Frank Kämmer ist der einzige Sommelier aus Deutschland, der schwerpunktmäßig in China arbeitet. Im Interview erklärt er, warum der Weinmarkt dort explodieren könnte.

Digital Desk: Sascha Maier (sma)

Stuttgart/Changyu - Der wachsende Mittelstand in China bringt dem Reich der Mitte rasanten Wandel. Beim Thema Wein etwa sind auch Experten aus Europa gefragt.

 
Herr Kämmer, in Bordeaux kaufen die Chinesen hektarweise Châteaus. Wann beginnt das große Shopping in Baden-Württemberg?
Wie ich es jetzt überblicke: wahrscheinlich gar nicht. Der gesamte deutsche Weinbau ist so kleinteilig, dass er sich komplett unter dem Radar der Chinesen befinden dürfte.
Sie haben es aber geschafft, das Reich der Mitte auf sich aufmerksam zu machen: Sie sind Deutschlands einziger zertifizierter Master-Sommelier, der mit einem Schwerpunkt in China arbeitet.
Das stimmt, sechs Jahre sind das mittlerweile. Das liegt aber nicht daran, dass deutscher Wein für China sonderlich interessant ist.
Woran dann?
Das war eher ein Zufall. Ich habe zusammen mit einem Kollegen aus Singapur Weinschulungen in Südostasien gegeben und dabei viele Leute kennengelernt. Daraufhin kam das Angebot für einen Beratervertrag von Changyu, dem größten und ältesten Weingut in China. Und ich habe Ja gesagt.
Was tun Sie da genau? Hierzulande arbeiten die meisten Sommeliers ja in der Gastronomie.
Nach meiner Karriere als Sommelier habe ich mich auf die Beratung für die Wein- und Gastronomiebranche spezialisiert. Bei Changyu berate ich das Management in Sachen Weinkultur und gebe Weinschulungen. Häufig sind es aber auch Bankette, bei denen ich – auf Englisch – etwas für deren Kunden über Wein erzähle. Dabei werde ich ein bisschen behandelt wie ein Popstar! Ich hatte sogar Auftritte im chinesischen Fernsehen – vor einem Millionenpublikum.
Auch in Deutschland treten viele Sommeliers jetzt ins Rampenlicht.
Klar, es gibt immer mehr Kollegen, die nach ihrer aktiven Zeit als Sommeliers in andere Berufe wechseln, zum Beispiel in den Weinhandel, oder wie ich als Berater arbeiten. Oder es wie Natalie Lumpp oder Justin Leone sogar ins Fernsehen schaffen.
Aber nicht in China. Wo sehen Sie die Unterschiede im Umgang mit Wein?
Wein wird dort traditionell etwas anders konsumiert als hier. In China trinken sie beispielsweise auch Wein manchmal „ganbei“, das heißt, „auf ex“. Das erlebe ich zumindest am Anfang von Weindinners häufig. Das liegt vor allem daran, dass Essen und Trinken bei den Chinesen getrennte Tätigkeiten sind. Das Trinken von Alkohol ist ein geselliges Event, man berauscht sich sozusagen gemeinsam.
Klingt so, als ob Chinesen nicht viel von Weingenuss verstünden.
Das stimmt so nicht. Bei Weinschulungen in China daddelt zum Beispiel niemand auf dem Smartphone rum, es herrscht ein sehr ernstes Interesse, etwas zu lernen. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir ein Erlebnis mit einer jungen Sommelière. Als ich über den Schieferboden an der Mosel referierte, hat sie mich gefragt, dass es da ja sowohl blauen als auch roten Schiefer gibt und wie sich das sensorisch in den Weinen ausprägen würde. So genau wollte sie es wissen!
Also ist das Thema Wein in China noch recht neu?
Auch das stimmt nicht ganz. Prinzipiell hat Wein in China eine genauso lange Tradition wie in Europa: Der Weinbau in seinen Grundzügen ist auch dort schon seit 3000 Jahren bekannt. Nur: Ab dem 8. Jahrhundert kamen Reis- und Hirseschnaps stark auf und haben den Wein weitgehend verdrängt.
Und jetzt kommt er zurück. Gibt es eigentlich Wein-Präferenzen in China?
Ja, Rotwein! 90 Prozent des Weins, der in China getrunken wird, ist rot. Er gilt dort auch als besonders gesund – bei Genussmitteln für die Chinesen ein sehr wichtiger Aspekt. Dabei würde aber auch der Riesling aus Deutschland hervorragend zur chinesischen Küche passen. Importe aus Baden-Württemberg gibt es, wegen der erwähnten Dimensionen, trotzdem kaum.
Können Sie uns diese Dimensionsunterschiede zwischen China und Deutschland veranschaulichen?
Das Weingut, das ich berate, hat seinen Sitz in der Provinz Shandong an der Ostküste. Die Weinberge sind aber über das ganze Land verteilt und umfassen eine Fläche von 24 000 Hektar. Das entspricht mehr als der zweifachen Größe von Württemberg – nur ein Weingut! Weltweit hat China mit rund 850 000 Hektar Anbaufläche bereits die zweitgrößte Rebfläche. Reichen wird aber auch das auf Dauer nicht.
Warum?
Weil der Pro-Kopf-Weinkonsum in China noch immer ein viel niedrigeres Niveau hat als in Deutschland, sich das aber gerade ändert. Der Durchschnittsdeutsche trinkt rund 24 Liter Wein im Jahr. Der Chinese liegt bei unter 1,5 Liter Weinkonsum. Da ist also noch viel Luft nach oben, und wenn sich das steigert, brauchen sie bei 1,39 Milliarden Menschen noch viel mehr Anbauflächen. Darum auch die Käufe heute in Bordeaux.
Aber wie kommen Sie darauf, dass sich der Pro-Kopf-Verzehr steigert?
Das liegt am rasant wachsenden chinesischen Mittelstand. Die Zeiten, in denen Wein vor allem von der Oberschicht getrunken wurde, sind auch in China vorbei.