Bernhard Maier spricht über die fatalen Konsequenzen für die Region Stuttgart, falls das Land die Finanzierungsverträge kündigen sollte.

Stuttgart - Bernhard Maier ist einer von drei Geschäftsführern, die die Pro-Stuttgart-21-Kampagne für die Volksabstimmung managen sollen. Der frühere Böblinger Landrat ist überzeugt: nur eine Mehrheit für das Bahnprojekt führt zu einer Befriedung im Streit über Stuttgart 21.

 

Herr Maier, die Pro-Stuttgart-21-Kampagne ist angelaufen, die ersten Plakate kleben. Gibt es denn schon Resonanz auf Ihre Aktion?

Unsere Aufgabe ist es, diese Kampagne landesweit auf die Beine zu stellen und die regionalen Aktionsgruppen zu gründen und zu unterstützen. Die ersten Aktionsgruppen im Land sind angetreten und für mein Empfinden ist großes Interesse und vor allem eine enorme Zustimmung zu dieser Kampagne spürbar. Sehr bedenklich ist dagegen, dass die Bahnhofsgegner unsere Plakate systematisch im großen Stil beschmieren, zerstören, stehlen oder gar anzünden.

Auf der Kampagnenhomepage haben sich bisher rund 7800 Neinsager registriert, die mit Nein zum Ausstiegsgesetz stimmen wollen. Das reicht noch nicht ganz, um bei der Volksabstimmung am 27. November eine Mehrheit zu organisieren. Wie viele Leute wollen und können Sie noch aktivieren in der Region und im Land?

In der Region Stuttgart ist das Interesse an der Abstimmung sicher ungleich größer als im ganzen Land. Trotzdem spüren wir auch landesweit ein immenses Interesse an dem Projekt Stuttgart 21 und an einem positiven Ausgang der Volksabstimmung - wenn ich etwa an Ulm, Karlsruhe oder an die Südbahnanrainer denke. Wir haben aber noch keine Erfahrungen mit Volksabstimmungen und wissen daher nicht, wie viele Leute letztlich wirklich zur Abstimmung gehen werden.

Mit Raimund Gründler haben Sie ja einen erfahrenen Agenturchef als Mitgeschäftsführer, der die Slogans der Kampagne durchaus selbst kreieren könnte - Sie lassen die Kampagne aber lieber von den Befürwortern im Land inspirieren und gestalten.

Wir denken, dass wir die Volksseele am besten erreichen, wenn die Gründe für das Nein zum Ausstiegsgesetz nicht von uns gesetzt werden, sondern von Bürgern selbst kommen.

Dass die Plakate in Orange gehalten sind - der Farbe der CDU - ist reiner Zufall?

Orange ist in der Region die Farbe des öffentlichen Nahverkehrs, von daher sind wir mit der Farbe bei dem Thema ganz gut aufgestellt. Stuttgart 21 ist ja auch ein Thema des öffentlichen Nahverkehrs.

Stichwort Nahverkehr: in Ihrem früheren Berufsleben als Landrat und Bürgermeister galten Sie nicht immer als entschiedener Befürworter des Bahnprojekts. So haben Sie etwa den 100-Millionen-Euro-Beitrag der Region zu Stuttgart 21, finanziert durch kommunale Umlagen, kritisiert. Nun sind Sie einer der Köpfe der Pro-Stuttgart-21-Kampagne. Woher der Sinneswandel?

Kein Sinneswandel. In der Anfangsphase des Projekts ging es um die kommunale Mitfinanzierung. Damals war noch nicht so deutlich, dass Stuttgart 21 auch unmittelbare Vorteile für den öffentlichen Nahverkehr in der Region hat, der mittlerweile eine kommunale Aufgabe ist. Während der Entstehungsgeschichte des Projekts hat sich dann immer mehr herausgestellt, dass der regionale Nahverkehr von Stuttgart 21 in erheblichem Maße profitiert und dass es gerechtfertigt ist, dafür auch kommunales Geld in die Hand zu nehmen. Dafür bin ich dann auch eingetreten.

Maier zu den Gutachten

Aber es gibt Gutachten und Expertisen - etwa auch der Firma SMA - die genau das Gegenteil besagen, nämlich, dass die Region um die Funktionalität des S-Bahn-Verkehrs bangen muss.

Fakt ist doch: der S-Bahn-Verkehr in der Region wird durch Stuttgart 21 nicht beeinträchtigt, im Gegenteil, er gewinnt: Wir bekommen eine zusätzliche Haltestelle an der Mittnachtstraße, und wir erhalten eine deutliche Entlastung des Verkehrs in Richtung Filder von der Stadtmitte aus, wo wir auf der Stammstrecke ohnehin an der Kapazitätsgrenze sind. Hier hilft uns der Fildertunnel entscheidend, dieses Nadelöhr zu beseitigen.

Verursacht nicht gerade die Haltestelle Mittnachtstraße eine Fahrzeitverlängerung, die ohne Linientausch im S-Bahn-Verkehr zu Problemen führen wird?

Der Linientausch ist doch längst kein Thema mehr. Das Regionalparlament hat dies kürzlich mit großer Mehrheit abgelehnt. Die Bahn hat das akzeptiert und sieht kein Problem in der Beibehaltung des bisherigen Fahrplans.

Ein Schwerpunkt Ihrer Kampagne ist neben den Plakaten das Infomobil der Bahn, das im Land unterwegs ist. Was kommt noch an Veranstaltungen?

Wir planen mit den Initiativen vor Ort das klassische Wahlkampfinstrumentarium: Marktstände und andere öffentliche Veranstaltungen. Unser Wahlkampfbudget in Höhe von rund 250.000 Euro setzt sich aus Spenden zusammen und ist nach oben durchaus noch erweiterungsfähig ...

...auch Parteispenden?

Nein, Spenden von politischen Parteien sind nicht möglich. Parteien haben aber die Möglichkeit, unsere Plakate zu erwerben. Soweit ich das sehe, reicht unser Budget für die bisher geplanten Aktionen aus. Wenn weitere Spenden eingehen, dann werden wir auch noch weitere Aktivitäten entfalten. An Ideen mangelt es uns jedenfalls nicht.

Sie bestreiten die Prokampagne mit Slogans wie etwa "Weiter ärgern oder fertig bauen", setzen also in erster Linie auf Stimmungen. Wo findet denn die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Argumenten der Projektkritiker statt?

Die inhaltliche Auseinandersetzung hat bereits stattgefunden, und zwar während der Schlichtung und während des Stresstests. Mit dem bestandenen Stresstest ist für uns die inhaltliche Auseinandersetzung abgeschlossen. Wir sind gut beraten, uns bei dieser Kampagne auf Kernaussagen zu beschränken, die auch die Menschen erreichen. Eine davon ist, dass wir mit dem Ausstiegsgesetz zu einem Vertragsbruch auffordern, so eine gigantische Geldvernichtung durch Schadenersatzzahlungen von mindestens 1,5 Milliarden Euro für nichts betreiben und damit andere wichtige Projekte im Land blockieren. Zum anderen spüren wir, dass die Menschen im Land salopp gesagt die Schnauze voll haben von den endlosen Diskussionen. Sie wollen, dass endlich gebaut wird und dieses ganze Theater ein Ende hat.

Maier stellt Ausstiegskosten infrage

Die von Ihnen angegebenen Ausstiegskosten werden infrage gestellt. Bezweifelt wird etwa, ob 460 Millionen Euro nebst Zinsen verloren gehen, für die die Stadt die Grundstücke am Bahnhof an die Bahn verkauft hat. Da gibt es offenbar verschiedene Wahrheiten. Warum ist die Rückgabe der Grundstücke nicht aufkommensneutral?

Die 1,5 Milliarden Euro sind nachvollziehbar berechnet. Die Zahl stammt aus der Schlichtung. Dort haben zwei von drei Wirtschaftsprüfungsgesellschaften diese Zahl unabhängig voneinander bestätigt. Das jüngste Papier des Verkehrsministeriums ist doch im Gegensatz zu den Expertengutachten aus der Schlichtung ganz offensichtlich ein Gefälligkeitsgutachten. Was die Grundstücke angeht, kann ich nur sagen: Wenn Stuttgart 21 nicht kommt, sind diese Grundstücke nicht mehr potenzielles Bauland, sondern wertlos. Dieser Wertverlust muss dann ausgeglichen werden - so einfach ist das. Im Übrigen ist zu befürchten, dass die Schadenersatzansprüche der Bahn inzwischen weiter gestiegen sind, denn seit der Schlichtung ist ein Jahr vergangen.

Nun sind es noch rund drei Wochen bis zur Volksabstimmung am 27. November. Welches Ergebnis erhoffen Sie sich?

Wir arbeiten daran, dass es bei der Volksabstimmung eine Mehrheit für Stuttgart 21 gibt - eine Mehrheit, die mit Nein zum Kündigungsgesetz stimmt.

Und wie groß sollte die Mehrheit sein? Auf Ihrer Homepage sprechen die Befürworter von einer überwältigenden Mehrheit.

Wir wollen eine klare Mehrheit. Ich halte es zwar für unwahrscheinlich, dass das Quorum von 33 Prozent der wahlberechtigten Baden-Württemberger erreicht wird und so das Kündigungsgesetz zustande kommt. Ob allerdings ein solches Ergebnis allein eine Befriedung des Konflikts über Stuttgart21 zustande bringt, weiß ich nicht. Wahrscheinlich wird es nur mit einer Mehrheit gegen das Kündigungsgesetz Klarheit und Frieden geben.

Würden Sie denn ein anderes Ergebnis akzeptieren?

Jedes Plebiszit ist zu akzeptieren. Fest steht aber: wenn das Quorum nicht erreicht wird, kommt das Ausstiegsgesetz nicht zustande. Dann gelten die Verträge und damit auch der Anspruch der Bahn auf und die Verpflichtung des Landes zur Mitfinanzierung des Projekts.

Und wie sieht Ihr Szenario aus, falls das Quorum doch erreicht wird?

Falls dieser Fall eintreten würde, wäre dies für lange Zeit das Ende für große verkehrliche Investitionen im Land. Zudem wäre Baden-Württemberg das Synonym für die Missachtung von Parlamentsbeschlüssen und geschlossenen Verträgen. Unser Land wäre damit kein Boden mehr für künftige Investitionen im Infrastrukturbereich. Für eine Wirtschaftsregion von europäischem Rang eine fatale Konsequenz.

Zur Person Bernhard Maier

Manager: Der 66-jährige Bernhard Maier leitet zusammen mit Bernhard Bauer und Raimund Gründler die landesweite Kampagne der Initiative Pro Stuttgart 21. Maier war von 1974 bis 2000 Bürgermeister in Renningen und zwischen 2000 und 2008 Landrat für den Kreis Böblingen. Er gehört den Freien Wählern an und sitzt seit 1995 in der Regionalversammlung. Dort ist er stellvertretender Vorsitzender des Verkehrsausschusses und Sprecher seiner Fraktion zum Thema Verkehr. Maier hat sich nach anfänglicher Skepsis inzwischen zu einem uneingeschränkten Befürworter des Bahnprojekts entwickelt.

Kampagne: Die Aktionen für ein Nein zum Ausstieg des Landes aus der Mitfinanzierung von Stuttgart 21 werden von dem Verein Pro Stuttgart 21 getragen. Im Vorstand des Vereins sitzen unter anderem Ex-Ministerpräsident Lothar Späth, Stuttgarts OB Wolfgang Schuster (beide CDU), Ulms OB Ivo Gönner und der SPD-Fraktionschef im Landtag, Claus Schmiedel (beide SPD). Der nicht gemeinnützige Verein finanziert die Kampagne über Spenden und stellt Flugblätter, Plakate und Werbemittel zu Verfügung, die Interessierte über seine Homepage erwerben können.