Sexuelle Freiheit gehört ja zu den wichtigen Errungenschaften der Moderne. Worauf führen Sie diesen Rückfall in eine überwunden geglaubte Verklemmtheit zurück?
Die Metoo-Debatte hat in diesem Zusammenhang sehr viel ausgelöst. Kultur wird bei gesellschaftlichen und politischen Bewegungen am ehesten angegriffen. Und Bilder sind – das hat sich in der Vergangenheit häufig gezeigt – oft die ersten Opfer, auf die mit dem Finger gezeigt wird. Denken Sie an diese unmögliche Aktion 2016 in Rom, wo bei einem Besuch des iranischen Präsidenten die antiken Statuen verhüllt wurden. Oder, anderes Beispiel, das Plakat mit der nackten Venus von Lucas Cranach, mit dem die Royal Academy vor ein paar Jahren für eine Ausstellung mit Werken des Malers warb und das die Londoner Verkehrsbetriebe verbannten, weil sie ihren Fahrgästen so viel Nacktheit nicht zumuten wollten. Sie sehen, die Debatte ist gar nicht so neu. Für uns als Museen gilt, dass wir für die Freiheit der Kunst stehen. Wir werden Teile der Kunstgeschichte nicht ausradieren, indem wir Bilder entfernen, sondern möchten bestimmte Gesellschaftsbilder und Lebensweisen anhand von Kunst diskutieren.
Es fällt auf, dass einerseits mit dem Finger auf Kunst gezeigt wird, wir andererseits aber in der Werbung, in Medien, im Internet mit einer Flut sexualisierter und pornografisierter Bilder konfrontiert sind. Muss die Kunst etwas kompensieren, dessen wir anderswo nicht mehr Herr zu werden meinen?
Ich würde unterscheiden zwischen Werbung und Internet. Gegen sexualisierte, frauenfeindliche Werbung hat es in jüngerer Zeit immer wieder erhebliche Proteste gegeben. Da beginnt eine Sensibilisierung sowohl bei den Konsumenten als auch bei den Unternehmen. Anders verhält es sich mit der anonymen Öffentlichkeit im Internet, wo mit gefälschten Bildern gearbeitet wird, mit Unterstellungen und Falschbehauptungen – das Internet ist im Zusammenhang mit Debattenkultur hochproblematisch, und auch im Museum müssen hier noch Wege des Umgangs gefunden werden.
Sie selbst planen im Herbst eine Ausstellung mit dem Titel „Ekstase in Kunst, Tanz und Musik“. Was haben wir zu erwarten? Wieder viele nackte Körper?
(lacht) Unlängst hat die FAZ eine Doppelseite mit Kunstwerken veröffentlicht, deren Entfernung aus Museen oder auch Kirchen in der aktuellen Sexismus-Debatte ebenfalls gefordert werden könnte, um damit zu demonstrieren, dass die halbe Kunstgeschichte im Giftschrank verschwinden müsste, wenn man sie vermeintlich nur nach Sitte und Anstand beurteilt. Einige dieser Werke werden wir im Herbst in unserer Ausstellung präsentieren. So zeigen wir zum Beispiel eine Studie von Gian Lorenzo Berninis berühmter Skulptur „Die Verzückung der heiligen Theresa“, die in einer römischen Kirche steht und die unio mystica, die mystische Vermählung mit Gott zeigt. Der entrückte Gesichtsausdruck der Heiligen wurde häufig sexuell, also als körperliche Lust gedeutet. Oder wir stellen Picassos Radierung eines Minotaurus, der eine schlafende Frau liebkost, aus. Unsere Ausstellung wird auch nackte Bacchantinnen oder Warhols Film „Blow Job“ zeigen, dies alles sind wichtige kunsthistorische Belege für unser Thema. Denn Ekstasen sind so alt wie die Menschheit, deshalb wird die Ausstellung diesem Zustand des „Außer-Sich-Seins“ in seiner kulturellen Bedeutungsgeschichte nachspüren. Dionysischer Kult, religiöse Verzückung, brasilianischer Candomblé, sexuelle oder drogeninduzierte Ekstasen: das werden die Themenbereiche sein, die das anthropologisch universelle Bedürfnis nach Entgrenzung veranschaulichen. Damit leisten wir durchaus einen wichtigen Beitrag zur aktuellen Debatte.