Der Zulieferer ZF will beim Megatrend autonomes Fahren zu den großen Rivalen Bosch und Conti aufschließen – mit Hilfe der neuen Tochter TRW in den USA.

Stuttgart – - Der 20. Mai war der Tag eins – seitdem bilden ZF und TRW einen Konzern. ZF-Chef Stefan Sommer erläutert wie weit die Integration gediehen ist und warum die beiden Zulieferer so gut zusammenpassen. Es gibt aber auch Baustellen im Konzern: an vier deutschen Standorten wird über Maßnahmen zur Kostensenkung geredet.
Herr Sommer, der Kauf des Kartendienstes Nokia Here durch Daimler, BMW und Audi hat für Schlagzeilen gesorgt. Was bedeutet das für ZF? Sie wollen ja auch autonom Fahren.
Beim automatisierten Fahren wird der Bedarf an Daten deutlich steigen. Deshalb freut uns, wenn sich die führenden Autohersteller hier auf einen Standard einigen. Damit wird es auch für uns einfacher, Angebote zu entwickeln.
Wird sich ZF an dieser Partnerschaft beteiligen?
Grundsätzlich schließen wir nicht aus, uns an einem Standard zu beteiligen. Wichtig ist aber, dass es überhaupt Standards gibt. Denn es macht keinen Sinn sich über das Kartenmaterial differenzieren zu wollen. Der Endkunde wird dies nicht spüren.
Hat Nokia Here die Chance industrieweit zum Standard zu werden?
Die Chance ist da. Aber Nokia Here muss nun für automobiltechnische Anwendungen weiter entwickelt werden. Da liegt der Vorteil: Die Bedürfnisse kennt der Autohersteller besser als ein IT-Unternehmen.
Was hat ZF beim autonomen Fahren zu bieten?
Wir fokussieren uns auf Fahrzeugsicherheit, Notbremsassistenten, Spurwechselassistenten. Wir sind aber nicht nur auf der Autobahn, sondern auch innerstädtisch unterwegs – etwa wenn es ums Parken in Einkaufszentren oder in Hotels geht. Und wir schauen ins Nutzfahrzeug, wo der Effizienzgewinn besonders hoch ist. Der Fernfahrer müsste nach unseren Vorstellungen nur noch vor das Werk fahren und sich in die Werkslogistik einloggen. Während sein Lkw automatisch be- oder entladen wird, hat der Fahrer Pause – um anschließend mit einem vollen Ruhezeitkonto auf die Autobahn zu fahren. Dies brächte dem Spediteur Einspareffekte.
Und da hat TRW Sie den entscheidenden Schritt vorangebracht?
Die ZF-Kompetenz liegt im Antriebsstrang. Wir haben mechanische Getriebe, elektrifizierte Getriebe – Stichwort Hybrid – und den reinen Elektroantrieb. Was uns fehlte war die Querdynamik – also Lenkung, Spurwechsel und automatisch Bremsen. Diese Technologien hat TRW mitgebracht – und natürlich die Sensoren.
Denken Sie an weitere Zukäufe?
Tatsächlich könnten wir uns noch verstärken – etwa im Bereich bildverarbeitender Algorithmen. Erst jüngst haben wir noch einen Zukauf gemacht. Wir haben die Technologie einer 360-Grad-rundumblickenden Kamera erworben. Es fehlen aber nur kleinere Puzzleteile, die die Funktionalität des Systems verbessern. Die können wir auch selbst entwickeln.
Welche Teile fehlen?
Wir überlegen, ob wir eine Stereokamera tatsächlich benötigen. Softwareprogrammierer und Algorithmik-Programmierer werden, wenn das automatisierte Fahren kommt, die wertvollste Ressource sein. Auch damit setzen wir uns verstärkt auseinander.
Es gibt drei große Zulieferer in Deutschland, die sich intensiv mit dem autonomen Fahren beschäftigen. Wo steht ZF da?
Wir sehen uns noch in einer Fast-Follower-Rolle. Wir haben Aufholbedarf zu den zwei großen Zulieferern. Das gehen wir intensiv an. In der Vergangenheit hat TRW mit Rücksicht auf die Ertragskraft Entwicklungen vernachlässigt.
Wie sind Sie überhaupt auf TRW gekommen?
Angefangen hatte es 2012, als wir bei ZF eine Langfriststrategie entwickelt haben. Ziel dabei war, dass ZF 2025 noch genauso erfolgreich sein soll wie 2012. Wir haben uns intensiv mit den Megatrends der Mobilität auseinandergesetzt. Drei Entwicklungen kristallisierten sich heraus: der effiziente Umgang mit Ressourcen – da war ZF gut aufgestellt. Die Leistungselektronik und Elektromotoren hatten wir schon entwickelt. Wir waren ja auch die ersten in Deutschland, die einen Hybridmotor, damals für die S-Klasse, gefertigt haben.
Der zweite Megatrend war . . .
. . . die Digitalisierung des Autos. Junge Leute wollen zunehmend auch im Auto online sein. Doch wer soziale Medien nutzt, kann dem Verkehr nicht mehr folgen – damit waren wir beim autonomen Fahren. Und der dritte Trend war die Fahrzeugsicherheit. So bringen Sensoren, die Fußgänger erkennen, ganz neue Möglichkeiten ins Spiel. Bei dem zweiten und dritten Megatrend hatte ZF fast nichts zu bieten. Dies selbst zu entwickeln, hätte viel zu lange gedauert und enorme Summen verschlungen. Mit TRW haben wir ein Unternehmen gekauft, das schon mit Lösungen im Markt war. Und TRW ist Innovationspartner deutscher Hersteller.
Sie sind also gleich auf TRW gekommen?
Ich war vor meiner Zeit bei ZF 15 Jahre lang bei Continental in unterschiedlichen Bereichen tätig – Bremse, ESP und Airbag-Technik. TRW war ein geschätzter Wettbewerber, ich kannte das Unternehmen.
Hatten Sie bei der TRW-Übernahme einen Tag eins ausgerufen?
Das haben wir gemacht, ein emotionales Element muss sein. Sie müssen den Menschen die Botschaft mitgeben, warum die beiden Unternehmen zusammen stärker sind. Nach dem Closing bin ich am 20. Mai sofort ins Flugzeug gestiegen und habe die größten US-Standorte besucht. Dort haben wir ein Emblem enthüllt – als Zeichen für die neue Zeitrechnung.
Und Sie starteten auch sofort.
Bereits nach sechs Wochen konnten wir ein gemeinsames Produkt vorstellen: Wir haben ein Auto entwickelt, das automatisch mit einem Lenkwinkel von 75 Grad einparkt. Es kann in einem Zug in eine Lücke einparken, die nur 60 Zentimeter länger ist als das Auto selbst. Noch plastischer formuliert: Es kann in einem Fußballtor in einem Zug wenden. Damit taugt es für Ballungsgebiete.
Wie war das technisch möglich?
Es ist ein reines Elektrofahrzeug, der Antrieb ist auf der Hinterachse. Dadurch haben wir vorne, wo sonst der Motor sitzt, Raum gewonnen, damit das Fahrzeug die Räder um 75 Grad einschlagen kann. Und weil es vollautomatisch einparkt, gesteuert über eine Smartwatch, nimmt es auch noch Stress vom Fahrer. Es wird aber noch ein oder zwei Fahrzeuggenerationen dauern, bis ein derartiges Fahrzeug mit ZF Lenkungs- und E-Antriebstechnik auf den Markt kommt.
ZF ist groß geworden, was die Belegschaft angeht. Und die Vielzahl der Standorte ist eine Herausforderung für jedes Management.
Es stimmt, die Vielzahl der Standorte erhöht die Komplexität. Was uns hilft ist, dass wir keinen Restrukturierungsbedarf haben. Es gibt keine Überschneidungen in der Produktpalette. Jeder Standort von ZF hat zunächst seine Daseinsberechtigung. Wir wollen Standorte nur zusammen führen, wenn das Mehrwert für Kunden oder für uns bringt. Dies prüft ein Team derzeit. So werden wir zentrale Konzernführungsfunktionen wie etwa Finanzen oder Konzernrevision zusammenlegen. Auch im Vertrieb sehe ich Handlungsbedarf. Die Kunden erwarten einen Ansprechpartner für das gesamte Portfolio und die einheitliche Nutzung von IT-Systemen in diesem Bereich.
Planen Sie Standort- und Beschäftigungsgarantien an den neuen Standorten?
Solche Vereinbarungen werden nur geschlossen, wenn ein Unternehmen die Effizienz steigern oder die Kosten senken will; dann sichert man der Stammbelegschaft für eine bestimmte Zeit den Arbeitsplatz. Darum geht es hier aber nicht. Aber wir haben andere Standorte, deren Produktion wir im Hochlohnstandort Deutschland nicht mehr wirtschaftlich darstellen können. Da müssen wir handeln.
Um welche Produkte handelt es sich?
Es handelt sich um konventionelle Stoßdämpfer, die in Schweinfurt, in Eitorf und in Ahrweiler gefertigt werden. Auf unserem Kostenniveau haben wir in den vergangenen Jahren keine neuen Aufträge mehr gewonnen. Unser Ziel ist nun, technisch aufwendigere elektronische Stoßdämpfer an die Standorte zu bringen. Doch dafür erwarten wir einen Beitrag der Belegschaft zur Kostensenkung. Wir sind in Gesprächen mit den Arbeitnehmervertretern.
Wie geht es mit Friedrichshafen weiter, wenn der VW-Auftrag ausläuft?
Die MAN-Aufträge laufen zum größten Teil bis 2018 aus. Auch hier reden wir mit den Betriebsräten. Wir müssen auch in Friedrichshafen das Kostenniveau senken. Wir haben zwar schon neue Wertschöpfung angesiedelt, es handelt sich um Pkw-Komponenten. Aber das reicht nicht. Die Elektromobilität, die immer als Wachstumsfeld angeführt wird, ist nicht der Rettungsanker für Arbeitsplätze.
Wie passt das Gehaltsgefüge von TRW und ZF zusammen?
Die Vergütungsstrukturen im amerikanischen Board of Management – vergleichbar unserem Vorstand – und in einem deutschen Vorstand unterscheiden sich auf den ersten Blick zwar stark. Doch das liegt auch daran, dass Pensionszusagen unterschiedlich behandelt werden. Rechnet man alle Gehaltsbestandteile zusammen, sind die Unterschiede gar nicht so groß. In der zweiten Führungsebene haben wir die Gehälter bereits angepasst. Da waren etliche TRW-Mitarbeiter mit ungewöhnlich hohen Ansprüchen aus Aktienoptionen dabei. Da ZF alle TRW-Aktien erworben hat, mussten sie uns ihre Ansprüche zwangsweise verkaufen. Diese Ansprüche sind alle bedient. Im nächsten Jahr wollen wir die Gehälter der dritten Führungsebene anpassen. Zunächst müssen wir die Kriterien wie etwa Führungsverantwortung klassifizieren.
Hat das zu größerer Fluktuation in USA geführt?
Bis jetzt gibt es nur die normale Fluktuation. Das liegt daran, dass es in den USA üblich ist mit jedem Manager individuell eine Vereinbarung zu treffen, dass er – gegen eine Prämie – für mindestens sechs bis zwölf Monate weiter im Unternehmen bleibt. Diese Vereinbarungen wirken derzeit noch nach. Ich rechne aber nicht damit, dass es zu einem spürbaren Know-how-Verlust kommen wird.
Haben Sie denn den Flughafen Friedrichshafen schon ausgebaut?
Der Flughafen hier hat noch Kapazitäten. Der ist für eine Million Passagiere ausgebaut und jetzt sind da 500 000 bis 600 000. Das Restkontingent wollen wir nicht komplett und alleine ausnutzen.
Eine eigene Airline . . .
. .. wollen wir definitiv nicht. Das ist wirtschaftlich völlig untragbar.