Der Ausbau der Windkraft wird in den nächsten Jahren massiv einbrechen – Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) hadert mit dem Bund wegen ungerechter Regeln. Die Klimaschutzziele für 2020 wird das Land auch aus anderen Gründen nicht mehr erreichen können.
08.12.2017 - 18:07 Uhr
Stuttgart - Im vergangenen Jahr sind in Baden-Württemberg 201 Windkraftanlagen genehmigt worden – dieses Jahr waren es bisher gerade zwei. Die Ursache sind die neuen Vergaberichtlinien der Bundesnetzagentur. Der Landesumweltminister Franz Untersteller (Grüne) hält diese Regeln für extrem ungerecht. Zugleich muss er aber einräumen, dass das Land seine Klimaziele bis zum Jahr 2020 verfehlen wird.
Herr Untersteller, Sie haben als Umweltminister die Windkraft stark vorangebracht – jetzt führen neue Vergaberegeln zu einem vorübergehenden Stopp des Ausbaus in Baden-Württemberg. Fühlen Sie sich als tragischer Held – gescheitert ohne eigenes Zutun?
Als Scheitern würde ich das nicht bezeichnen. Aber es ärgert mich schon sehr. Wir haben 2011 begonnen, die Grundlagen für den Ausbau der Windkraft zu schaffen, von 2015 an kamen die Erfolge. Und jetzt stehen wir aufgrund der neuen Regeln schon nach drei Jahren Aufschwung vor einem Fadenriss. Und es betrifft ganz Süddeutschland. Nur eine Zahl: Südlich der Mainlinie wurden in den letzten Jahren 22 Prozent des bundesdeutschen Zubaus realisiert. In den Ausschreibungsrunden dieses Jahres lagen gerade noch 3,4 Prozent der erfolgreichen Projekte südlich des Mains. Alle südlichen Bundesländer sind abgehängt.
Woran liegt das?
Die Ausschreibungsbedingungen der Bundesnetzagentur haben einen gravierenden Webfehler. Und was mich so ärgert: Darauf habe ich vorher schon hingewiesen. Ich habe 2016 gesagt: Leute, das funktioniert nicht, wenn ihr bundesweit die gleichen Bedingungen anlegt. Es ist doch logisch, dass Windräder im flachen Norddeutschland viel günstiger gebaut werden können.
Aber es gibt doch einen Korrekturfaktor, damit Projekte mit schlechteren Rahmenbedingungen trotzdem zum Zuge kommen können.
Aber der reicht bei weitem nicht aus. Und Sie dürfen eines nicht vergessen: Dieser Korrekturfaktor bezieht sich nur auf die Windhöffigkeit – höhere Baukosten werden dagegen nicht abgebildet. Wenn ein Standort in Norddeutschland und einer bei uns die gleiche Windstärke aufweisen, dann gibt es keinerlei Bonus für uns – aber da wir meist auf Bergen oder im Wald bauen müssen und da hier die Türme 20 Meter höher sein müssen für lukrative Erträge, ist alles viel teurer. Das wird gar nicht berücksichtigt. Mein Vorschlag war: 40 Prozent des Zuschlags erhält der Norden, 40 Prozent der Süden – und 20 Prozent gehen dorthin, wo es am günstigsten ist, also wohl auch in den Norden. Das wurde vom Bundeswirtschaftministerium abgelehnt. Aber mittlerweile habe ich den Eindruck, dass man gemerkt hat: So falsch war meine Einschätzung nicht. Es gibt deshalb im Moment neue Überlegungen für Regionalisierungsmodelle.
Manche Windkraftgegner sagen, dass die Ergebnisse der Ausschreibungen erstmals schriftlich und von behördlicher Seite beweisen, dass die Windkraft im Süden nicht konkurrenzfähig und deshalb nicht sinnvoll ist.
Das stimmt einfach nicht. Erstens sind die Erzeugungspreise auch in Baden-Württemberg kontinuierlich gesunken. Und die Anlagen sind mittlerweile so hoch, dass wesentlich mehr Strom erzeugt wird als früher. Es gibt Anlagen mit mehr als 2000 Volllaststunden. Windräder rechnen sich auch im Süden, trotz stark gesunkener EEG-Umlage – sonst würde niemand welche bauen. Die Ausbaubegrenzungen, die der Bund bei Windkraft und Fotovoltaik eingeführt hat, sind also nicht sinnvoll. Bei der Windkraft liegen die Erzeugungskosten heute schon unter jenen bei Gas- und Kohlekraftwerken. Es kann doch nicht sein, dass Fotovoltaik und Windkraft als günstigste Form der Stromerzeugung blockiert werden.
Aber Windräder im Süden rechnen sich eben nicht ganz so gut wie im Norden.
Es wäre aber auch aus anderen Gründen ein Riesenfehler, wenn wir die Windkraft im Süden nicht nutzen würden. Ohne die Windräder bräuchten wir einen noch stärkeren Ausbau der Stromleitungen in den Süden. Die Industriezentren liegen bei München und Stuttgart – wenn der Strom im Norden erzeugt wird, müssen wir mehr Leitungen bauen, die auch niemand will.
Der Netzausbau ist geplant – die neuen Stromleitungen kommen sowieso.
Der Punkt ist doch: Der jetzt geplante Netzausbau setzt den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien in Süddeutschland voraus. Und den brauchen wir auch, denn wir haben in Baden-Württemberg einen jährlichen Strombedarf von etwa 74 Milliarden Kilowattstunden, erzeugen aber nur 62 Milliarden. Bald gehen zwei Kernkraftwerke vom Netz, da fehlen allein weitere 20 Milliarden Kilowattstunden, und hoffentlich bald werden wir auch die Kohlekraftwerke stilllegen können. Gleichzeitig erhöht sich der Strombedarf durch die Elektromobilität und den zunehmenden Einsatz von Wärmepumpen.
Das ist noch gar nicht berücksichtigt?
Nur zum Teil. Auf jeden Fall würden noch mehr Leitungen fehlen, wenn der Ausbau der Windkraft in Baden-Württemberg auf Dauer zum Erliegen käme.
Was ist volkswirtschaftlich günstiger: Wenn man den Strom hier etwas teurer produziert, aber keine Leitungen braucht, oder wenn er im Norden erzeugt und hierher transportiert wird. Gibt es seriöse Gesamtrechnungen?
Ich kenne keine. Aber allein die Stromleitung Suedlink kostet zehn Milliarden Euro oder noch mehr. Da soll mir mal einer vorrechnen, dass das unterm Strich günstiger ist, als wenn wir die Windräder hier bauen. Im Übrigen geht es nicht nur um Kosten. Es geht auch um Versorgungssicherheit – wenn man die Windräder in allen Landesteilen baut, kann man regionale Windflauten besser ausgleichen. Und es geht auch um Akzeptanz: Wie soll ich denn jemandem erklären, dass die 30 000 Anlagen im Norden nicht reichen und man noch mehr bauen muss, damit wir im Süden keine haben? Diese Argumentation von Windkraftgegnern habe ich noch nie verstanden.
Müssen Sie mit dem Einbruch der Windkraft endgültig einräumen, dass Sie die Klimaziele bis 2020 verfehlen? Sie wollten den Ausstoß von Treibhausgasemissionen bis 2020 um 25 Prozent gegenüber 1990 verringern.
Die Frage der Klimaschutzziele hängt nicht ausschließlich vom Ausbau der Windkraft ab. Aber ja, diese Ziele werden wir nicht mehr erreichen. Das hängt jedoch mit wesentlich größeren Entwicklungen zusammen, etwa mit einem nicht funktionierenden Emissionshandel oder damit, dass die CO2-Emissionen im Verkehr keinen Deut runtergegangen sind. Zwar sind die Motoren besser geworden, aber es sind viel mehr Fahrzeuge als früher auf der Straße.
Das heißt, selbst wenn Sie die geplanten 1100 Windräder bis 2020 geschafft hätten, wären die Ziele verfehlt worden?
Ja. Es gibt erhebliche Gründe von außen. Wir werden, was die Senkung der Emissionen angeht, vom Ziel in einer Größenordnung zwischen 2,3 und 6,7 Prozentpunkte abweichen. Genau können wir das noch nicht sagen. Die Bundesregierung dagegen wird höchstens eine CO2-Reduktion von 32 Prozent erreichen können; das Ziel war 40 Prozent. Da liegen wir noch relativ gut.
Was wollen Sie konkret tun, damit die Windkraft im Land wieder Fahrt aufnimmt?
Es gibt zwei mögliche Wege. Wir könnten abwarten, bis eine neue Bundesregierung handlungsfähig ist und die Regeln ändert. Aber das kann dauern; deshalb ärgert es mich ja so, dass die Jamaika-Verhandlungen abgebrochen wurden. Daneben könnten wir über den Bundesrat die Initiative ergreifen – da sind wir in der Diskussion, was besser ist. Ich will mich noch nicht festlegen, ich muss im Land und in anderen Bundesländern noch Gespräche führen.