Grün-Schwarz bedeute für das Land nichts Gutes, sagt SPD-Landeschef Nils Schmid. Es drohe die Rückabwicklung von Reformen und eine „Politik des totalen Stillstands“.

Stuttgart - –

 
Herr Schmid, die SPD in Baden-Württemberg hat die größte Katastrophe ihrer Nachkriegsgeschichte ereilt. Und Sie sind der Vorsitzende. Wie fühlt sich das an?
Richtig schlecht. Das geht einem schon an die Nieren.
In Südwürttemberg erscheint die Sozialdemokratie wie von der Landkarte radiert.
Mit den hohen Stimmenverlusten ist ein dramatischer Rückzug der SPD aus der Fläche verbunden. Wir haben nur noch 19 Landtagsabgeordnete. Das reicht nicht aus, um Landespolitik über Mandatsträger an die Menschen zu vermitteln. In dieser Situation müssen wir Lösungen finden, wie die Partei das organisieren kann.
Die Partei schwächelt doch genauso.
Die Herausforderung ist enorm. Wir müssen die Kräfte aller politischen Ebenen – Bund, Land und Kommunen – bündeln, um sichtbar zu bleiben.
Alle sagen, die Qualität der Regierungsarbeit könne nicht die Ursache für das Desaster sein. Woran lag es dann?
Die SPD hat gute Regierungsarbeit geleistet. Wahr ist aber auch: Das hat sich nicht ausgezahlt. Die Flüchtlingskrise hat den Landtagswahlkampf dominiert, zum Schaden von SPD und CDU. Es ist uns nicht gelungen, im Wahlkampf eigene landespolitischen Themen zu setzen. Das Einzige, was im Land zählte, war die Fokussierung auf den Ministerpräsidenten. Er alleine erntete die Früchte der guten gemeinsamen Regierungsarbeit.
Also ist Winfried Kretschmann Schuld am Elend der SPD?
Nein. Aber klar ist, dass viele SPD-Wähler Leihstimmen für Winfried Kretschmann abgaben, um ihn sicher im Amt zu behalten.
Bei Wahlergebnissen von zum Teil unter zehn Prozent drängt sich der Gedanke auf, dass die SPD in weiten Teilen des Landes das Lebensgefühl der Menschen verfehlt. Was heißt das für die Partei?
Dass es nicht reicht, gut zu regieren. Die SPD muss wieder zu einer Erzählung finden, die die Menschen erreicht. Soziale Sicherheit gehört dazu, aber die Erzählung muss größer sein. Von vielen wird die SPD als eine Partei wahrgenommen, die bei wichtigen Zukunftsthemen nicht auf der Höhe der Zeit ist, etwa bei Digitalisierung und Globalisierung. Die SPD wird als historisch wichtige Kraft respektiert, aber nicht als Pfadfinder für den Weg in die Zukunft verstanden. Auf der anderen Seite empfinde ich es schon als bitter, dass all das, was wir zur Lösung der bestehenden gesellschaftlichen Probleme getan haben –etwa unsere Politik für Familien mit Kindern – am Wahltag keinerlei Rolle spielte. Ganztagsschulen, Kleinkindbetreuung, Schulsozialarbeit, das trat alles hinter der Flüchtlingskrise zurück. Deshalb ist es wichtig, es sich nicht zu einfach zu machen, sondern den Erneuerungsprozess der SPD in der Tiefe anzugehen.
Sind Sie nach der Wahlniederlage noch der richtige Mann dafür?
Jetzt geht es nicht um die Zukunft einzelner Personen, es geht einzig und allein um die Zukunft unserer Partei. Ich verstehe meine Verantwortung so, dass ich eben nicht hinschmeiße und weglaufe, sondern dass ich mich diesem extrem schwierigen Erneuerungsprozess stelle. Und ganz bewusst auf alle politischen Reflexe komplett verzichte. Andere Spitzenkandidaten haben nach der Wahl sofort nach dem Fraktionsvorsitz gegriffen. Das habe ich bewusst nicht getan, sondern Andreas Stoch zu einer Bewerbung ermuntert. Ich hoffe, dass er die breite, einmütige Unterstützung der Fraktion bekommt. Wir haben in den vergangenen Jahren gut zusammengearbeitet, er als Kultusminister und ich als Finanzminister. Uns verbindet auch mehr, als dass wir beide keinen Alkohol trinken.
Sind Sie sich in der äußeren Anmutung nicht doch wieder zu ähnlich – zwei männliche Politiker der jüngeren Generation in gut sitzenden Anzügen?
Andreas Stoch wird ein guter Fraktionsvorsitzender sein und hat meine volle Unterstützung. Ich stelle mich in den Dienst unserer Partei in der Verantwortung für den Erneuerungsprozess. Ganz ohne persönliche Ambitionen, etwa auf eine erneute Spitzenkandidatur bei der nächsten Landtagswahl.
Es gibt ja auch Rücktrittsforderungen einigermaßen prominenter Sozialdemokraten. Wie gehen Sie damit um?
Wer aus tiefer Überzeugung Sozialdemokrat ist, wirft ein solches Amt nicht einfach weg wie ein Stück Dreck. Wenn die Lösung wäre „Kopf ab, Problem gebannt“, wäre in zwei Wochen alles erledigt. Aber so einfach ist es leider nicht. Diejenigen, die glauben, dass die SPD deshalb schlecht abgeschnitten hat, weil ich nur stilles Wasser trinke, machen es sich zu einfach.
Man kann schon zu dem Ergebnis kommen, dass nach solch einer katastrophalen Niederlage ein Rücktritt angezeigt wäre, ganz unabhängig von der Frage nach der persönlichen Verantwortung.
Natürlich habe ich aus Verantwortung für unsere SPD diese Frage hin und her gewälzt. Wir haben aber in der Vergangenheit mit dem Modell, einfach den Sündenbock in die Wüste zu schicken, keine guten Erfahrungen gemacht. Nichts war gut, weil man glaubte, damit sei es getan. Wir müssen den Blick auf die tieferen Ursachen richten - sonst wird auch dieser Erneuerungsprozess scheitern.
In einem anderen Erneuerungsprozess, der grün-schwarzen Koalitionsbildung, nehmen Sie nur eine Beobachterrolle ein. Sie müssen zusehen, wie Grüne und Schwarze zueinander finden. Sehen Sie Anlass, um die grün-roten Reformen zu bangen?
Wenn ich mir das Wahlprogramm der CDU anschaue: ja. Es wird darauf ankommen, ob die Grünen zu dem gemeinsam Erreichten stehen, oder ob sie um den Preis des Machterhalts bereit sind, bei zentralen Fragen wie etwa in der Bildungspolitik unsere gemeinsamen Reformen zu verraten.
Es liegt in der Natur von Koalitionen, Kompromisse einzugehen.
Es gibt aber auch keinen Zwang zu Koalitionen um jeden Preis. Wir wollen mal sehen, wie weit die Grünen da gehen. Wir haben zusammen mit den Grünen das Land umfassend sozial, ökologisch und wirtschaftlich modernisiert. Ich befürchte eine Politik des totalen Stillstands. Dabei wäre für gleiche Bildungschancen noch viel zu tun. Nun droht den Gemeinschaftsschulen mit dem Segen der Grünen schon wieder die Verschrottung. Für die SPD folgt daraus, dass sie in der Opposition die Rolle einer sozial fortschrittlichen Kraft übernimmt. Alle anderen sind bestenfalls für Stillstand. Ich fürchte: Mit Grün-Schwarz droht die Koalition der Spießbürger.
Woran machen Sie das fest?
Wenn ich sehe, wie geschmeidig die Grünen zu den Konservativen überwechseln und lauter Anknüpfungspunkte sehen, dann frage ich mich schon, was das für das Bildungssystem oder etwa die Sozialpartnerschaft bedeutet. Will man etwa zurück zu einem Wirtschaftsministerium als reinem Unternehmerministerium oder ist das Wirtschaftsministerium weiterhin ein Ressort, das für Unternehmer und Beschäftigte zuständig ist? Wie geht es weiter mit Integration und Weltoffenheit?
Das klingt jetzt so, als wollten sie Grünen und Schwarzen ein paar Stöcken zwischen die Radspeichen schieben. Oder anders formuliert: Sie wollen den Grünen ins Gewissen reden?
Wir werden ganz genau hinschauen, ob die Grünen die Fortschritte der letzten fünf Jahr auf dem Altar dieser Koalition opfern.