Rainer Adrion war früher VfB-Trainer. Danach betreute er bis vor wenigen Wochen die deutsche U-21-Nationalelf. Im StZ-Interview fordert er eine bessere DFB-Nachwuchsstrategie.

Stuttgart - Rainer Adrion kennt sich aus im Ausbildungssektor des Profifußballs. Der frühere VfB- und DFB-Trainer hat selbst genügend Talenten zum Sprung nach oben verholfen und sagt: „Ich sehe die Bayern und den VfB da auf Augenhöhe.“

 
Herr Adrion, mit 17 hat man ja bekanntlich noch Träume. Aber ist man in diesem Alter nicht noch etwas zu jung für die Bundesliga.
Sie sprechen jetzt nicht von mir, denke ich, sondern vermutlich von Timo Werner?
Ja. Kennen Sie ihn?
Natürlich, wenn auch nicht besonders gut. Aber ich weiß, dass ihn der DFB in diesem Jahr zum besten U-17-Spieler in Deutschland gewählt hat, wie übrigens Mario Götze 2009. Was aus ihm geworden ist, ist ja bekannt. Und beim VfB sagt man schon seit längerer Zeit: Timo Werner ist unser Topmann für die nächsten Jahre.
Schließen Sie sich dieser Meinung an?
Er hat zweifellos sehr viel Talent, aber man sollte jetzt nicht alle Hoffnungen auf seine Schultern laden. Damit tut man ihm keinen Gefallen. Außerdem sollte es beim VfB auch noch andere junge Spieler geben, die den Sprung nach oben schaffen.
Antonio Rüdiger beispielsweise, den Sie im Juni mit zur U-21-EM genommen haben?
Er hat wirklich hervorragende Voraussetzungen, um Karriere zu machen. Nicht umsonst hat ihn der DFB im vergangenen Jahr als besten U-19-Spieler ausgezeichnet. Das sagt schon was aus. Damit steht er beispielsweise auf einer Stufe mit Leuten wie Benedikt Höwedes, Lewis Holtby und Marc-André ter Stegen.
Das sind vielversprechende Aussichten. Wie haben Sie Rüdiger bei der EM erlebt?
Als einen mannschaftsdienlichen Spieler. So hat er sich bei uns eingebracht. Er war sehr diszipliniert im Training. Ich kann nur Positives berichten. Wobei ich auch finde, dass das für die erfolgreiche Jugendarbeit beim VfB spricht. Man hat den besten U-17 und den besten U-19-Spieler in seinen Reihen. Da erntet der Verein jetzt die Früchte der Umstrukturierungen, die in diesem Bereich zuletzt vorgenommen worden sind.
Trotz der Umstrukturierungen wechselt ein Talent wie der 16-jährige Dominik Martinovic jetzt allerdings lieber zum FC Bayern, auch weil er da für sich die bessere sportliche Perspektive sieht.
Dann geht er ausgerechnet nach München?
Sie kennen die Antwort ja sicher selbst.
Es ist klar, dass die Bayern in Philipp Lahm, David Alaba, Bastian Schweinsteiger, Thomas Müller und Toni Kroos fünf Weltklassespieler selbst ausgebildet haben. Dazu kommt noch der verletzte Holger Badstuber. Das ist wirklich eine stolze Quote. Ich sehe die Bayern und den VfB da auf Augenhöhe. Beide sind deutschlandweit die Vorzeigevereine im Nachwuchsbereich. Es ist empirisch belegt, dass sie die Ersten waren, die professionell gearbeitet haben.
Mit dem Unterschied, dass. . .
. . .der VfB seine Spieler verkaufen muss, wenn sie Weltklasseniveau erreicht haben. Dann sind sie halt weg – wie Mario Gomez, Sami Khedira oder Alex Hleb. Die Bayern können sie behalten – und sogar noch neue Weltklassespieler dazuholen.
Wie macht man überhaupt einen Star wie Gomez, Khedira oder Hleb?
Man braucht einen guten Trainerstab, damit die Ausbildung jahrgangsübergreifend nicht ins Stocken gerät. Das ist die Grundbedingung. Letztlich ist dann entscheidend, wie der Übergangsbereich von der Jugend zu den Aktiven strukturiert ist und wie die Zusammenarbeit mit dem Profitrainer abläuft.
Klingt nicht so kompliziert. Haben Sie eine Idee, warum die Nachwuchsquelle beim VfB seit einiger Zeit trotzdem nicht mehr richtig sprudelt?
Ein Grund könnte sein, dass es da immer wieder zu Jahrgangsschüben kommt. Das ist eine wellenförmige Linie. Mal hat man eine Phase, da sind gute Leute dabei – und dann wieder nicht. Vielleicht war zuletzt einfach keiner da, der in der Lage gewesen wäre, die Ansprüche beim VfB zu erfüllen.
Ja, vielleicht.
Natürlich investiert der VfB viel Geld in seinen Nachwuchsbereich. Da muss eigentlich immer was rauskommen. Sonst macht das keinen Sinn. Aber soll ich Ihnen mal was sagen?
Gerne.
Das ist ein Trend in der Bundesliga. Alle erwarten, dass auf junge Spieler gebaut wird. Immer jünger sollen sie sein. Mit 25 zählt man ja schon fast zum alten Eisen. Aber da muss man vorsichtig sein. So funktioniert das nicht. Die Hierarchie im Team muss stimmen und das Gerippe muss stark genug sein, um das ein oder andere Talent aufzufangen. Die Jungen machen eben ab und zu noch Fehler. Selbst ein Manuel Neuer hat sich am Anfang ja ein paar Bälle selbst ins Tor geworfen.