Der Regisseur Andreas Dresen spricht über seine Neuverfilmung des Kinder-Klassikers „Timm Thaler“, über seinen Hauptdarsteller und sein nächstes Projekt.

Herr Drese, was verbinden Sie persönlich mit „Timm Thaler“?
Ich habe das Buch als Kind gelesen. Da war ich knapp 10. Anfang der 70er ist die Geschichte in der DDR als Paperback erschienen. Ich hatte es viele Male gelesen, so dass es am Ende ganz zerfledert war. Aber ich fand das Buch immer wieder spannend, faszinierend, aber auch gruselig. Schon damals dachte ich lustigerweise, daraus müsste man doch einen Film machen. Da dachte ich noch nicht im Traum daran, Filmregisseur zu werden.
1979 wurde „Timm Thaler“ dann fürs westdeutsche Fernsehen als Serie verfilmt . . .
. . . das ist an mir aber völlig vorbeigegangen, obwohl ich regelmäßiger Westfernsehgucker war. Vielleicht war ich mit 17 altersmäßig auch schon drüber. Ich habe die Serie dann viel später gesehen, aber das war ein völlig anderer Ansatz als unserer. Die Macher von damals haben die Geschichte ja in die 70er versetzt. Aber den Film in der Gegenwart spielen zu lassen, kam für mich nicht infrage. Denn die Rahmenhandlung in dem Buch von James Krüss spielt kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Dann erzählt die Figur ihre Geschichte, die in den 20ern angesiedelt ist – nicht historisch, sondern die Kostüm- und Ausstattungswelt jener Zeit. Die 20er als Ausgangspunkt für ein Märchen fand ich immer schön.
Wie kam es schließlich dazu, „Timm Thaler“ jetzt neu zu verfilmen?
Die Geschichte trug ich immer ein bisschen im Herzen herum. Anfang 2000 habe ich dann mit einer Autorin und Bernd Eichinger zunächst einen Film für Erwachsene entwickelt, aus dem dann allerdings nichts wurde. Danach waren wir irgendwann abends essen, und Bernd Eichinger stellte mir die Frage, die Produzenten vielleicht zu selten stellen: „Worauf hättest du denn eigentlich mal Lust?“ Darauf antwortete ich, dass ich gern mal was für Kinder machen möchte. Er schaute mich etwas irritiert an und fragte: „Was stellst du dir da vor?“ Und ich sagte wie aus der Hüfte geschossen: „Ich wundere mich zum Beispiel, dass ‚Timm Thaler‘, eines meiner liebsten Kinderbücher, noch nie fürs Kino verfilmt wurde.“ Darauf meinte Bernd Eichinger: „Da haben wir die Rechte.“
Fasziniert Sie „Timm Thaler“ heute noch genauso wie als kleiner Junge?
Mir vorzustellen, jemand verkauft sein Lachen, fasziniert mich noch immer. Was bedeutet das eigentlich? Was heißt es, wenn man dafür mittels Wette alles bekommt, was man will? Mir gefällt auch, dass es eine politische Geschichte ist. Krüss hat das Buch 1962 ja nicht ohne Grund veröffentlicht. Es war ein Reflex auf die deutsche Wirtschaftswunderzeit, verbunden mit der Frage, ob Reichtum, Macht und Erfolg die wirklich wichtigen Werte sind. Das nimmt im Buch einen ziemlich großen Raum ein. Außerdem steckt natürlich noch etwas Urdeutsches drin, nämlich der faustische Pakt mit dem Teufel. Bei Krüss besonders faszinierend, weil ihn hier ein Kind eingeht.
Thomas Ohrner, der 1979 Timm Thaler spielte, hat in Ihrer Verfilmung einen Gastauftritt. Wie kam es dazu?
Ich dachte, wir müssen uns den Spaß erlauben, mit dem alten Film zu spielen. Deshalb habe ich Thomas Ohrner schon sehr früh gefragt, ob er Lust auf einen Gastauftritt hat. Er war auch sofort dabei, aber wir mussten eine gute Stelle finden, damit es nicht von der Handlung ablenkt. Es sollte kurz sein und den damaligen Timm mit dem heutigen zusammenbringen. Heutige Kinder werden das gar nicht merken, und für Erwachsene, die mit der alten Serie groß geworden sind, ist es ein Spaß.
Wie haben Sie Ihren Timm Thaler gefunden?
Das war ein sehr langer und aufwendiger Prozess mit vielen Probeaufnahmen. Wir brauchten einen Jungen, der herzlich und ansteckend lachen kann und darüber hinaus noch Charme hat. Andererseits musste er ja zu 80 Prozent des Films ernst sein und auch da große Ausstrahlung haben. Unser Junge sollte zwölf sein. In diesem Alter wachsen Kinder ganz schnell und sehen innerhalb eines Jahres fast schon wie Erwachsene aus. Was hieß, dass wir dann schnell drehen mussten. Anfangs haben wir aus drehtechnischen Gründen noch Zwillinge gesucht, aber dafür hatte die Rolle zu komplexe Anforderungen.
Wann fiel die Wahl auf Arved Friese?
Arved war bereits in einer der ersten Casting-Runden und kam dann immer weiter. Er hatte mich schon zu Anfang überzeugt. Man fängt ja sehr allgemein an, dann wurden die zu spielenden Szenen immer komplexer, und Arved hatte dann auch Probeaufnahmen mit Justus von Dohnányi. Das Netz wurde immer enger, bis Arved glücklicherweise übrig blieb.
Mit welchen Kinderfilmen sind Sie eigentlich groß geworden?
Ich selbst bin mit klassischen osteuropäischen Märchenfilmen groß geworden, aber auch mit ostdeutschen Kinderfilmen wie „Moritz in der Litfaßsäule“. Das waren sehr liebevolle und aufwendig gemachte Filme, die ich sehr gern mag, weil man merkt, dass Kinder ernst genommen und nicht mit irgendwelchen Albernheiten abgespeist werden. Ich finde sehr wohl, dass man für Kinder durchaus auch ernst und mit Anspruch erzählen kann.
Wären Sie bereit, mal wieder einen Film für Kinder zu drehen?
Da hätte ich überhaupt nichts dagegen. Mir macht das totalen Spaß, und ich kann nicht verstehen, warum das in Deutschland meist getrennt wird. Es gibt Regisseure, die meistens Kinderfilme drehen, und die anderen arbeiten für die Erwachsenen. Warum eigentlich? Nichtsdestotrotz würde ich als Nächstes gern einen Film über Gerhard Gundermann machen. Das war ein Liedermacher und Rockpoet, der im Osten der Nachwendezeit eine wichtige Rolle gespielt hat. Er hat tolle Songs geschrieben und ist viel zu früh gestorben. Tagsüber hat er als Baggerfahrer in der Braunkohle gearbeitet und abends stand er auf großen Bühnen. Aus purem Idealismus war er in den 70er Jahren bei der Stasi, später wurde er dann selbst bespitzelt. Er war eine ganz interessante und brüchige Persönlichkeit. Anhand seines Beispiels kann man gut erzählen, was es bedeutet, sich auf ein System einzulassen, und welche Konflikte dadurch entstehen. Eine hochpolitische Geschichte, die ich gerne machen würde. Aber das steht noch in den Sternen, weil das erst noch finanziert werden muss.

Geboren wurde Andreas Dresen 1963 in Gera. Anfangs arbeitete er als Tontechniker, es folgten ein Volontariat im Defa-Studio für Spielfilme und ein Regiestudium an der Hochschule für Film und Fernsehen in Babelsberg. Schon sein Studentenfilm „So schnell geht es nach Istanbul“ (1990) gewann den Prix Europa. Es folgten zwei Grimme-Preise, der Silberne Bär der Berlinale, der Prix Un Certain Regard in Cannes und viele weitere Auszeichnungen.