Matthias Wissmann, der Präsident des Verbands der Automobilindustrie (VDA), ist besorgt über die Abschottungssignale aus den USA. Für vordringlich hält er, den handelspolitischen Dialog mit der neuen US-Regierung aufzunehmen. Dafür hat er auch schon eine Idee.

Berlin - Matthias Wissmann, Präsident des Verbands der Automobilindustrie (VDA), ist vor Kurzem aus den USA zurückgekehrt. Er führte dort Gespräche mit Politikern und Wirtschaftsführern. Dabei machte der VDA-Chef die Erfahrung, dass viele Verantwortliche in Regierung und Kongress die Risiken der wirtschaftlichen Abschottung sehen. Doch Entwarnung gibt er nicht.

 
Herr Wissmann, das sind verrückte Zeiten. Der US-Finanzminister Steven Mnuchin weigert sich, auf einem G-20-Treffen eine Erklärung gegen wirtschaftliche Abschottung und Protektionismus zu unterschreiben. Dabei waren die USA über Jahrzehnte der größte Fürsprecher für Freihandel. Fällt die Weltwirtschaft in eine Wagenburgmentalität zurück?
Das Risiko besteht, denn rund um den Globus nimmt der Protektionismus zu. Die Welthandelsorganisation WTO zählt aktuell mehr als 2200 Verstöße gegen den freien Handel. Bei den USA hoffe ich darauf, dass schließlich die Erkenntnis Oberhand gewinnt, dass auch die Amerikaner vom freien Welthandel profitieren.
Sie führten jüngst selbst Gespräche in den USA mit Politikern und Wirtschaftsvertretern. Stehen die Zeichen auf Handelskrieg?
Ich habe den Eindruck, dass die Verantwortlichen in der Regierung und im Kongress die Risiken eines Handelskonflikts sehen. Trotzdem ist die Gefahr noch nicht gebannt. Im Zuge der geplanten Steuerentlastung für Privatleute und Unternehmen wird in den USA ernsthaft über eine Grenzausgleichssteuer oder eine sogenannte Cash-Flow-Tax nachgedacht. Beide Varianten könnten Einfuhren in die USA erschweren. Davon wäre auch die deutsche Industrie betroffen. Wir weisen daher mit Nachdruck darauf hin, dass diskriminierende Maßnahmen im Widerspruch zu den Regeln der Welthandelsorganisation WTO stehen. Außerdem könnte solch eine Steuerreform die bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen in Frage stellen, die Amerika mit anderen Ländern vereinbart hat.
Sie heben gegenüber amerikanischen Gesprächspartnern hervor, dass die US-Autohersteller in Europa einen höheren Marktanteil aufweisen als die Deutschen in den USA.
US-amerikanische Marken halten rund 14 Prozent des europäischen Automobilmarkts. Der Marktanteil deutscher Hersteller in den USA beträgt etwas mehr als sieben Prozent. Das zeigt: Handel und Investitionen sind keine Einbahnstraßen. Das wissen auch viele in den USA. Aber die regierenden Republikaner sind in zwei Lager geteilt: Es gibt die Vertreter eines ökonomischen Nationalismus. Ihnen gegenüber stehen viele gemäßigte, sachkundige Kräfte, die zwischen Chancen und Risiken abwägen. Vor diesem Hintergrund war der Besuch der Bundeskanzlerin in Washington sehr nützlich, bei dem sie erneut unterstrichen hat, dass Deutschland zu einem Handelsabkommen zwischen Europa und Amerika bereit ist – ob das nun TTIP heißt oder anders. Selbst wenn der ganz große Aufschlag nicht gelingt, könnte man etwa an frühere Pläne eines Transatlantic Economic Council (TEC) anknüpfen. Diese Idee aus dem Jahr 2007 könnte wiederbelebt werden, um Handelshemmnisse abzubauen. In Washington wächst inzwischen das Verständnis dafür, dass es mit europäischen Ländern keine bilateralen Freihandelsabkommen geben kann, sondern nur europäisch-amerikanische.
Viele sagen, TTIP sei tot. Sie halten ein Freihandelsabkommen mit den USA noch für möglich?
Mir kommt es nicht auf die Verpackung an. Wichtig ist, dass wir in einem handelspolitischen Dialog mit den Amerikanern bleiben. Natürlich müssen wir dabei auch deren Anliegen ernst nehmen. Viele Interessen der EU und der USA lassen sich auf einen gemeinsamen Nenner bringen: Beide Seiten sind daran interessiert, überzogene Regulierungen und technische Vorgaben, die Handel erschweren, zu beseitigen.
Die USA leiten eine Untersuchung ein, um Handelsbarrieren in anderen Ländern zu identifizieren. Der Vorwurf: Die Einfuhrzölle seien in anderen Ländern zu hoch. Tatsächlich liegt der der EU-Importzoll auf amerikanische Pkw mit zehn Prozent deutlich höher als der US-Zoll mit 2,5 Prozent. Hat Präsident Trump teilweise recht?
Dafür erheben die USA hohe Zölle auf die bei den Amerikanern sehr beliebten Pick-Ups. Die deutsche Automobilindustrie hat sich immer dafür eingesetzt, Handelsbarrieren auf beiden Seiten abzubauen, egal ob Zölle oder nichttarifäre Hürden. Wir brauchen keine Schutzmauern, weil wir wettbewerbsfähig sind. Es ist besser, auf beiden Seiten die Zölle zu senken als einseitig Strafsteuern oder Strafzölle zu erheben.
Dunkle Wolken ziehen durch den Brexit auf. Deutschland exportiert in kein Land mehr Pkw als nach Großbritannien – ein Fünftel des deutschen Autoexports geht auf die Insel. Wird die Loslösung Großbritanniens von der EU für die Autoindustrie zur Wachstumsbremse?
Mit Sicherheit wird die britische Wirtschaft unter dem Brexit leiden. Aber auch für die kontinentaleuropäischen Unternehmen gibt es Risiken, weil sich die britische Premierministerin leider dafür entschieden hat, auch aus dem EU-Binnenmarkt und der Zollunion auszuscheiden. Das bereitet uns große Sorgen. Die deutsche Automobilindustrie verfügt über 100 Produktionsbetriebe in Großbritannien. Das Land ist bisher unser größter Exportmarkt. Uns liegt auch künftig viel an einem Warenaustausch ohne Zölle und technische Handelshemmnisse. Das lässt sich ohne Binnenmarkt und Zollunion allerdings nur über komplizierte Freihandelsverträge erreichen. Die Verhandlungen darüber werden wohl Jahre in Anspruch nehmen. Das birgt viel Unsicherheit. Die Folge davon ist, dass sich Unternehmen mit Investitionen in Großbritannien erst einmal zurückhalten werden. Wir werden sehen, dass die zu erwartende Zögerlichkeit bei Investitionen der britischen Wirtschaft und den Beschäftigten schadet.
Liegt für die Autohersteller nicht auch ein Problem darin, dass künftig für den Handel mit Großbritannien neue Regulierungen gelten – das fängt beim Klimaschutz an und geht bis zu sicherheitstechnischen Vorschriften.
Daran können die Briten kein Interesse haben – auch sie sind auf Exporte angewiesen. Unser Ziel ist, so nahe wie möglich am heutigen Zustand zu bleiben – das kann durch die Übernahme von EU-Binnenmarktregeln oder Freihandelsverträge geschehen. Auf jeden Fall sollten Zölle vermieden werden. Die Automobilindustrie wird alles tun, um mitzuhelfen, dass es auch künftig ein gutes Verhältnis zwischen der EU und Großbritannien gibt. Noch wichtiger ist für uns aber, dass die Europäische Union mit ihren 27 Mitgliedern zusammenhält. Wir können keine Bedingungen akzeptieren, die zu Lasten der EU 27 gehen.
Nicht nur die Finanzindustrie in London ist bedeutend, auch die britische Automobilindustrie verkauft die meisten Wagen in Europa. Erwarten Sie, dass sich nach dem Vorbild der Banken bald auch britische Autohersteller nach Produktionsstandorten in Kontinentaleuropa umschauen?
Für die britische Industrie könnte das ein Problem werden. Pessimistisch werde ich dann, wenn sich die Verhandlungen über viele Jahre hinziehen und zu Ergebnissen führen, die den Handel erschweren.
Die Europäische Kommission hat angekündigt, als Antwort auf den Protektionismus die Verhandlungen über Freihandelsabkommen mit Asien und Lateinamerika zu beschleunigen. Ist ein freier Welthandel ohne die USA überhaupt denkbar?
Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass wir mit den USA einen gewinnbringenden, freien und fairen Handel aufrechterhalten. Aber klar ist, hier gibt es derzeit viele Unwägbarkeiten. Umso wichtiger ist, dass die Europäische Union in anderen Teilen der Welt die Chance ergreift, Handelsbeziehungen auszubauen. Wir brauchen etwa Freihandelsabkommen mit Malaysia, den Philippinen und mit Thailand. Auch die Verhandlungen mit Indien sollten wieder aufgenommen werden. Mit Japan spricht die EU seit 2013 über ein Abkommen, das bald ins Ziel gebracht werden könnte. Auch im Verhältnis mit China ergeben sich gerade neue Chancen. Erfreulich ist, dass auch in die Gespräche mit dem südamerikanischen Handelspakt Mercosur neuer Schwung gekommen ist. Weltweit sind in den vergangenen 50 Jahren rund eine Milliarde Menschen aus dem Elend herausgeführt worden. Das gilt insbesondere für Asien. Das hat auch sehr viel mit dem Freihandel zu tun. Natürlich müssen gerade Entwicklungs- und Schwellenländer Zeit und Möglichkeiten haben, sich vorzubereiten. Dass am Ende der Freihandel mehr Vorteile als Nachteile mit sich bringt, kann niemand bestreiten.