Eine Erfolgsgeschichte: Der Schauspieler Walter Sittler gastiert mit seinem Erich-Kästner-Solo letztmals in Stuttgart. Im Interview erzählt er, warum er den Schriftsteller so sehr schätzt.

Stuttgart – - Seit acht Jahren ist der Stuttgarter Schauspieler Walter Sittler auf Tour. Ob in München, Köln, Hamburg, Berlin: mit seinen Kästner-Programmen „Als ich ein kleiner Junge war“ und „Prost, Onkel Erich!“ ist er überall gefeiert worden. Bevor sich der 61-jährige Künstler nun von den zwei szenisch-musikalischen Abenden verabschiedet, zeigt er sie heute nochmals um 16 Uhr und 20 Uhr im Theaterhaus.
Herr Sittler, warum hören Sie mit Erich Kästner auf? Sind Sie seiner überdrüssig?
Nein, gewiss nicht. Ich schätze ihn nach wie vor ohne Einschränkung. Sein klarer Stil, seine scharfe Beobachtungsgabe, seine starke Empathie für Menschen, ohne dabei je in Kitsch zu verfallen – und nicht zuletzt sein Gespür für falsche hierarchische Strukturen, die er auf fünf Kilometer Entfernung erkennt: großartig.
Gibt es auch heute noch Autoren mit diesem feinen Kästner-Sensorium?
Ich glaube nicht. Ich bin auf diesem Feld nicht sehr bewandert, aber einen Schriftsteller mit derart ausgeprägter Ethik, gepaart mit der Liebe zu kleinen Leuten, sehe ich nirgendwo. Da ist mir Kästner doch sehr nahe. Fremd ist er mir in der Art, wie er mit Frauen umgeht. Offensichtlich brauchte er immer mehrere Beziehungen gleichzeitig. Diesen Teil der Biografie schau ich mir an und sage: nicht mein Ding! Aber seine Sicht auf Menschen und Menschenkinder, die unter ungerechten Verhältnissen leiden, finde ich faszinierend. Klar, doch niemals kalt. Kästner war ein Mensch, der sich im besten Wortsinne eingemischt hat.
Da sehe ich Ähnlichkeiten zu Ihnen. Sie sind das bundesweit prominenteste Gesicht des Protests gegen Stuttgart 21. Hätte auch Kästner auf einer Montagsdemo geredet?
Ja. Spätestens nach dem „schwarzen Donnerstag“ am 30. September 2010 wäre er auf eine Bühne der S-21-Gegner gestiegen. Diesen exzessiven Machtmissbrauch hätte er nicht wortlos hingenommen.
Wie hoch ist der kulinarische Anteil Ihres Programms, in dem Sie – Anzug, Weste, gewienerte Schuhe – direkt aus der BRD des Wirtschaftswunders zu kommen scheinen?
Er scheint sehr hoch zu sein. Der Abend setzt die Fantasie in Gang, er ist eine Verführung des Menschen zu sich selbst. Das Spektakel kommt nicht von außen, es ereignet sich im Zuschauer selbst. Und zu meiner Garderobe, die übrigens von Gudrun Schretzmeier stammt, kann ich nur sagen: Kästner hatte enormen Charme, legte großen Wert auf Kleidung und war – anders als ich – ein begnadeter Tänzer, was ihm die Frauenherzen nur so zufliegen ließ.
Vom Tanzen abgesehen, sind Sie mit ihrem blendenden Aussehen doch wie geboren für die Kästner-Rolle. Warum ist jetzt Schluss?
Zusammen mit meinen sechs Musikern, den Sextanten, habe ich acht Tourneen gemacht. Im Januar, wenn ich nochmals in Norddeutschland gastiere, absolviere ich irgendwann die 400. Vorstellung. Und es gibt ein Leben nach Kästner. Ich möchte mal wieder um eine andere Ecke gucken.