Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)


Sind die Chancen oder die Risiken der neuen Aktionärsstruktur größer?


Das will ich nicht bewerten. Aber zwei grundsätzliche Fragen müssen bei aller ausdrücklichen Anerkennung der Tatkraft und des Mutes von Herrn Mappus, zu dem ich übrigens während meiner Amtszeit bei der EnBW stets ein sehr gutes und vertrauensvolles Verhältnis hatte, schon erlaubt sein. Erstens: der Ministerpräsident hat ja öffentlich erklärt, die "schwäbische Hausfrau" werde "von dem Geschäft begeistert sein", das sehe auch die Bundeskanzlerin so. Aber wollen wir wirklich Politik für begeisterte schwäbische Hausfrauen machen, wenn zeitgleich in China, in Russland und auch in den USA Energiepolitik in geostrategischen Dimensionen und mit epischen Zeithorizonten über Jahrzehnte und Jahrhunderte gestaltet wird? Wobei schwäbische Hausfrauen durchaus klarer und vernünftiger denken mögen als manche Energiepolitiker...

Und zweitens?


Glauben wir allen Ernstes, die Landes- oder Kommunalpolitik habe mehr energiewirtschaftliche Kompetenz und Expertise als das professionelle Management eines globalen Energiekonzerns?

Das Land wird jetzt Großaktionär, will aber keinen Einfluss ausüben. Geht das?


Ein Großaktionär, der seine Aktionärsrechte nicht ausüben will, müsste sich im Grunde fragen lassen, warum er eigentlich Aktionär ist - es sei denn, er verfolge ein vorrangiges oder ausschließliches Gewinn- und Wertsteigerungsinteresse.

Was halten Sie generell davon, wenn der Staat - zumal in der Energiebranche - zum Unternehmer wird?


Mit der Außerkraftsetzung der Rentenformel hatten wir faktisch die Politisierung der Rente. Mit dem Mindestlohn die Politisierung der Tarifpolitik. Und mit dem Deutschlandfonds die Politisierung des Wettbewerbs, da letztlich die Politik darüber entscheiden konnte, wer in einer Krisensituation überleben durfte und wer aus dem Wettbewerb ausscheiden musste. Da passt die Repolitisierung der Energiewirtschaft schon ins Bild. Aber glaubt wirklich ein einziger denkender Mensch, der Staat sei der bessere Unternehmer? Glauben wir wirklich, die Politik habe mehr Managementkompetenz? Oder sie sei der bessere und klügere Investor? Zudem stand die EnBW - übrigens schon unter meinem Vorgänger Gerhard Goll - doch an der Spitze der Bewegung für Liberalisierung und Wettbewerb. Wollen wir nun wieder die Politisierung der Strompreisfindung? Was ist mit eventuell erforderlichen Preiserhöhungen in Wahlkampfzeiten? Nicht ohne ordnungspolitischen Grund hatte sich das Land doch seinerzeit zum Verkauf seiner Anteile an der EnBW entschlossen. Als ordnungspolitischen Fortschritt würde den Rückkauf wohl kaum jemand bezeichnen wollen.

Sie mussten als Vorstandschef auch deshalb viel Aufräumarbeit leisten, weil die EnBW für diverse Zwecke von der Politik benutzt wurde. Besteht diese Gefahr jetzt wieder?


Das hängt unter anderem davon ab, wie stark, wie durchsetzungsfähig und wie mutig der Vorstand und insbesondere dessen Vorsitzender sind. Ich denke, man hat mit Salamander gelernt, dass landespolitische Sanierungsfälle, Schuhcreme oder Modelleisenbahnen nichts mit dem Kerngeschäft der Energie zu tun haben. Märklin gehört jedenfalls noch nicht zum EnBW-Konzern, und bei aller Wertschätzung für Märklin ist das auch gut so.

Warum haben Sie die EnBW wirklich verlassen? Die Gründe wurden nie recht klar.


Wie ich schon damals zutreffend erklärt habe: aus strukturellen, professionellen, privaten und familiären Gründen. Bei den strukturellen und professionellen Aspekten hatte ich für meinen Ausstieg möglicherweise ähnliche Beweggründe wie die EdF für den ihren. Ich hätte mir jedenfalls nicht ein Mehr, sondern eher ein deutliches Weniger an politischem Einfluss für das Unternehmen gewünscht und dafür vielleicht ein kleines Mehr an Professionalität im erweiterten regionalen Umfeld.

Das Land will die Aktien nur vorübergehend halten. Wer könnte sie übernehmen?


Grundsätzlich jeder, der sich im Kapitalmarkt als Investor betätigt, vom privaten Kleinanleger bis hin zum globalen Konzern. Letztlich hängt das aber natürlich von der potenziellen Veräußerungsstrategie des Landes ab. Herr Mappus hat ja einen ausländischen Mehrheitsinvestor kategorisch ausgeschlossen. Die Frage ist allerdings, was zum Zeitpunkt des Wiederverkaufs grundlegend anders sein wird als heute. Wenn man einen Aufkauf an der Börse breitgestreuter Aktien verhindern will, braucht man wieder einen Partner. Oder mit anderen Worten: Ist das "Problem" nicht letztlich nur verschoben oder verlagert?

Halten Sie das Szenario eines Dax-Konzerns EnBW in absehbarer Zeit für realistisch?


Von Größe, Struktur und Potenz her ist die EnBW schon lange quasi ein Dax-Konzern; sie hätte bei einer entsprechenden Aktienstreuung schon während meiner Amtszeit sogar zu der Hälfte der größeren Dax-Konzerne gehört. Ob sie konkret in den Dax kommt, hängt allein davon ab, was das Land mittelfristig mit seinen Aktien zu tun gedenkt. Ein Dax-Konzern unter staatlicher Kontrolle scheint mir jedenfalls kein zwingendes Erfolgsmodell für das 21. Jahrhundert zu sein.

Hat die EnBW ohne die EdF Geschäftsmöglichkeiten im Ausland, zum Beispiel in Russland, die sie mit der EdF nicht hatte?


Im Einzelfall kann so etwas möglich sein. Aber ganz generell ist man mit einem starken Partner auch selbst in aller Regel stärker. Und eigene Chancen im Ausland werden nicht zwingend erhöht, wenn daheim die Mehrheit für einen ausländischen Investor tabu ist. Der zentrale Aspekt ist jedoch: wenn der vielleicht bedeutendste Energiekonzern der Welt sich entscheidet, bei der EnBW auszusteigen und damit auch seine Präsenz in Deutschland zunächst deutlich zu reduzieren, und stattdessen fast gleichzeitig offenbar einen Milliardenbetrag in Polen investieren will, kann und sollte das hierzulande für niemanden ein Grund zur Freude sein. Konzerne handeln schließlich nach den Rahmenbedingungen, Perspektiven und Zukunftserwartungen, die sie für ihre Investments sehen. Wir sollten uns in diesem Sinne grundsätzlich über jeden freuen, der in Deutschland, der in Baden-Württemberg, der bei der EnBW investieren möchte, egal ob er aus Frankreich kommt, aus Russland oder aus der Region. Insofern empfinde ich den Abschied der EdF als Verlust.