Im festgefahrenen Streit mit Daimler über die Zulassung von 25-Meter-Lastern soll nun eine Studie zur Klimabilanz der Gigaliner neue Erkenntnisse bringen. Wir haben mit Winfried Hermann über das Gigaliner-Problem gesprochen.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)
Stuttgart - Der Autokonzern Daimler möchte auch auf Straßen in Baden-Württemberg Lang-Lkws testfahren. Die rot-grüne Landesregierung weigert sich allerdings beharrlich, dafür Ausnahmegenehmigungen zu erteilen. Doch nun kommt Bewegung in die festgefahrenen Verhandlungen: Land und Unternehmen haben vereinbart, gemeinsam eine wissenschaftliche Untersuchung zu den Auswirkungen der Riesenlaster auf das Klima erstellen zu lassen. Das sagt der Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) im Interview mit der Stuttgarter Zeitung.
Der Autokonzern Daimler will auf 19 Strecken im Südwesten die heftig umstrittenen 25-Meter-Lastwagen fahren lassen, zum Beispiel von Heilbronn, Köngen oder Nagold zu den Werken in Sindelfingen, Rastatt und Düsseldorf. Werden Sie die beantragten Ausnahmegenehmigungen erteilen?
Unser Koalitionsvertrag legt fest, dass Baden-Württemberg sich am bundesweiten fünfjährigen Feldversuch zu den Lang-Lkws nicht beteiligt, ebenso wie die anderen grün und rot regierten Bundesländer. Außerdem sind formal nicht wir für die dafür nötigen Ausnahmegenehmigungen zuständig, sondern der Bundesverkehrsminister. Trotzdem haben wir Daimler ergebnisoffene Gespräche dazu angeboten.
Sie gelten als strikter Gegner der Riesenlaster. Beugen Sie sich nun dem massiven politischen Druck der Autolobby, die seit Jahren für die 25-Meter-Trucks trommelt?
Meine kritische Einschätzung gilt unverändert. Es ist nicht entkräftet, dass durch längere Lkws noch mehr Güterverkehr auf die Straße gebracht wird und die umweltschonende Bahn weiter an Boden verliert. Daimler sieht das anders und behauptet, der Lang-Lkw sei ein „Ökolaster“, weil zwei Fahrten damit drei Transporte mit konventionellen Lkws ersetzen. So einfach aber ist die Rechnung nicht.
Bei anderen Mitgliedern Ihrer Regierung scheint Daimler auf offenere Ohren zu treffen. Auch Ihr grüner Regierungschef Kretschmann wünscht, dass eine Lösung gefunden wird . . .
Richtig ist, dass Daimler nicht nur auf unser Verkehrsressort zugekommen ist, sondern auch beim Ministerpräsidenten, dem Finanz- und Wirtschaftsminister sowie den Fraktionen im Landtag um Strecken für Lang-Lkws nachgesucht hat. Das Hauptargument: der Einsatz der Lang-Lkws auf den beantragten Strecken würde jährlich 3,2 Millionen gefahrene Kilometer und 2700 Tonnen klimaschädliches CO2 einsparen. Diese Angaben wollen wir überprüfen.
Wie denn?
Wir haben Daimler angeboten, kurzfristig eine gemeinsame wissenschaftliche Untersuchung zur CO2-Bilanz der Riesenlaster auf den Weg zu bringen. Im bundesweiten Feldversuch der Bundesregierung kommt dieser Aspekt leider viel zu kurz. Dort geht es vor allem um die Frage der Alltagstauglichkeit und die Belastungen der vorhandenen Infrastruktur sowie um Gefährdungen anderer Verkehrsteilnehmer durch die 25-Meter-Laster. Denn unsere Infrastruktur ist für solche überlangen Fahrzeuge nicht ausgelegt.
Was soll genau untersucht werden?
Über die Details der Studie müssen wir uns noch verständigen. Aus unserer Sicht ist zu klären, welche direkten und indirekten Klimaauswirkungen die Lang-Lkws hätten. Wenn es viele Leerfahrten mit den 25-Meter-Trucks gibt oder nicht die volle Ladung gefahren wird, sieht die Rechnung schon anders aus. Und die CO2-Bilanz würde sich auch verschlechtern, wenn der klimaschonende Frachttransport auf der Schiene unter dem Einsatz noch größerer Lkws leidet.
Die Riesenlaster sollen den Transport auf der Straße weiter verbilligen. Ist es da nicht logisch, dass der Schienenverkehr leidet und noch weiter ins Hintertreffen geraten würde?
Das soll durch die Studie auch geklärt werden. Beim bundesweiten Versuch konzentriert sich die Untersuchung der federführenden Bundesanstalt für Straßenwesen auf ausgewählte und optimierte Lang-Lkw-Transporte. Alternativ möglicher Bahnverkehr und Verlagerungseffekte hin zur Straße werden nicht hinreichend untersucht. Eine vollständige Klimabilanz wird im Feldversuch des Bundes nicht durchgeführt. Wenn man nur die Positiveffekte bilanziert, ist die Bilanz positiv, aber auch unvollständig, und damit genügt sie seriösen wissenschaftlichen Ansprüchen nicht.
Wie hat Daimler auf Ihre Vorschläge reagiert?
Das Unternehmen hat inzwischen signalisiert, dass man über die CO2-Bilanz reden will. Das bedeutet schon einen Durchbruch in einer seit Monaten anhaltenden Debatte, in der sich beide Seiten doch sehr in ihren Positionen verbarrikadiert hatten. Wir beharren nicht stur auf unserem Standpunkt, und Daimler zeigt sich aufgeschlossen für die gemeinsame wissenschaftliche Untersuchung zu den Klimaauswirkungen. Das ist ein Weg, den wir gemeinsam beschreiten können. Es wäre die erste derartige Studie mit einem Fahrzeughersteller überhaupt.
Wird es dann im Rahmen der Studie bald auch Teststrecken und Fahrten von 25-Meter-Trucks im Südwesten geben?
Das ist natürlich das Interesse und die Hoffnung von Daimler. Die Klimabelastung kann man in wissenschaftlichen Modellen besser ausrechnen. Dazu muss uns Daimler natürlich seine Daten und Berechnungen zu Logistikketten und den Spareffekten durch Lang-Lkws liefern. Dann würde daraus eine stimmige Gesamtbetrachtung werden.
Und Sie meinen, dass Daimler sich darauf einlässt?
Unser Vorschlag wurde nicht abgelehnt. Nun müssen wir uns mit dem Konzern darauf einigen, wie die Studie angelegt wird. Denn wir haben schon klare Vorstellungen, was zu untersuchen ist. Es soll keine Alibi-Studie sein, sondern eine belastbare Untersuchung aller Klimaauswirkungen von Lang-Lkws. Das ist auch für Daimler ein sinnvolles Angebot, sofern der Konzern wirklich so interessiert am Klimaschutz ist, wie immer betont wird.
Wann soll die Studie fertig sein?
Bis Ende März könnten wir uns auf die Fragestellungen und Arbeitsaufträge verständigen. In einem Jahr wäre dann mit Ergebnissen zu rechnen. Auf deren Grundlage könnte dann für die Zukunft sachgerecht entschieden werden, ob ein Einsatz von Lang-Lkws nicht nur ökonomisch sinnvoll, sondern auch umweltverträglich ist. Wir sehen dies als wichtigen Beitrag für die Frage, wie es nach dem Ende des bundesweiten Feldversuches weitergehen kann.
Vor der Landtagswahl im Südwesten im Frühjahr 2016 sind also keine Ergebnisse und Entscheidungen über Strecken für Lang-Lkws zu erwarten?
Wie mit den Ergebnissen der Studie umzugehen ist, müssten Bund und Länder dann gemeinsam beurteilen. Was bis dahin geschieht, wird sich in den weiteren Verhandlungen mit Daimler zeigen.
Und wenn die CO2-Bilanz der 25-Meter-Laster am Ende positiv ausfällt?
Dann müssten wir über eine Korrektur unserer bisherigen Politik sicher nachdenken. Bisher spricht allerdings vieles für unsere kritische Position gegenüber solchen Fahrzeugen. Das wollen wir jetzt gemeinsam mit Daimler klären.