Sein Beruf bringt es mit sich, dass man mit grausamen Fällen konfrontiert wird. Damit muss man umgehen können, sagt der Richter Jürgen Hettich.

Stuttgart – Manches, was sie im Laufe einer Verhandlung hören, legen auch erfahrene Juristen nicht einfach mit der Robe ab. Immer wieder müssen sie über Fälle verhandeln, deren grausige Details erschüttern. Es ist ein Balanceakt: zum einen die professionelle Distanz zu wahren – und zum anderen nicht abzustumpfen, sagt Jürgen Hettich. Der Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht Stuttgart hat schon mehrere Aufsehen erregende Prozesse verhandelt und erfahren: Recht und Gerechtigkeit sind nicht immer das Gleiche.
Herr Hettich, es gibt schönere Berufe als Ihren. Würden Sie das unterschreiben?
Ja, das würde ich sofort unterschreiben. Ich bin auch in der Ausbildung tätig. Viele Praktikanten haben schon gesagt: Jetzt weiß ich, was ich sicher nicht machen will.

Vieles ist nicht vergnügungssteuerpflichtig. Als Richter blicken Sie in menschliche Abgründe.
Klar. Wir bekommen hier immer die Negativauswahl präsentiert. Gott sei Dank ist so ja nicht das ganze Leben. Wobei man zugeben muss: man wird leichter misstrauisch als andere, und umgekehrt hinterfragt man vieles. Das färbt mit der Zeit schon ab. Das bringt der Beruf eben so mit sich.

Sie bekommen unglaubliche, grausame Geschichten zu hören. Ich erinnere nur an den sogenannten Zementmord, bei dem Yvan Schneider erschlagen, zerhackt und seine Körperteile einbetoniert wurden.
Ja, das war ein absoluter Extremfall.

Hat Sie das belastet?
Klar, dass einen das nicht völlig kaltlässt. Richter sind auch nur Menschen. Das Bewegendste an der Verhandlung war, als am Ende der Vater des getöteten jungen Mannes das Wort ergriffen hat. Ich habe das Verfahren damals mit zwei Berufskolleginnen und zwei Schöffen verhandelt. Im Nachhinein waren wir alle überrascht, dass wir das gut weggesteckt haben.

Trotz des Drucks, unter dem Sie standen.
Es war ja nicht nur dieses schwere Schicksal und dieser außergewöhnliche Fall. Auch die ganze Situation drum herum war außergewöhnlich: das große öffentliche Interesse, vor Verhandlungsbeginn gab es eine Demonstration.

Nimmt man das mit nach Hause?
Keiner kann wohl von sich behaupten, er könne das ganz abschütteln. Natürlich bespricht man sich mit der Familie. Was in der öffentlichen Hauptverhandlung thematisiert wurde, kann man auch zu Hause weitergeben. Was im Beratungszimmer besprochen wurde, nicht. Berufsrichtern fällt diese Unterscheidung nicht sonderlich schwer. Eher könnte es bei Schöffen ein Problem sein, die das nicht so gewohnt sind. Ich habe den Eindruck, die meisten erzählen lieber gar nichts, als dass sie was falsch machen.