Verantwortung bei der Genehmigung der Trassen für den Stromtransport vom Norden in den Süden und in die Verteilernetze. Ich würde mir wünschen, dass der Ministerpräsident mit seinem Gewicht dafür sorgt, dass das Zusammenspiel zwischen Bund und Ländern besser klappt.

Ein wichtiger Standortfaktor ist auch die Verkehrsinfrastruktur. Ist es richtig, wenn Verkehrsminister Winfried Hermann sagt, wir haben kein Geld, wir bauen keine neuen Straßen, wir sanieren die vorhandenen?
Ich glaube, man kann nicht das eine tun und das andere lassen. Es hat lange gedauert, bis Hermann die Brille eines engagierten Oppositionspolitikers abgelegt und die eines verantwortlichen Ministers aufgesetzt hat. Aber in letzter Zeit hat er deutlich dazugelernt. So hat er beispielsweise erkannt, dass Projekte angeschoben werden müssen, auch wenn die Finanzierung noch nicht steht. Man muss etwas in der Pipeline haben, wenn, wie jedes Jahr, Mittel übrig bleiben. Sonst geht dieses Geld wieder in andere Bundesländer, etwa nach Bayern, wie so oft. Und wenn dem Staat Geld fehlt, gibt es auch noch andere Möglichkeiten. Eine Maut für Personenwagen wäre der schnellste Weg, um mehr Mittel aufzutreiben. Aber wir sind nur dann dafür, wenn die Einnahmen ausschließlich dem Ausbau der Straßen zugutekommen.

An Stuttgart 21 halten Sie natürlich fest?
Das läuft, das ist gar keine Frage. Aber natürlich gibt es nicht nur Stuttgart 21. Wir haben auch die Rheintalschiene. Großprojekte wie Stuttgart 21 nützen uns jahrzehntelang. Wenn man die Kosten gedanklich auf 100 Jahre verteilt, kommt man auf 60 bis 70 Millionen Euro im Jahr und die Gesamtbausumme von derzeit 6,5 Milliarden Euro relativiert sich. Hätten unsere Vorfahren so gegenwarts- und selbstbezogen gedacht, gäbe es das Ulmer Münster heute nicht!

Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung gehen bei kleinen und mittleren Unternehmen seit Jahren zurück. Ist die Landesregierung hier gefordert?
Da kommen wir zu dem Thema Steuern. Wenn der Staat durch höhere Steuern das Kapital, das für Forschung, Entwicklung und Investitionen gebraucht wird, wegnimmt, können die Unternehmen dafür nicht genügend ausgeben. Die baden-württembergischen Grünen hätten auf ihrem Parteitag unter Federführung von Kretschmann einen Änderungsantrag stellen können. Mit dem Abstimmungsergebnis hätten wir klar und deutlich gesehen, wie stark der Einfluss der baden-württembergischen Grünen ist und vor allem, in welchem Maße die Grünen im Bund eine ganz andere Richtung einschlagen. Was die Grünen auf ihrem Parteitag beschlossen haben, ist eine massive Schwächung des Mittelstands.

Hat Kretschmann durch den Parteitag in Hannover an Glaubwürdigkeit verloren?
So weit würde ich nicht gehen. Ich finde eher, man sollte ihn ermutigen, sein tatsächliches Gewicht bundespolitisch stärker auszuspielen. Das macht er viel zu wenig – innerparteilich, aber auch in der Bundespolitik. Vom absoluten Gewicht her ist für mich Winfried Kretschmann als Chef eines extrem leistungsfähigen Bundeslandes mindestens gleichrangig mit Jürgen Trittin.

Wie sind die Erfahrungen mit der SPD?
Mit Wirtschaftsminister Nils Schmid haben wir beim Steuergipfel die Frage der steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung durch entsprechende Gutschriften besprochen. Er hat uns da durchaus Hoffnung gemacht, dass etwas in dieser Richtung geschieht. Schmid setzt sich auch dafür ein, dass es zu keiner Substanzbesteuerung kommt.