Mit 66 Jahren ist er so erfolgreich wie nie zuvor. Im Interview vergleicht sich Udo Lindenberg mit Mick Jagger und erklärt, warum er sich nun endlich die Freiheit nehmen kann, nicht mehr tausendmal „Sonderzug nach Pankow“ zu singen.

Hamburg – Hinter Udo Lindenberg liegt die erfolgreichste Tournee seiner 40-jährigen Karriere. Ein mit viel Aufwand gedrehter Dokumentarfilm und ein kiloschwerer Fotoband zeigen nun, wer sich hinter Hut und Sonnenbrille versteckt. Im Interview äußert sich der 66-Jährige zum Älterwerden und zum Alkohol.
Herr Lindenberg, in dem Buch „Udo Lindenberg – Ich mach mein Ding“ heißt es, Alter stehe für Radikalität und Meisterschaft. Was verstehen Sie unter Radikalität?
Radikale Shows, radikale Texte. Obwohl – das war bei mir früher auch schon so. Es war also eine Vorahnung meines irdischen Alters. Eigentlich bin ich ja ET, deswegen zählt das irdische Alter bei mir nicht so sehr. Aber bei meiner Fitness bleibt mir noch ziemlich viel Zeit. Mein Doktor gibt mir mindestens noch 30 Jahre.

Wie halten Sie sich fit?
Mit Schwimmen. Jeden Tag zwei Kilometer in Hotelpools – unter Wasser mit Gummihut. Ein guter Körper ist wichtig für die Tourneen. Das Publikum zahlt fetten Eintritt und hat ein Recht auf einen fitten Sänger und eine superfitte Band.

Haben Sie heute noch höhere Ansprüche an sich selbst als früher?
Ich dachte immer, dass man im Alter ein bisschen schlapper wird. Früher war man mit 70, 80 uralt. Aber die Vertreter der ersten Rock 'n' Roll-Generation, zu der Mick Jagger, Rod Stewart oder ich gehören, bleiben einfach so, wie sie sind. Sie kriegen einen Charakterkopf mit edlen Falten, ansonsten macht Rock 'n' Roll den Menschen zeitlos. Ich möchte nicht gemütlich die Füße hochlegen und mich auf meinen Lorbeeren ausruhen. Ich bleibe ein neugieriger Entdecker, immer auf dem Sprung.

Ihre diesjährige Tour wurde überraschend zur erfolgreichsten Ihrer Karriere. Eine Versöhnung des Sängers mit seinem Werk, sagt Ihr Freund Benjamin von Stuckrad-Barre.
Ja, ja, das stimmt auch. Tausendmal „Sonderzug nach Pankow“ oder „Rudi Ratlos“ zu trällern ist wie „Hossa Hossa“. Aber jetzt, wo wir so viele geile neue Songs haben, die übrigens genau solche Hits sind, fühle ich mich wieder frei.

Im Laufe der Tour mussten Sie Ihren Nietengürtel immer enger schnallen. Kosten die Auftritte zu viel Kraft?
Konditionell könnte ich das jedes Jahr machen. Psychisch – weiß ich nicht. Aber diese Tour hat sich einfach jungfräulich angefühlt. Vieles lebt von der Flirterei mit dem Publikum. Ich konnte die feuchten Augen und die weit aufgeklappten Seelen sehen. Das ist schon toll. Nach der Show gehe ich ins Hotel und krache erschöpft in die Pofe wie nach einem Boxkampf. Aber im Kopf kreiselt es weiter.

Es gibt Musiker, die aus ihrer Tretmühle einfach nicht raus können oder wollen. Macht Erfolg arbeitssüchtig?
Würde ich sagen. Ich mache die Richtlinienpolitik für die ganze Mannschaft. Ich denke nach, in welche Richtung der Panik-Sonderzug weiter fährt. Da muss man 24 Stunden am Ball sein. Aber ich versuche auch mal abzuschalten. Nach der ganzen Maloche unternehme ich gern Reisen mit meiner Gang. Wir fahren zwischen Amazonas und Südsee in der ganzen Welt rum.

Waren für Sie die Tode von Michael Jackson, Amy Winehouse oder Whitney Houston eine Überraschung?
Bei manchen Kollegen ist es tragisch zu sehen, wie sie aus dem Hamsterrad nicht mehr rausfinden. Auf die Schnauze zu fliegen ist ganz normal, man darf nur nicht liegen bleiben. Ich hatte auch meine Sinnkrisen, Saufereien und Exzesse unterm Tresen. Aber jetzt geht es weiter mit richtig neuen Sachen. Ich kriege das hin, weil der Rock 'n' Roll mein Lebensstil ist.

Wie haben Sie die Verbindung zu sich selbst wieder gefunden?
Früher war ich ein Teenie-Idol mit Bravo-Starschnitt. Dann wurde ich 50 und musste sehen, wie ich den Switch schaffe. Ich bin der erste Rock-Chansonnier Deutschlands, der sich politisch einmischt und mit dessen Storys sich Kinder, Frauen, Männer und heiße Greise identifizieren können.

Und wie haben Sie den Alkohol besiegt?
Aus eigener Kraft. Ich hatte mir die Frage gestellt, was mir der alkoholbedingte Verzicht an Power bringt. Ohne die Sauferei könnte ich durch die Wildnis rattern ohne Angst zu haben, die nächste Kneipe und den nächsten Notarzt nicht zu finden. Ohne Drogen gewinnst du an Freiheit.

Was ist heute Ihre Droge?
Manchmal trinke ich noch. Nicht, um mich zuzuziehen, sondern um der Erkenntnis und Erleuchtung willen. Man muss sich aber körperlich fit halten. Sauferei nach der Mengenlehre habe ich gezielt abgeschafft, dafür es gibt andere fernöstliche Sachen. Über die kann ich hier aber nicht sprechen, weil ich im smarten Umgang mit den Drogen noch ein junger Student bin.