Der Politikberater bescheinigt Schwarz-Gelb ein Maß an Misstrauen, das bisher in Koalitionen unbekannt war.

Stuttgart - Thomas Steg war von 2002 bis Juli 2009 Vizeregierungssprecher – zunächst für die rot-grüne Koalition unter Kanzler Gerhard Schröder(SPD), danach für die Große Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Danach war der 50-jährige Medienberater für den SPD-Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier. Inzwischen arbeitet der Sozialwissenschaftler als freier Politikberater.

Herr Steg, Sie haben in einer zentralen Position zwei Regierungen unmittelbar erlebt, die rot-grüne wie die schwarz-rote. Nun regiert Schwarz-Gelb und kommt nicht aus dem Tief. Hat es eine solche Krise einer Koalition je zuvor gegeben?


Jede amtierende Regierung sieht sich mit beispiellosen Herausforderungen konfrontiert. Was die sachlichen Aufgaben anbelangt, ist festzustellen, dass auch zuvor schon Regierungen enorm gefordert waren. Denken Sie nur an die Aufgaben, die Helmut Schmidt 1977 angesichts des Terrors der RAF zu meistern hatte. Da trifft es die jetzige Regierung nicht härter, auch wenn die Ballung der Probleme - Griechenland, Eurostabilisierung, Haushaltskonsolidierung, Köhler-Rücktritt - fraglos heftig ist. Aber ich bin sicher, Gerhard Schröder würde angesichts der aktuellen Lage darauf verweisen, dass er im Winter 2002/03 mit der sehr hohen Arbeitslosigkeit und dann mit dem Aufruhr um die Agenda 2010 auch einige Not hatte. Jede Regierung ist halt anders gefordert.

Die Ballung, von der Sie sprechen, trifft allerdings auf eine Koalition, die unerwartet uneins ist.


Das stimmt. Und dies ist schon einzigartig - und sei es nur, weil der Zustand der vermeintlichen Wunschkoalition so unerwartet miserabel ist. Da herrscht ein wechselseitiges Misstrauen, eine Lust am versteckten Foulspiel, ein Mangel an Gemeinsamkeit, wie ich es noch nie beobachtet habe.

Wie erklären Sie sich das?


Mit der unterschiedlichen Ausgangslage der drei Parteien, die die Koalition bilden. Der FDP ging es nach elf Jahren Opposition und einem grandiosen Wahlsieg darum, sehr ambitioniert ihr Programm durchzusetzen. Die CSU zielt aber allein darauf ab, in Bayern wieder an die alte Stärke der berühmten 50 plus x zu kommen, was sie in bewusster Abgrenzung zur FDP zu erreichen versucht. Daraus entstehen Konflikte, die bisher verhindern, was sich im Herbst 2009 die Mehrheit der Deutschen von Schwarz-Gelb erhoffte.

Und die Kanzlerin lässt beide kleine Partner sich austoben, anstatt zu führen.


In der Großen Koalition und den durchaus dramatischen Momenten der Finanzkrise vom Herbst 2008 hat Angela Merkel die sachbezogene, pragmatische Arbeit von Schwarz-Rot zu schätzen gelernt. Das fügte sich bestens mit ihrem Stil einer Präsidialkanzlerin zusammen, der ihr große Beliebtheit einbrachte. Diese Rolle kann sie jetzt nicht mehr ausüben, weil Schwarz-Gelb eben eine Lagerkoalition ist, die in Abgrenzung zum anderen Lager, also zu SPD, Grünen und Linkspartei, steht. Angela Merkel muss mehr eine Partei- und Lagerkanzlerin werden. Nur so wird sie das sogenannte bürgerliche Lager binden und integrieren können.

Schafft sie das?


Sie versucht jedenfalls diese Neubestimmung. Ob sie gelingt, bleibt abzuwarten. Aber ihren Willen, es zu schaffen und politischen Erfolg zu erzielen, unterschätze ich keineswegs.

Schwarz-Gelb hat also noch eine reelle Chance?


Ja. Aber nur, wenn es endlich gelingt, ein gemeinsames Anliegen, ein gemeinsames Ziel zu benennen. Denn weitere Schwierigkeiten bleiben genügend. Das Sparpaket muss ja erst noch parlamentarisch beraten werden. Die Frage, warum es nicht ausgewogen und fair ist - und diese Frage treibt sehr viele Bürger um -, bleibt damit virulent. Zudem steht der FDP bestimmt eine Debatte über die Zukunft von Guido Westerwelle ins Haus.

Für manches Medium ist das Urteil schon gesprochen. "Aufhören", titelte der "Spiegel" und unterlegte seinen Wunsch mit dem Foto einer erschöpfen Kanzlerin und eines erschöpften Vizekanzlers.


Dieser Titel ist hart an der Grenze. Was will der "Spiegel" auf seinen Titel schreiben, wenn sich Schwarz-Gelb nicht berappelt? Da tut sich eine ungute Zuspitzungsfalle auf: Man muss die Dosis an Zuspitzung und Wertung immer weiter erhöhen, um weiter Aufmerksamkeit zu erreichen.

Maßen sich die Medien eine Rolle an, die ihnen nicht zukommt?


Es gibt klar die Tendenz, in den Überschriften mehr und mehr Wertungen vorzunehmen. Viele Medien gehen über den berichtenden, erläuternden, vornehmlich Fakten wiedergebenden Journalismus hinaus. Dieser Trend zeigte sich schon im Wahljahr 2005, als gerade der "Spiegel" - und er ist fraglos wie die "Bild"-Zeitung und das Fernsehen ein Leitmedium - die rot-grüne Koalition hart angegangen war. Diese Entwicklung ist fragwürdig, weil niemand die Medien zu harschen und oft genug auch vorschnellen Urteilen legitimiert. Dahinter steckt die Attitüde, dass gleichsam die Medien das Heft in die Hand nehmen, wenn sie meinen, dass die Politik dies versäume. Doch ist in einer Demokratie eine andere Rollenverteilung vorgesehen.