Das Land Baden-Württemberg engagiert sich mit Hilfe in ärmeren Ländern: Philipp Keil von der Stiftung Entwicklungs-Zusammenarbeit sagt, dass globale Fairness bei uns in Deutschland beginne.

Stuttgart - Der Ökonom Philipp Keil (39) leitet seit 2015 als Geschäftsführer die Stiftung Entwicklungs-Zusammenarbeit des Landes Baden-Württemberg. Ein Schwerpunkt ist die Arbeit mit Burundi, mit dem das Land seit den 80er Jahren eine Partnerschaft hat. Im Interview erklärt Keil warum, auch Bundesländer, Städte und Gemeinden internationale Verantwortung tragen sollten. Mit fairem Handel werden auch bei uns die Weichen gestellt für globale Stabilität.

 

Herr Keil, kann die Bevölkerung in ärmeren Staaten überhaupt von der Entwicklungszusammenarbeit profitieren? Ist es nicht vergebliche Mühe?

Das ist die Gretchenfrage auch in Baden-Württemberg, was Entwicklungszusammenarbeit überhaupt bringt. Sie wird kritisch gesehen bezüglich Afrika, wo am meisten Geld hinfließt, und wo die wenigsten Ergebnisse bei der Armuts- und Hungerbekämpfung erzielt worden sind. Es war so etwas wie eine Revolution, als man 2015 mit der UN-Agenda 2030 festgestellt hat, dass die ganze Zusammenarbeit wenig bringt, wenn globale Grund- und Machtstrukturen sowie die wirtschaftlichen Zusammenhänge und Verträge nicht auch verändert werden. Wenn Entwicklungszusammenarbeit effektiv sein soll, müssen wir bei uns anfangen: bei der Produktion, dem Handel und den Konsummustern. Da ist eine Ungleichheit festzustellen. Wenn man eine partnerschaftliche Zusammenarbeit möchte - also global verantwortlich und nicht wie früher eine Spendenindustrie - muss man bei uns anfangen.

Warum sollte ein Land wie Baden-Württemberg sich eigentlich dem internationalen Thema stellen?

In der Tat sind diese Aufgaben im Föderalismus beim Bund verortet. Aber bei der Frage der globalen Stabilität spielen alle Akteure eine Rolle, auch Länder und Kommunen. Ich hatte es gerade gesagt – Konsum-, Produktions- und Migrationsfragen stellen sich auch bei uns auf allen Ebenen. Für die globale Stabilität sind wir alle verantwortlich. Entwicklungszusammenarbeit heißt nicht mehr, Geld rüberzuschicken in ärmere Länder. Hier bei uns werden die Weichen gestellt. Baden-Württemberg ist übrigens seit mehreren Jahrzehnten in der Entwicklungszusammenarbeit tätig.

Sie versuchen junge Leute mit Ihrer Kampagne „Future Fashion“ für nachhaltigen Textilkonsum zu gewinnen. Wie können Sie die erreichen?

Wir brauchen einen elementaren Wandel in unseren Wirtschaftsstrukturen. Wir Älteren tun uns mit echten Veränderungen und der Aufgabe von Privilegien eher schwer. Jüngere sind eine wichtige Zielgruppe für uns, sie nehmen das Thema aufgeschlossener wahr. Mit Future Fashion wollen wir auf die ökologischen und sozialen Aspekte der textilen Wertschöpfungskette hinweisen: da geht es beispielsweise um Wasserverbrauch, Chemiekalieneinsatz und Menschenrechte. Wir bilden Multiplikatoren aus, die dann Workshops im ganzen Land zum Thema veranstalten. Wir bieten Kleidertauschpartys und veranstalten Future-Fashion-Stadtrundgänge. Da laufen 20 Leute mit einem Guide durch Stuttgart und sprechen über das Thema: beim Altkleidercontainer, vor Primark, der Filiale eines nachhaltigen Labels oder dem Globetrotter-Laden.

Viele Städte und Gemeinden sind aktiv beim Klimaschutz, kommen Sie da mit Ihrem Thema überhaupt durch?

Im September beginnen wir mit unserer Kampagne „Meine, deine, eine Welt“, in der wir die Kommunen auffordern, ihr entwicklungspolitisches Engagement zu zeigen und Themen der globalen Verantwortung erlebbar zu machen. Die sind ja längst in den Städten und Gemeinden angekommen: mit der Migration, mit der Frage nach den Fluchtursachen. Das lässt sich gut verzahnen mit dem Klimaschutz, der in der Tat ein Thema ist, bei dem viele Kommunen wirklich schon weiter sind.

Ihre Stiftung ist aktiv im ostafrikanischen Burundi. Macht es dort Sinn zu arbeiten, angesichts der schlechten Menschenrechts- und Demokratiebilanz. Stabilisieren Sie auf diese Weise nicht das Regime?

Diese Frage steht immer auf dem Tableau. Aber die Partnerschaft des Landes Baden-Württemberg mit Burundi besteht seit Jahrzehnten, wir haben sie 2015 auch formell verankert. Landesregierung und Landtag haben entschieden, dass wir Burundi in seiner schwierigen Situation weiterhin beistehen wollen, wir arbeiten dabei aber nicht mit der Regierung zusammen, sondern sind froh, dass wir Partner in der Zivilgesellschaft haben, mit denen wir einiges machen können. Wir leisten kleinere Beiträge mit Projekten für Ernährungssicherheit, Einkommensbildung und Friedenssicherung. Ein Projekt befasst sich etwa mit der Aufforstung, da arbeiten wir gemeinsam mit einer Kaffeekooperative, die wissenschaftliche Begleitung kommt von der Hochschule Rottenburg und der Weltpartner in Ravensburg importiert den fair gehandelten Kaffee nach Baden-Württemberg.

Sie sind noch in einem zweiten Land aktiv: In der Provinz Dohukm im Nord-Irak unterstützt die Stiftung Menschen in einem Flüchtlingslager. Sind Reisen dorthin nicht riskant?

Wir waren bisher jedes Jahr dort und haben unser Projekt angeschaut. Wir stoßen dort auf große Gastfreundschaft, Offenheit und kulturelle Vielfalt und fühlten uns stets sicher, selbst als der IS noch aktiv war in der Region und Mossul besetzt hielt. Wir können im Irak gute Projekte durchführen, eins ist beispielsweise eine Solaranlage im Camp Mam Rashan, die wir 2018 eröffneten und die dafür sorgt, dass jetzt 8500 Menschen auch tagsüber Strom haben. Am 8. August startet ein junges Paar – Konstantin und Marina – vom privaten Verein „The way we go“eine Reise unter der Schirmherrschaft von Landesumweltminister Franz Untersteller mit einem Camper durch 30 Länder in Europa und Asien, auf der sie Start ups für den Klimaschutz vernetzen. Die beiden werden bei der Eröffnung der zweiten Ausbaustufe der Solaranlage in Mam Rashan dabei sein. Wann sie dort ankommen, das wissen wir noch nicht. Wir freuen uns, aus Baden-Württemberg heraus in einer sehr bewegten Zeit neue Brücken zu bauen.