Das Satiremagazin „Titanic“ bekommt einen neuen Chefredakteur. Der Online-Chef Tim Wolff löst Leo Fischer ab. Im Interview erklärt Wolff, warum er Merkel liebt und wie er „Titanic“ in die Standesämter bringen will.

Stuttgart – - Seit mehr als dreißig Jahren ist „Titanic“ das wichtigste Satiremagazin in den alten Bundesländern. Obwohl sich der Humor zunehmend ins Internet verlagert, hat es seine Vormachtstellung gefestigt. Wie das gelingt, erklärt der neue, 35-jährige Chefredakteur Tim Wolff.
Herr Wolff, gerade ist die FDP ist aus dem Bundestag geflogen. Claudia Roth und die Urgesteine der Grünen haben Reißaus genommen. Brechen da düstere Zeiten für die „ Titanic“ an?
Nein, das glaube ich nicht. Die FDP war doch schon so abgewrackt, dass man gar nicht mehr so viele Witze über sie machen konnte. Ohnehin gilt für die „Titanic“: Wenn alle Witze über einen machen, sind wir schon fast wieder für ihn. Eigentlich hätten wir die FDP am Ende unterstützen müssen. Aber Idioten wachsen immer nach. Die FDP ist weg, dafür taucht die AfD auf.
Die Grünen fehlen Ihnen gar nicht?
Nein, die haben ja jetzt diesen Anders-Breivik-Imitator. Wie heißt der noch. Hinterhofer? Nee, Hofreiter.
Aber es war doch wohl ein Akt der Verzweiflung, dass Sie die Kanzlerin jetzt schon zum vierten Mal in diesem Jahr aufs Cover gehievt hat.
Nein, das ist eine Liebeserklärung.
Das müssen Sie erklären.
Politisch liegen wir natürlich nicht auf einer Linie, aber als Kanzlerin ist sie uns sehr sympathisch, weil ihr mittlerweile alles egal ist.
Bitte?
In den ersten Amtsjahren war sie sehr diszipliniert, was ihr Äußeres angeht. Mittlerweile lässt sie ihre Emotionen offen heraus. Es gibt jede Menge lustiger Aufnahmen einer schon etwas älteren, tüdeligen Frau, die zwischen diesen seriösen Männern offen lacht oder entsetzt schaut. Wer solche Bilder liefert, ist uns sympathisch.

Was ist denn Ihr persönlicher, liebster Merkel-Gesichtsausdruck?
Wenn ihr etwas mitgeteilt wird, was sie entsetzt. Dann hat sie etwas von einem Kojoten, bevor er abstürzt. Und da wir alle Comic-Figuren lieben, lieben wir natürlich auch unsere Kanzlerin.
Der „Titanic“ ging es noch nie so gut wie heute. Ist „Mutti“ Viagra für die Auflage?
Ja, Merkel-Titel verkaufen sich auf jeden Fall sehr gut. Sehr viel haben wir auch der katholischen Kirche zu verdanken.
Sie meinen: Papst Benedikt und dem Pinkelfleck auf der Soutane.
Genau, das ist sehr sympathisch, dass er uns für diese Darstellung auf dem Cover verklagt hat. Das war eine riesige Werbekampagne.
Am Ende hat er die einstweilige Verfügung wieder zurückgezogen.
Das war sehr nett und hat uns hohe Prozesskosten gespart. Schade, dass er jetzt weg ist.
Wird er nicht würdig vom Bischof aus Limburg vertreten?
Ja, aber über diesen Mann werden so viele Witze gemacht, dass man schon wieder Mitgefühl mit ihm haben muss. Nur weil er den Katholizismus ehrlicher lebt als andere, wird er jetzt von einem Armen-Papst abgestraft.
Die Grenze zwischen Unterhaltung und Politik verwischt. Welche Anforderungen stellt das an die „Titanic“?
Wir müssen besser werden. Vor zwanzig Jahren hatte die „Titanic“ ein Komik-Monopol in Deutschland. Das hat sich glücklicherweise verändert.
Warum glücklicherweise?
Konkurrenz belebt das Geschäft. Robert Gernhardt hat einmal festgestellt: es ist immer schöner, wenn es mehr Komik gibt als weniger. Es gibt ja diesen alten Streit zwischen Ernst- und Spaßmachern, und wir wollen, dass die Spaßmacher gewinnen.

Satire im Internet boomt. Warum?
Das Internet macht es Benutzern einfacher, sich zu äußern. Die „Titanic“ ist das, was zu Schulzeiten der kleine Zettel mit dem schmutzigen Witz war, der durch die Bankreihen gereicht wurde. So etwas funktioniert auch im Internet gut. Da verbreiten sich die Dinge sehr schnell und anonym.
Geht der Trend deshalb auch bei Ihnen weg vom Wort, hin zum Bild?
Die Titanic wird ein Heft mit vielen Texten bleiben, aber ich mag es bildlicher als mein Vorgänger.
Inwiefern unterscheidet sich der Online- vom Print-Leser?
Ich würde behaupten, das Online-Publikum ist simpler gestrickt. Alles muss schneller und einfacher gehen. Witze leuchten schnell ein und sorgen für Abwechslung im Arbeitsalltag.
Profitiert die Titanic davon, dass jetzt jeder seinen Senf im Internet dazugeben kann?
Witze dürfen auch flach sein. Letztlich fungiert unsere Website als Werbung für das gedruckte Blatt. Man verschenkt etwas in der Hoffnung, dass die Leute hängen bleiben und es auch kaufen. Und das funktioniert tatsächlich. Wenn wir gute Witze haben, verkaufen wir mehr Abonnements.
Wie grenzen Sie sich gegen Konkurrenten wie den Satire-Blog „Der Postillon“ ab?
Wir sind immer noch die einzige Satireseite, die ein so breites Spektrum an Formen hat: Zeichnungen, Bildwitze, Parodien, auch eine ernst gemeinte Kolumne mit Stefan Gärtners „Sonntagsfrühstück“.
Mit einer eigenen Partei rührt der ehemalige „Titanic“-Chefredakteur Martin Sonneborn die Werbetrommel für das Blatt. Wie wichtig ist „Die Partei“ für die Markenpflege?
Sehr wichtig. Ich hoffe doch, dass die Partei eines Tages an die Macht kommt. Dann können wir die „Titanic“ nämlich in den Standesämtern auslegen – und die Auflage ist gesichert.
Fünfunddreißig verbotene Ausgaben, 55 Gerichtsverfahren und unzählige, Unterlassungserklärungen – braucht man da nicht Nerven aus Stahl?
Nein, wir haben gerade deshalb eine sehr erfahrene Rechtsanwältin, die ja letztlich auch den Papst besiegt hat.
Wer klagt denn am häufigsten?
Journalisten, Sozialdemokraten und Katholiken reagieren sensibel. Die Politiker vom rechten Spektrum halten mehr aus.