Der Politologe Stefan Wurster aus Heidelberg analysiert im Interview mit der StZ den Erfolg der Grünen und die Probleme der CDU.  

Stuttgart - Die Grünen haben die CDU in Stuttgart als stärkste Partei abgelöst. Der Politikwissenschaftler Stefan Wurster erklärt die spektakulären Verschiebungen.

 

Herr Wurster, nach der Kommunalwahl haben nun erneut mehr als 30 Prozent der Stuttgarter für die Grünen gestimmt. Würden Sie diese als Volkspartei bezeichnen oder handelt es sich nur um eine Momentaufnahme?

Die Grünen scheinen zumindest auf dem Weg hin zu einer Volkspartei zu sein. Einerseits muss man sehen, dass sie bei dieser Wahl hervorragende Ausgangsbedingungen hatten. So hat das Thema Atomkraft nach der Reaktorkatastrophe in Japan großen Einfluss auf die Wahlentscheidung gehabt. Andererseits gibt es in Großstädten wie Stuttgart auch einen langfristigen Trend. In Stuttgart ist das gebildete bürgerliche Milieu im Vergleich zum Land überdurchschnittlich stark ausgeprägt. Davon profitieren tendenziell die Grünen.

Wie würden Sie dieses großstädtische Milieu charakterisieren?

Für dieses Bildungsbürgertum sind bestimmte Themen sehr wichtig: Zu diesen zählen Selbstverwirklichung und Partizipation - also die Möglichkeit, an politischen Entscheidungen teilzuhaben. Auch ökologische Themen spielen für dieses postmaterialistische Milieu eine große Rolle. Das Stuttgarter Ergebnis bei dieser Landtagswahl zeigt, dass die CDU diesen wichtigen Teil der Wählerschaft kaum erreicht hat.

Die Landes-CDU hat sich einen konservativen Anstrich gegeben. Was müsste die Partei programmatisch tun, um die Wähler in Städten wie Stuttgart stärker zu erreichen?

Es gab ja die CDU-Großstadtstrategie: beispielsweise mit Ole von Beust in Hamburg, der für Weltoffenheit stand, mit Ursula von der Leyen und ihrer modernen Familienpolitik. Wenn die CDU in Städten mit mehr als 100000 Einwohnern punkten will, muss sie auch solche Akzente setzen. Die haben die Wähler diesmal bei ihr offensichtlich vermisst. Die CDU hat in den Großstädten massive Probleme - nicht erst seit gestern.

Wie sehr hat das Thema Stuttgart 21 aus Ihrer Sicht die Wahlentscheidung bestimmt?

Die Bedeutung ist außerhalb des Großraums Stuttgart meiner Ansicht nach nicht mehr sehr groß gewesen. Das Thema hat im Land nach dem Ende der Schlichtung an Bedeutung verloren. In Stuttgart jedoch hatte es weiterhin eine überragende Bedeutung - und damit auch einen großen Einfluss auf das gestrige Ergebnis.

Die SPD liegt in Stuttgart noch unter ihrem ohnehin schwachen Gesamtergebnis. Wie erklären Sie sich das?

Die SPD ist gleich mehrfach unter Druck geraten: In den klassischen Arbeitermilieus ist die CDU in der Stadt traditionell stark aufgestellt. Und bei den Themen Umwelt und Atomkraft haben die Menschen lieber das Original als die SPD gewählt.