Für Sabine Leutheusser-Schnarrenberger war die FDP zu sehr auf eine Person zugeschnitten. Dies sei eine Ursache der Krise.

Stuttgart - Niemand will eine fünfte sozialdemokratische Partei", sagt die liberale Justizministerin. Sie wirbt für einen "mitfühlenden Liberalismus", den auch der designierte Vorsitzende Rösler vertrete. Das bedeute aber "keine Verschiebung der Grundkoordinaten der FDP".

 

Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Sie fordern neben Philipp Rösler weitere neue Gesichter an der FDP-Spitze. Wer sollte gehen?

Ich bin strikt dagegen, jetzt fortdauernd über Personen zu spekulieren. Das schadet uns. Das Präsidium wird auf dem Parteitag gewählt, da hat die Basis das Wort. Mein Landesverband fordert einen personellen Neuanfang und bezieht das auf die Wahlen des Parteipräsidiums auf dem Parteitag in Rostock. Nur mit einem breiten Themenkatalog, der durch die Personen verkörpert wird, kommen wir aus der Krise.

Westerwelle hat sich als Außenminister überraschend ein Vertrauensvotum der Parteigremien für den Rest der Legislaturperiode eingeholt. Wie verbindlich ist das?

Es ist die Regel, dass Minister, die ernannt werden, die gesamte Wahlperiode im Amt bleiben. Und die Fraktion hat die Außenpolitik von Guido Westerwelle deutlich unterstützt. Darauf hat er Wert gelegt. Die Frage stellt sich nicht, ob die Partei und vor allem ihr künftiger Vorsitzender sich das Recht vorbehalten, Minister auszutauschen.

Sind Westerwelle, Homburger und Brüderle unantastbar bis 2013?

Wie ich schon sagte, ich halte von solchen Personalspekulationen nichts. Die FDP kommt bis zum Herbst wieder in ruhigeres Fahrwasser. Dann sind auch erst Wahlen für den Fraktionsvorstand.

Mit Verlaub, so richtig neu sind Sie in der Partei auch nicht. Weshalb sollen die Delegierten des Parteitags Sie im Mai zur Vizechefin wählen?

Ich stehe für ein klares Profil, gerade im gesellschaftspolitischen Bereich. Deshalb bin ich von meinem Landesverband gebeten worden, mich für die engere Führung zu bewerben. Entscheidend für den Aufbruch ist das neue Führungsteam. Da kommt es auf die richtige Mischung an - zwischen denen, die länger in der Politik sind und denen, die kürzer in politischer Verantwortung stehen. Aber letztlich ist das die Entscheidung von Philipp Rösler. Wenn er will, kandidiere ich als stellvertretende Vorsitzende.

Alle reden davon, die FDP müsse sich breiter aufstellen. Was heißt das denn?

Wir müssen mit unserer Politik vom Bürger als gestaltende Kraft wahrgenommen werden. Das ist nicht nur ein Kommunikationsproblem. Deswegen ist das neue Team so wichtig. Unterschiedliche Personen stehen für unterschiedliche Themen liberaler Politik. Das war zu sehr auf eine Person zugeschnitten. Und das ist eine Ursache der Krise. Rösler hat ein anderes Profil als Westerwelle, weil er dem sozialen Aspekt der Sozialen Marktwirtschaft einen anderen Stellenwert zubilligt. Er hat sich den Dahrendorf-Begriff des mitfühlenden Liberalismus zu eigen gemacht. Das muss jetzt in konkrete Politik münden. Nur gibt es keine Verschiebung der Grundkoordinaten der FDP. Niemand will eine fünfte sozialdemokratische Partei gründen.

Geht es konkreter?

Wir müssen zum Beispiel Fragen der Generationengerechtigkeit neu definieren. Die FDP muss die Auswirkungen einer älter werdenden Gesellschaft analysieren und daraus ein schlüssiges Konzept entwickeln. Was heißt das für unsere sozialen Sicherungssysteme? Wie schaffen wir es, dass Teile der Gesellschaft nicht abgekoppelt werden? Wir dürfen da nicht einzelne Gruppen gesondert betrachten, sondern die Gesellschaft als Ganzes.

Noch konkreter?

Nehmen Sie den heutigen Bildungsföderalismus. Selbstverständlich brauchen wir Wettbewerb. Aber wir können nicht Arbeitsplatzmobilität von Eltern verlangen und zugleich den Wechsel des Gymnasiums von Kiel nach München so erschweren, dass dies nur zu Lasten der Kinder möglich ist. Das Kooperationsverbot, das wir in der Verfassung verankert haben, muss korrigiert werden.

Was ist mit Mindestlöhnen?

Wir werden uns mit Lohnuntergrenzen befassen. Da gibt es bereits heute eine Vielfalt von Regelungen. Aber einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn wird die FDP weiter ablehnen.

Ist das leidige Thema Steuersenkungen vom Tisch?

Das Ziel der Steuervereinfachung bleibt im Blick. Wir wollen in dieser Wahlperiode die kalte Progression abschwächen. Priorität hat aber jetzt die Haushaltskonsolidierung. Eine große Steuerreform, die zweistellige Milliardensummen kostet, kann im Moment nicht gestemmt werden.

Suchen Sie neue Machtoptionen?

Überall dort, wo wir in Koalitionen arbeiten, sind wir verlässliche Partner. Künftig muss die FDP aber stärker prüfen, ob es auf der Grundlage inhaltlicher Schnittmengen auch andere Optionen gibt. So halten es alle anderen Parteien, so sollten wir auch vorgehen. Die FDP muss ihren Platz zwischen Union und SPD verteidigen. Ausschließeritis hilft nicht weiter.

Wie soll die Neuorientierung in der Regierung gehen? Die Union ist nervös, CSU-Chef Horst Seehofer erkennt eine Infektionsgefahr, als seien Liberale ein Bazillus...

Die FDP hat einen Wechsel an der Spitze zu verkraften. Das würde jede Partei eine gewisse Zeit beschäftigen. Das bedeutet aber nicht, dass wir nicht regierungsfähig sind. Ich darf daran erinnern, dass es in der CSU genügend Turbulenzen gab, die uns das Regieren nicht einfacher gemacht haben. Welcher Koalitionspartner musste denn wegen eindeutigen Fehlverhaltens Rücktritte verkraften? Da hat sich die FDP tunlichst zurückgehalten. Ich hätte als Justizministerin zu der Plagiatsaffäre deutlich mehr sagen können. Die FDP bleibt berechenbar und stabil. Ich hoffe, andere auch.

Zur Energiepolitik: Ihr Generalsekretär Christian Lindner will alle Altmeiler vom Netz nehmen. Was wollen Sie?

Der Landesverband Bayern hat beschlossen, die Energiewende zu beschleunigen. Wir wollen schneller raus aus der Kernenergie. Wir wollen außerdem, dass in Bayern Isar I, das älteste Kraftwerk in Deutschland, endgültig vom Netz geht. Die anderen Altmeiler sollten auch zügig vom Netz, aber wie das konkret geht, das hängt entscheidend von den jeweiligen Landesregierungen ab.

Auch in der Flüchtlingspolitik gibt es Reibereien. Oder begrüßen Sie die Drohung der CSU, Kontrollen an der Grenze zu Österreich einzuführen, um Flüchtlinge aus Nordafrika abzufangen?

Man muss das Problem differenzierter angehen. Flüchtlinge eignen sich nicht als Symbol der innenpolitischen Auseinandersetzung. Nicht alle Flüchtlinge, die zu uns wollen, sind Wirtschaftsflüchtlinge. Das eine sind Flüchtlinge aus Tunesien, die in ihrer Heimat keine Verfolgung zu befürchten haben. Davon muss man die Flüchtlinge aus Libyen unterscheiden. Dort gibt es eine militärische Auseinandersetzung, deren Ausgang nicht absehbar ist. Die Frage, wie mit libyschen Flüchtlingen umgegangen wird, muss auf europäischer Ebene beantwortet werden. Das ist keine Frage, die allein Deutschland betrifft.

Eine linksliberale Kämpfernatur

FreigeistSabine Leutheusser-Schnarrenberger hat sich der FDP aus "jugendlicher Widerborstigkeit gegen ein konservatives Elternhaus" zugewandt. Ihr Vater war CDU-Bürgermeister. Die 59-jährige Linksliberale ist seit 1978 Mitglied bei den Freidemokraten, seit 1993 gehört die Juristin dem Präsidium ihrer Partei an.

Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger ist schon zum zweiten Mal Justizministerin. 1995 war sie nach dreieinhalb Jahren im Amt unter Kanzler Kohl aus Protest gegen den Großen Lauschangriff zurückgetreten. Auch privat hat sie politischen Erfolg: als Klägerin gegen die Vorratsdatenspeicherung 2010 in Karlsruhe.

Wahlheimat Die gebürtige Westfälin lebt seit zehn Jahren in Bayern und führt dort auch den Landesverband der FDP. Sie wohnt in Feldafing am Starnberger See. Die Vergrünung der deutschen Politik hat die FDP-Frau privat schon vorweg genommen. In ihrem Garten gibt es einen "ökologisch angelegten Komposthaufen".