Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer rechtfertigt das Ende des Baustopps. Und erklärt, warum Kretschmann in einem „tiefen Dilemma“ steckt.
Stuttgart - Wenn aus dem Bahnhofsprojekt nichts wird, warnt der Verkehrsminister aus Berlin, bleibt Stuttgart auf einer halbfertigen Baustelle sitzen. Für Alternativen gebe es kein Geld.
Die Bahn will Stuttgart 21 von Dienstag an weiterbauen. Wie stehen Sie dazu?
Ich begrüße, dass nun Klarheit herrscht. Der von der Bahn angebotene verlängerte Baustopp hat sich erledigt, weil niemand die Mehrkosten dafür übernehmen will - weder die Stadt noch das Land. Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Herrmann hat am vergangenen Freitag auf einen Antrag auf einen Baustopp verzichtet. Alle Projektpartner sind nun gehalten, das Projekt so wie geplant umzusetzen.
Die Folge könnte aber eine erneute Eskalation sein. Lässt Sie das kalt?
Das lässt mich nicht kalt - auch ich hoffe, dass die Projektpartner die Lage ruhig halten können. Allerdings darf Stuttgart 21 nicht am lautstarken Protest einer Minderheit scheitern, ebenso wenig an Demonstrationen und am Druck von der Straße. Tatsache ist: Die Bahn hat Baurecht. Und Ministerpräsident Kretschmann hat mir bei unserem Gespräch hier in Berlin persönlich zugesagt, dass das Land diesem Baurecht Geltung verschaffen werde.
Warum wartet die Bahn nicht den Stresstest ab, bevor weitergebaut wird?
Der Schlichterspruch von Heiner Geißler sieht keinen totalen Baustopp vor, das hat er mir persönlich erst vor wenigen Tagen auf meine Nachfrage versichert. Es sollen aber keine Baumaßnahmen vorgenommen werden, die Ergebnisse des Stresstests konterkarieren. Genau das wird sicher gestellt sein. Wir erwarten das Testergebnis vor Mitte Juli. Bis dahin werden keine irreversiblen baulichen Tatsachen geschaffen, die eine Umsetzung von Empfehlungen aus dem Stresstest unmöglich machen.
Das wird den Kritikern kaum genügen.
Entscheidend ist doch: Die Bahn hat sich bisher außerordentlich fair verhalten. Niemand kann dem Konzern vorwerfen, er handle kompromisslos und knochenhart. Bahnchef Grube hat viel Entgegenkommen gezeigt. Es gab ein klares Ja zur Schlichtung, zum Stresstest, zur Aussetzung von Bauarbeiten während der Schlichtung sowie nach der Landtagswahl - und das Angebot, gegen Kostenerstattung bis zum Ende des Stresstests die Arbeiten zwar nicht zu stoppen, aber auszudünnen. Das wurde von den anderen Projektpartnern abgelehnt. Und daher ist es nun an der Zeit, gültige Baubeschlüsse umzusetzen.
Viele Kritiker werten den Regierungswechsel als ein klares Votum gegen das Projekt.
Das ist falsch. Bei der Landtagswahl haben mehr als zwei Drittel der Menschen für Parteien gestimmt, die ausdrücklich für Stuttgart 21 sind. Nach den Sitzen im Landtag sind es sogar über 70 Prozent. Die demokratische Legitimation des Projekts ist damit einmal mehr bewiesen. Und Minderheiten müssen in einem Rechtstaat lernen, den Mehrheitswillen zu akzeptieren und zu respektieren. Man kann die Spielregeln nicht nach Belieben ändern, wenn sie einem nicht passen. Auch die neue Landesregierung hat eine vertraglich fixierte Projektförderungspflicht, der sie nachkommen muss und will.
Der Stresstest soll das Bahnhofsprojekt nicht verhindern
Warum drückt die Bahn nun so aufs Tempo und droht mit hohen Mehrkosten und jahrelangen Verzögerungen?
Einspruch! Die Bahn hat um des Friedens Willen lange Zeit gerade nicht aufs Tempo gedrückt. Aber nun gibt es sachliche Gründe, um weiterzumachen. Die Bindungsfrist großer Angebote von Baufirmen endet am 15. Juli. Wenn die Aufträge bis dahin nicht erteilt werden, drohen stattliche Mehrkosten und Verzögerungen. Deshalb bin ich froh, dass die Ergebnisse des Stresstests vor dem 15. Juli vorliegen werden, so dass noch Zeit für eine sachgerechte Bewertung bleibt.
Gehen Sie denn davon aus, dass Stuttgart 21 den Stresstest übersteht?
Ich bin kein Prophet. Grundsätzlich soll der Stresstest das Bahnhofsprojekt aber optimieren und nicht verhindern. Wichtig ist, dass sich alle Beteiligten auf die Bedingungen des Stresstests geeinigt haben. Die Kritiker durften sogar die Gutachter bestimmen, die den Stresstest durchführen sollen. Es sollte sich also hinterher niemand über die Ergebnisse dieser Experten beschweren oder neue Gutachter aus dem Hut ziehen. Man muss sich dann auch an Absprachen halten und nicht wieder neue Ausflüchte suchen.
Ist Stuttgart 21 überhaupt noch im Plan? Bleibt es bei höchstens 4,5 Milliarden Euro Gesamtkosten und der Fertigstellung 2019?
Meine Antwort auf beide Fragen lautet: Ja. Die Bahn hat frühzeitig Zeitreserven eingeplant, die keine nennenswerten Folgekosten verursachen. Nur deshalb gab es auch die Möglichkeit, den Kritikern mit Auszeiten beim Bau entgegen zu kommen. Die Reserven sind nun aber ausgereizt, jetzt muss es auf der Baustelle weitergehen, um die Zeitpläne zu erfüllen. Und dann habe ich, trotz aller Risiken eines solchen Bauprojekts, keine berechtigten Zweifel, dass Stuttgart 21 im Jahr 2019 fertig wird.
Der bisherige Bauleiter Azer warnte den Bahnvorstand vor 121 Kostenrisiken in Milliardenumfang. Was sagt der Bund dazu?
Die Kostenrechnungen für Stuttgart 21 werden fortlaufend überwacht und verifiziert. Es gibt zurzeit keine Anzeichen dafür, dass der Kostenrahmen von 4,088 Mrd gesprengt würde und die Finanzierungsreserven von weit über 400 Millionen nicht ausreichen könnten. Vorstand und Aufsichtsrat der Bahn haben mir versichert, dass die Kosten und Risiken mit hinreichender Sorgfalt geprüft worden sind.
Haben Sie Ausstiegsszenarien erarbeitet?
Zu keinem Zeitpunkt, dafür gab es keinen Anlass.
Es gibt also keinen Plan B?
Nein, definitiv nicht. Aber es gibt klare Einschätzungen, was ohne S21 passiert. Würde das Projekt abgeblasen, ruht eine angefangene Baustelle. Stuttgart würde 10 bis 15 Jahre mit einem Provisorium leben müssen: einem halb abgerissenen Bahnhof, einem freigeräumten Baufeld und schon verlagerten Gleisanschlüssen.
"Der Kopfbahnhof ist eine Scheinalternative"
Für viele Kritiker wäre der Ausbau des Kopfbahnhofs trotzdem die bessere Alternative.
Das ist nur eine Scheinalternative. Es wären zig Jahre erneuter Planung nötig. Ein Stopp von Stuttgart 21 würde zudem zu hohen Schadenersatzforderungen führen. Es geht dabei zum Beispiel um Aufträge, die nicht wie zugesagt termingerecht erteilt und um Maßnahmen, die gestoppt wurden. Es könnten also Ausstiegskosten in Milliardenhöhe entstehen, die gezahlt werden müssten. Wo soll dann das Geld für eine tragfähige Alternative herkommen?
Ministerpräsident Kretschmann hat von seinem ersten Treffen mit Ihnen berichtet, er habe Sie als "harte Nuss" erlebt. Was hatten Sie für einen Eindruck von ihm?
Herr Kretschmann erweckte den Eindruck, dass er inzwischen erkannt hat, in welch tiefem Dilemma er steckt. Er befindet sich in der Zange zwischen den Pflichten, die er als Amtsnachfolger der bisherigen Landesregierung übernommen hat, und den Versprechungen, die seine Partei im Wahlkampf gemacht hat. So gerne ich diesem sympathischen Mann helfen würde - es gibt weder politischen noch rechtlichen Spielraum dafür.
Ist Ihnen bange vor der Volksabstimmung zu Stuttgart 21?
Nein. Ich habe meine Zweifel, ob es überhaupt dazu kommt. Einen konkreten Termin gibt es noch immer nicht. Ich habe das Gefühl, dass beide Koalitionspartner in Wirklichkeit nach Wegen suchen, eine Volksabstimmung zu vermeiden.
Mann der klaren Worte
CSU-Vorkämpfer: Bis zur letzten Bundestagswahl war Peter Ramsauer (57) Sprecher der CSU-Abgeordneten im Bundestag. Als solcher pflegte er eine rustikale Rhetorik der klaren Kante. Dem ist der Oberbayer in seinem neuen Amt als Bundesverkehrsminister treu geblieben. Ministerpräsident Kretschmann, der mit ihm unlängst über eine verlängerte Baupause verhandeln wollte, hat bei Ramsauer auf Granit gebissen.