Ist der Einsatz von Wasserwerfern gegen Demonstranten am 30. September prinzipiell angemessen gewesen?

 

Ich kann nicht eine so komplexe Angelegenheit im Nachhinein bewerten. Ich habe den Einsatz nicht miterlebt und kenne deshalb auch nicht die Umstände. Ich vertraue auf unsere Rechtsordnung und auf die hochkarätig besetzte Expertengruppe im Innenministerium, die den Einsatz aufarbeitet.

Was muss passieren, um das vollständig aufzuarbeiten?

Es gibt bei uns ein Qualitätsmanagement - früher hieß das Einsatznachbereitung. Die Frage lautet: Wie können wir besser werden? Wie können wir Situationen wie am 30. September vermeiden? Nichts anderes macht auch die Runde im Ministerium. Individuelle Schuldfeststellung, das machen die Gerichte. Wenn wir Hinweise bekommen auf ein strafrechtliches Fehlverhalten, dann geben wir das weiter an die Staatsanwaltschaft, wie auch im Alltag.

Können Sie nachvollziehen, dass die Staatsanwaltschaft ausgerechnet die Stuttgarter Polizei mit der Ermittlung gegen die eigenen Kollegen beauftragt hat?

Zerreißt es die Polizei nicht bei solchen Belastungen, zumal die Haltung zu Stuttgart 21 auch die Bevölkerung spaltet?

Auch bei uns gibt es Befürworter und Gegner. Einen Riss gibt es aber nicht. Ich habe gerade von Kollegen, die besonders belastet sind, gehört, dass die Stuttgart-21-Einsätze die Kollegen auch enorm zusammengeschweißt haben.

Wie oft waren Sie im Einsatz?

In diesem Jahr waren 15.219 Polizeikräfte schon 79.376 Stunden im Einsatz. Seit 2010 bis heute leisteten 66.942 Kräfte 426.509 Stunden Dienst in Sachen S21.

Wie kann man diese Belastung abfangen?

Es klingt abgedroschen, ist aber ganz einfach: mit unseren Leuten reden und sie erzählen lassen, was sie leisten. Viel mehr an Motivation steht uns nicht zur Verfügung.

Seite 2: "Oberste Leitlinie ist dabei die Deeskalation"

Am Montag gehen die Bauarbeiten weiter. Wie geht die Polizei vor?

Wir müssen ermöglichen, dass die Bahn bauen kann. Oberste Leitlinie ist dabei die Deeskalation. Wir haben ein abgestuftes Konzept: Wenn die Gegner die Baustelle blockieren, fordern wir sie mehrmals auf, den Weg freizumachen. Wer bleibt, der wird unter Umständen weggetragen. Das kostet übrigens eine Verwaltungsgebühr. Außerdem muss ein Blockierer mit einer Anzeige wegen des Verdachts der Nötigung rechnen. Grundsätzlich gilt: Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit ist ein hohes Gut, das es zu schützen gilt. Das weiß jeder in der Polizei. Aber wir werden unseren Auftrag umsetzen - ohne einen Anlass zur Eskalation zu bieten.

Das war am 30. September anders. Was rufen die Bilder von damals bei Ihnen hervor?

Mir tut das zunächst für jeden leid, der Schaden genommen hat. Ich teile die Meinung, die sich nach dem Untersuchungsausschuss des Landtags parteiübergreifend in der Politik, aber auch in der Bevölkerung gebildet hat: Solche Bilder wollen wir nie wieder sehen.

Heißt das, dass es unter Ihrer Führung keine Wasserwerfereinsätze in Stuttgart mehr geben wird?

Ganz konkret: wir setzen am Montag keine Wasserwerfer ein. Der Innenminister hat schon Anfang des Monats erklärt, dass er das nicht mehr will. Ich weiß natürlich nicht, was die Zukunft bringt.

Sie schließen also nicht aus, dass eines Tages wieder Wasserwerfer in Stuttgart zum Einsatz kommen?

Im Polizeigesetz steht, dass Wasserwerfer Einsatzmittel der Polizei sind. Ich kann sie nicht abschaffen, ich kann kein Gesetz ändern.

Noch mal: Sie versprechen nicht, dass keine Wasserwerfer mehr eingesetzt werden?

Ich kann die Entwicklung nicht vorhersehen. Aber ich habe die Montagsdemonstranten und die Blockierer besucht: Ich sehe hier keine Krawallmacher, keine Autonomen, keinen schwarzen Block. Wenn diese Gruppen sich unter die Demonstranten mischen würden, könnte ich nicht mit Bestimmtheit sagen, dass wir auf Wasserwerfer verzichten. Ich würde ihnen natürlich gerne sagen, wir setzen auch keine Hiebwaffe, also keinen Schlagstock ein. Was ist aber, wenn einer angegriffen wird? Von der Einsatzleitung aus werden wir aber sehr genau prüfen, ob die Verhältnismäßigkeit gegeben ist für den Einsatz von Hilfsmitteln körperlicher Gewalt - das ist ein Verfassungsgrundsatz.

"Bei uns wird nichts unter den Teppich gekehrt"

Ist der Einsatz von Wasserwerfern gegen Demonstranten am 30. September prinzipiell angemessen gewesen?

Ich kann nicht eine so komplexe Angelegenheit im Nachhinein bewerten. Ich habe den Einsatz nicht miterlebt und kenne deshalb auch nicht die Umstände. Ich vertraue auf unsere Rechtsordnung und auf die hochkarätig besetzte Expertengruppe im Innenministerium, die den Einsatz aufarbeitet.

Was muss passieren, um das vollständig aufzuarbeiten?

Es gibt bei uns ein Qualitätsmanagement - früher hieß das Einsatznachbereitung. Die Frage lautet: Wie können wir besser werden? Wie können wir Situationen wie am 30. September vermeiden? Nichts anderes macht auch die Runde im Ministerium. Individuelle Schuldfeststellung, das machen die Gerichte. Wenn wir Hinweise bekommen auf ein strafrechtliches Fehlverhalten, dann geben wir das weiter an die Staatsanwaltschaft, wie auch im Alltag.

Können Sie nachvollziehen, dass die Staatsanwaltschaft ausgerechnet die Stuttgarter Polizei mit der Ermittlung gegen die eigenen Kollegen beauftragt hat?

In den wenigsten Fällen sitzen jetziger Ermittler und Beschuldigter in einem Gebäude - es sind ja auch viele Beamte aus dem ganzen Land dabei gewesen. Die meisten Ermittler sind in dem Dezernat, das sich auch im Alltag um Amtsdelikte kümmert. Und noch mal: wir haben ein Berufsethos. Bei uns wird nichts unter den Teppich gekehrt.

Wie geht man damit um, dass es seit dem 30. September ein Feindbild gibt: "gute" Demonstranten gegen "böse" Polizisten?

Auch hier darf man nicht in Klischees denken. Ich war vor drei Tagen nach der Blockade am Grundwassermanagement und habe mit einigen gesprochen. "Sie sind auch unser Polizeipräsident", habe ich dort gehört. Es ist ein sehr differenziertes Bild, das wahrgenommen wird.

Dann haben Sie gar kein schlechtes Image, das Sie loswerden müssen?

Ich bin mir sicher, eine Umfrage würde ein anderes Bild bringen als die Frage vermuten lässt. Der überwiegende Anteil der Bürger hat Vertrauen zur Polizei. Es ist falsch, alles nur am 30. September festzumachen.

Wie ist Ihre Einschätzung des Einsatzes? Als der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses im Landtag vorlag, waren die Interpretationen sehr unterschiedlich.

Wenn ich das Ergebnis der Expertengruppe habe, mache ich mir ein Bild.

Sie setzen auf Transparenz und Kommunikation. Mit wem haben Sie denn auf der Gegnerseite gesprochen?

Wir haben Kontakt zum Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21. Es soll ein Treffen mit den Sprechern Brigitte Dahlbender und Hannes Rockenbauch geben. Aber ich bin nicht der Erfinder der Transparenz und Kommunikation. Es gab vor mir schon ein gut funktionierendes Polizeipräsidium.

Stimmt es eigentlich, dass Ihr Job gerade der schwerste ist, den die Polizei zu bieten hat?

Das höre ich in diesen Tagen oft. Aber ob es so ist, das weiß ich nicht.

Seite 4: Der neue Polizeipräsident

Polizeipräsident: Der 55-jährige Thomas Züfle ist seit dem 1. Juni Chef im Stuttgarter Polizeipräsidium. Er ist der Nachfolger von Siegfried Stumpf, der Ende April aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig in den Ruhestand gegangen war. Es ist nicht das erste Mal, dass Züfle Dienst in der Hahnemannstraße am Pragsattel tut. Bereits zu Beginn seiner Laufbahn und im Jahr 2006 war er hier, zuletzt als Leiter der Kriminalinspektion eins. Damals leitete er während der Fußballweltmeisterschaft einen Einsatz gegen randalierende Hooligans auf dem Schlossplatz.

Stationen: Thomas Züfles Laufbahn begann 1973 bei der Bereitschaftspolizei in Göppingen. Danach kam er zur Landespolizeidirektion II, das heutige Polizeipräsidium Stuttgart. In den Jahren 1989 bis 1996 war Thomas Züfle im Dezernat zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität des Landeskriminalamts zuständig, bevor er 1999 zur Ermittlungsgruppe Rauschgift von Zoll und Polizei wechselte. Das Innenministerium war von 2000 bis 2006 Züfles Dienststelle, von 2001 an war er für die Bekämpfung islamistischen Terrors zuständig. Im Jahr 2004 war er in Afghanistan, um dort die Polizei und ein Landeskriminalamt aufzubauen. Von 2006 bis zur Ernennung zum Polizeipräsidenten leitete Züfle die Tübinger Polizeidirektion.