Reportage: Frank Buchmeier (buc)


Es gibt Ihr umfangreiches Film- und Tonmaterial, das müsste ja eigentlich zu zahlreichen Ermittlungsverfahren geführt haben.
Ich weiß von zwei Verurteilungen, die direkt auf meine Recherchen zurückzuführen sind. Angesichts der Fülle von Straftaten, die ich gefilmt habe, ist das eine erschreckend dürftige Bilanz.

„Blut muss fließen“ feierte im Frühjahr auf der Berlinale eine viel beachtete Premiere. Dennoch will den Dokumentarfilm bis heute kein Fernsehsender zeigen.
Peter Ohlendorf, der Produzent und Regisseur, führt zurzeit Gespräche mit dem NDR und dem Bayerischen Rundfunk, aber wir haben noch immer keinen Vertrag. Ich hätte in meinen schlimmsten Albträumen nicht erwartet, dass wir ein Dreivierteljahr nach der Berlinale noch in der Luft hängen.

Durch die NSU müsste das Interesse an dem Thema doch deutlich zugenommen haben.
Mein Eindruck ist, dass sich die Medien in der Regel auf die Zwickauer Terrorzelle fokussieren. Ich habe Anfragen von Fernsehredaktionen bekommen, ob ich NSU-Mitglieder bei einem Neonazikonzert gefilmt habe. Das kann gut sein, aber ich habe 250 Stunden Videomaterial, soll ich das nun durchforsten, um Bilder von zwei inzwischen toten mutmaßlichen Terroristen und einer gefangenen mutmaßlichen Terroristin zu finden? Weder habe ich dafür die Zeit, noch sehe ich darin aus journalistischer Sicht einen tieferen Sinn. Man hätte die Bilder zeigen müssen, als sie aktuell waren. Aber bereits zu Beginn meiner Recherchen haben sich viele Fernsehredaktionen nicht dafür interessiert.

Immerhin wurde Ihr Material in Magazinsendungen wie „Kontraste“, „Panorama“, „Stern TV“ und „Spiegel TV“ gezeigt.
Hin und wieder fand ich Abnehmer. Aber viel häufiger sagten die Redakteure beispielsweise, sie wollten nicht „mehr vom Gleichen“. Aus meiner Sicht ist das so, als würde man nicht mehr über die Kostensteigerungen bei Stuttgart 21 berichten, weil man bereits über die vorherigen Kostensteigerungen berichtet hatte. Es gibt immer mehr Nazis, und folglich ist es die Aufgabe der Medien, diese gefährliche Entwicklung darzustellen.

Wie haben Sie Ihre Recherchen finanziert?
Allein zwischen 2003 und 2010 habe ich mehr als 130 000 Euro dafür ausgegeben. Ein Großteil dieser Summe konnte ich durch den Verkauf von Videomaterial reinholen, aber verdient habe ich mit meiner Arbeit überhaupt nichts. Ich stand wiederholt vor der Privatinsolvenz. Heute verdiene ich mein Geld mit einem normalen Job und wohne mietfrei bei meinen Eltern, weil ich noch hohe Schulden begleichen muss.

Bereuen Sie, dass Sie sich voll in eine investigative Recherche gestürzt haben?
Inzwischen ja. Finanziell betrachtet war das eine riesige Dummheit. Es geht dabei aber um viel mehr als um meine persönliche Lage. Der Knackpunkt ist: wo Recherche wirtschaftlich nicht mehr möglich ist, wird zwangsläufig weniger recherchiert. In der Folge bleiben Missstände unentdeckt und damit erhalten. Das wirkt sich auf die gesamte Gesellschaft aus. So gab es vor der Pleite der US-Bank Lehman Brothers keine Berichterstattung, die in großem Stil vor der internationalen Finanzkrise gewarnt hätte. Der Medienapparat ist als Frühwarnsystem ausgefallen. Sarkastisch könnte man sagen, dass sich die vierte Gewalt zunehmend durch Gewaltlosigkeit auszeichnet.

Das sehe ich nicht so dramatisch wie Sie. Beispielsweise wird intensiv über das geplante NPD-Verbot berichtet.
Natürlich gibt es auch gute Berichterstattung! Wo es an Recherche mangelt, fehlt es aber tendenziell an Tiefgang.

Dann haben Sie jetzt und hier die Gelegenheit, Hintergründe zur NPD zu liefern.
Die NPD spielt für die Nazibewegung insgesamt eine entscheidende Rolle, was die Nachwuchsrekrutierung betrifft. Die Partei hat beispielsweise sogenannte Schulhof-CDs herausgebracht, die sie an Jugendliche verteilt. Die Lieder gibt’s auch kostenlos zum Download im Internet. Darunter sind Stücke wie „Fuck the USA“ von der bereits erwähnten baden-württembergischen Band Noie Werte. „Fuck the USA“ ist ein Lied gegen den Irakkrieg, das keine rechtsextremen Inhalte aufweist. Da denkt mancher Jugendliche: Vielleicht sind die Nazis nicht so böse, wie unsere Geschichtslehrer erzählen – und schon kann eine gewisse Neugier geweckt sein. Wenn man solche Zusammenhänge kennt, weiß man, wie wirkungsvoll ein NPD-Verbot die gesamte rechtsextreme Szene schwächen würde.