Der Stuttgarter Bauingenieur und Architekt Werner Sobek plädiert für Nachhaltigkeit beim Bauen – und sieht darin auch eine moralische Verantwortung.

Stuttgart - - Das Wohnhaus B10 kommt mehrere Tage komplett ohne Stromnetz aus. Bei Bestandsbauten plädiert Werner Sobek für neue innovative Ansätze.
Herr Sobek, was verstehen Sie unter Nachhaltigkeit?
Nachhaltigkeit ist für mich ein umfassendes und integrales Thema. Es betrifft ein Energieeinsparen in allen Lebensphasen, von der Herstellung eines Hauses über die Emissionen und den Ressourcenverbrauch bis zum Abbruch und Recycling. Das ist der technische Teil des Ganzen. Wichtiger ist für mich der moralische Teil. Es geht darum, den Generationen, die nach uns kommen, eine gebaute Umwelt ohne gigantische Müllberge oder riesige Energieverbräuche zu hinterlassen. Ich zitiere immer das griechische Bauernsprichwort: Einen Olivenbaum pflanzt man für die Enkel. Das sollte unsere Philosophie im Bauen sein.
Was haben Sie gegen die herkömmliche Wärmedämmung? Das ist doch ein ganz effektives Mittel, um den Energieverbrauch eines Hauses zu senken.
Was ich ablehne, ist erstens die Wärmedämmung zum einzigen Instrument zu erklären, und zweitens den maximalen Energieverbrauch eines Hauses bezogen auf das einzelne Gebäude zu betrachten. Ich bin dafür, ein erweitertes Methoden- und Werkzeugset einzuführen. Wir sollten die bisherigen Systemgrenzen ausdehnen, indem wir denkmalgeschützte Gebäude, wie etwa das Le Corbusier-Haus, an denen wir besser keine Wärmedämmung anbringen, so belassen, wie sie sind und sie nach dem Prinzip der Schwesterlichkeit mit anderen Häusern verbinden, die ein Mehr an Energie erzeugen, so dass in der Gesamtbilanz der Verbrauch gesenkt wird. Denkbar ist ein Modell, bei dem Nachbarn in einen genossenschaftlichen Verbund investieren, beispielsweise zur gemeinsamen Anschaffung einer Fotovoltaikanlage auf dem nächsten Supermarktdach.
Was ist an Tagen wie diesen, wo es nicht aufhört zu regnen? Anders gefragt: wie kommt das Haus mit dem mitteleuropäischen Wetter zurecht?
Selbst bei diffusem Licht ist die Stromausbeute immer noch sehr hoch. B10 könnten wir vom Stromnetz im Gegensatz zu normalen Null-Energiehäusern auch ganz abkoppeln. Theoretisch reichen die Warmwasser-, die Eis- und die Stromspeicher aus, um das Haus mehrere Tage in völliger Dunkelheit und Kälte zu betreiben.
Ihre Art der Energieerzeugung und -versorgung läuft also auf ein dezentrales, kleinteiliges und bürgerschaftliches Konzept hinaus.
Ja, das ist für die Energiewende insgesamt sehr wichtig. Denn wir sehen ja, dass sie zu scheitern droht. Die Maßnahmen der Politik sind nicht nur ein Hin und Her, sondern auch von unglaublicher Langsamkeit. Wenn wir überlegen, wie lange es dauern wird, die großen Starkstromtrassen von der Nordsee bis nach Süddeutschland zu führen und wie einfach es sein wird, solche Verfahren durch irgendwelche Einsprüche um Jahre hinauszuzögern, ist es umso wichtiger, dass wir mit dieser Art von gebauter Umwelt schnell und sehr flexibel eine Vorreiterrolle übernehmen können. Wir haben uns darum auch bereits mit genossenschaftlichen Initiativen beschäftigt und wollen das in der Fortführung von B10 tatsächlich institutionalisieren.
Das von Ihnen entwickelte Haus soll im nächsten Jahr auch bewohnt werden. Kann man sich als Versuchskaninchen noch bewerben?
Die Homepage ist noch gar nicht aufgemacht, aber das Interesse ist bereits riesengroß. Das Bewerbungsverfahren, wird voraussichtlich im Frühjahr 2015 eröffnet.